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Interaktionen

Ibuprofen hebt Thromboseschutz durch ASS auf

02.01.2008  15:31 Uhr

Interaktionen

Ibuprofen hebt Thromboseschutz durch ASS auf

Andrea Gerdemann, München, und Nina Griese, Berlin

Erst seit kurzem ist die Wechselwirkung zwischen Ibuprofen und niedrig dosierter Acetylsalicylsäure bekannt. Anscheinend verringert Ibuprofen die Blutgerinnungshemmung von ASS und erhöht so die Gefahr, dass Risikopatienten trotz ASS-Einnahme einen Herzinfarkt oder ischämischen Schlaganfall erleiden. Niedrig dosierte ASS (100 bis 300 mg pro Tag) soll die Patienten jedoch vor beiden lebensbedrohlichen Ereignissen schützen.

Viele ältere Patienten nehmen wegen rheumatischer oder anderer entzündlicher Gelenkbeschwerden einen nicht stereoidalen antiinflammatorischen Arzneistoff (NSAID) ein. Sowohl Ibuprofen als auch ASS gehören zur Klasse der NSAID. Die Wirkungen beider Arzneistoffe beruhen auf einer Hemmung der Cyclooxygenasen. ASS ist ein irreversibler, Ibuprofen ein reversibler Inhibitor der Cyclooxygenase (COX). Warum ASS zusätzlich noch die Blutgerinnung hemmt, erklären Pharmakologen damit, dass ASS einen Acetylrest auf die Cyclooxygenase überträgt und so das Enzym endgültig inaktiviert. Da Thrombozyten keine Enzyme nachbilden können, hält die gerinnungshemmende Wirkung der ASS für den Rest des Lebens der Thrombozyten (durchschnittlich etwa 7 bis 10 Tage) an. Für die nachhaltige Wirkung reicht eine geringe Menge ASS (low-dose) aus.

In der letzten Zeit mehren sich die Hinweise zu einer Interaktion des Analgetikums, Antirheumatikums und Antipyretikums Ibuprofen mit niedrig dosiertem ASS. Ibuprofen soll die Cyclooxygenase sterisch vor dem Einfluss anderer Arzneistoffe abschirmen, lautet die Erklärung. Nehmen Patienten beide Arzneistoffe gleichzeitig ein, kann ASS anscheinend nur einen geringeren Anteil der Cyclooxygenase in den Thrombozyten acetylieren. Der Rest des Enzyms ist durch Ibuprofen besetzt. Aufgrund der kurzen Plasmahalbwertszeit des Ibuprofens von 1,5 bis 2 Stunden hält der abschirmende Effekt offenbar nur etwa acht Stunden an. Da Acetylsalicylsäure rasch metabolisiert wird, ist nach acht Stunden kein ASS mehr vorhanden, das die frei gewordenen Anteile der Cyclooxygenase acetylieren könnte, und ein Teil der Enzyme bleibt langfristig aktiv. Deshalb fällt die Thrombozytenaggregation durch Kombination von Ibuprofen und ASS schwächer aus als unter der alleinigen ASS-Gabe. Bei Risikopatienten steigt somit die Gefahr eines Herzinfarkts und Schlaganfalls.

Die bisherigen Untersuchungen legen nahe, dass diese Interaktion für Ibuprofen-Dosierungen von 400 mg gilt. Solange nicht geklärt ist, ob Ibuprofen auch in einer niedrigeren Dosierung interagiert, kann dies nicht ausgeschlossen werden. Bei schwachen Schmerzen hilft Ibuprofen in einer Einzeldosis von 200 mg, bei starken Schmerzen in einer Einzeldosis von 400 mg. Nach 4 bis 6 Stunden können die Patienten eine weitere Dosis einnehmen.

Alle NSAID hemmen in unterschiedlichem Ausmaß die Cyclooxygenasen. Ob sich die anderen NSAID ähnlich wie Ibuprofen verhalten, ist nicht eindeutig bewiesen. Eine vor kurzem veröffentlichte Untersuchung zeigte, dass Ibuprofen das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse bei den gefährdeten Patienten, die ASS einnehmen, erhöhte. Wohingegen Naproxen und Lumiracoxib das Risiko nicht erhöhten. Ebenso scheinen Coxibe und Diclofenac nicht zu interagieren. Paracetamol und auch opioidartige Analgetika, die allesamt keine COX-Inhibitoren sind, interagieren nicht mit niedrig dosiertem ASS.

Mögliche Maßnahmen

Die Wechselwirkung lässt sich verhindern, indem der Patient die beiden Arzneistoffe zeitlich getrennt einnimmt. Die Empfehlung lautet: Das Ibuprofen frühestens 30 Minuten nach oder acht Stunden vor der ASS-Dosis einnehmen.

Wie wichtig der Einnahmezeitpunkt für die Relevanz der Interaktion ist, betonen sowohl die US-amerikanische Arzneimittelbehörde (FDA) als auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ). Allerdings hält die AkdÄ den erforderlichen Einnahmehinweis für zu kompliziert und rät den Kollegen, statt Ibuprofen Diclofenac zu verordnen. Die genannte Einnahmeempfehlung gilt nicht für magensaftresistente ASS-Arzneiformen.

Laut FDA zeigte eine Studie, dass die Interaktion bei magensaftresistenten Arzneiformen unvermeidbar ist: 400 mg Ibuprofen beeinflussten auch dann noch die Wirkung des ASS, wenn die Patienten das Ibuprofen 2, 7 und 12 Stunden nach der magensaftresistenten ASS-Formulierung einnahmen.

Die Interaktion ist vor allem bei einer längeren Einnahme von Ibuprofen relevant. Bei einer gelegentlichen Einnahme ist es dagegen unwahrscheinlich, dass sich die Interaktion negativ auswirkt.

Fallbeispiel Selbstmedikation

Eine 45-jährige Patientin löst in der Apotheke ein Rezept über ASS ratiopharm 100® N3 ein. Außerdem möchte sie Ibuprofentabletten kaufen. Nach dem Einscannen beider Präparate zeigt die Software die mittelschwere Interaktionsmeldung zwischen ASS 100 und Ibuprofen an. Die Interaktionsmonographie der ABDA-Datenbank liefert neben dem Mechanismus der Interaktion und ihren Folgen, wie die verminderte kardioprotektive Wirksamkeit von ASS, noch weitere Informationen. Beim Interaktionstyp liest die PTA die Angabe »wahrscheinlich pharmakodynamisch, Mechanismus ungeklärt«. Unter Maßnahmen steht, dass bei gelegentlicher Einnahme von Ibuprofen kein Interaktionsrisiko zu erwarten ist, da die Wirkung des ASS auf die Thrombozytenaggregation länger anhält.

Die Frage der PTA »Frau Aring, wie oft haben sie Probleme mit Kopfschmerzen und wie häufig nehmen Sie dann eine Tablette ein?« beantwortet die Patientin: »Immer wenn wir in den Bergen Urlaub machen, bekomme ich starke Kopfschmerzen, wenn Fön ist. Zum Glück nur ein- bis zweimal in den drei Wochen. Dann habe ich bisher drei Tabletten am Tag eingenommen. Zu Hause kenne ich gar keine Kopfschmerzen und brauche nie Schmerztabletten.«

Aufgrund der beschriebenen starken Kopfschmerzen ist für Frau Aring eine Einzeldosis von 400 mg sinnvoll. Im Rahmen der Selbstmedikation sollte Ibuprofen immer nur kurzfristig, das heißt höchstens drei Tage lang, in vorgeschriebener Dosierung und nicht häufiger als an zehn Tagen pro Monat eingenommen werden. Daher kann die PTA die Interaktion zwischen ASS 100 und Ibuprofen in der Selbstmedikation häufig als nicht klinisch relevant einstufen. Auch Frau Aring wird während der Ferien voraussichtlich nur an zwei Tagen Ibuprofen einnehmen. Deshalb entscheidet die PTA, dass sie die Ibuprofentabletten abgeben kann. Sie informiert die Patientin allerdings über die mögliche Interaktion:

»Ibuprofen kann die Wirkung von ASS verringern. Ich kann Ihnen ein anderes Schmerzmittel empfehlen, das die Wirkung auf keinen Fall beeinflusst.« Frau Aring möchte jedoch bei diesem Schmerzmittel bleiben, weil sie mit Ibuprofen gute Erfahrungen gemacht habe. Die PTA rät ihr daher: »Damit ASS optimal wirkt, sollten Sie nach der Einnahme von Ibuprofen 8 Stunden warten, bevor sie die ASS-Tablette nehmen. Sollten Sie einmal häufiger Schmerzmittel benötigen, dann ist für Sie ein anderes Schmerzmittel besser geeignet.  Fragen Sie dann bitte noch einmal bei uns nach. Wir können dann das geeignete Schmerzmittel für Sie auswählen.«

Fallbeispiel Verordnung

Herr Marquard, ein 50-jähriger Hausapothekenkunde, reicht in der Apotheke ein Rezept über 800 mg Ibuprofen, 100 Tabletten ein. Da die Medikation von Herrn Marquard in der Apotheke gespeichert wird, zeigt die Datenbank beim Abscannen des Präparates die mittelschwere Interaktion zwischen Ibuprofen und ASS 100 an.

Aus der Medikationshistorie ersieht die PTA, dass Herr Marquard seit zwei Jahren ASS 100 verordnet bekommt und des Weiteren noch Simvastatin 40 mg, Enalapril, Hydrochlorothiazid und Glibenclamid. Herr Marquard gehört demnach zu den Risikopatienten, die ASS zur Herzinfarkt- oder Schlaganfallprophylaxe einnehmen.

Auf die Frage: »Wie häufig und wie lange sollen Sie das Schmerzmittel einnehmen?«, antwortet Herr Marquard: »Ich habe einen Bandscheibenvorfall und soll das Schmerzmittel dreimal täglich nehmen, und das sicher länger.«

Auf Rückfrage, ob er dem Orthopäden von der ASS-Einnahme erzählt hat, ist er nicht sicher, ob sie darüber gesprochen hätten. Daraufhin entscheidet die PTA, dass eine Rückfrage beim Arzt notwendig wird. Der Orthopäde entscheidet daraufhin, Herrn Marquard statt Ibuprofen Diclofenac zu verordnen. Dem Patienten zu erklären, wie er die Arzneistoffe zeitlich getrennt einnehmen muss, hält der Orthopäde für zu kompliziert.

E-Mail-Adresse der Verfasserinnen:
N.Griese(at)abda.aponet.de