Übergewicht bei Kindern |
03.01.2008 08:26 Uhr |
Übergewicht bei Kindern
Andrea Hämmerlein, Berlin
Eine gefährliche Entwicklung zeichnet sich ab: Die Zahl der übergewichtigen Kinder ist in den letzten Jahren dramatisch gestiegen. Fachleute sprechen bereits von einer Epidemie. Daher wird es dringend Zeit, adipösen Kindern mehr Aufmerksamkeit zu schenken und Maßnahmen zum Gegensteuern zu ergreifen. Denn aus dicken Kindern werden meist dicke Erwachsene mit allen gesundheitlichen Folgen.
In Deutschland liegt derzeit der Body-Mass-Index (BMI) von rund 50 Prozent aller erwachsenen Frauen und 60 Prozent aller erwachsenen Männer über 25 kg/m2. Ein BMI von 25 gilt als Grenze für das Übergewicht. Auch bei Kindern und Jugendlichen hat die Zahl der Übergewichtigen und Adipösen alarmierend zugenommen. Neueste Daten zu Deutschland stammen aus dem Kinder- und Jugend-Gesundheitssurvey (KIGGS, 2003-2006) des Robert-Koch-Instituts. Danach sind hierzulande ungefähr 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen übergewichtig, was einer Zahl von 1,9 Millionen jungen Menschen entspricht. Im Vergleich mit Werten aus den 1990er Jahren bedeutet dies einen Anstieg um 50 Prozent. 6,3 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind sogar adipös, das entspricht ungefähr 800 000 der 1,9 Millionen. Diese Zahl hat sich auf Basis der selben Referenzwerte sogar verdoppelt, also um 100 Prozent erhöht.
Bewegungskiller TV und PC
Die Ursachen von Übergewicht und Adipositas sind vielschichtig und individuell sehr verschieden. In der Regel sind Fehlernährung, ein falsches Essverhalten und mangelnde körperliche Aktivität für die überflüssigen Fettpolster verantwortlich. Übergewichtige essen zu fett, zu viele kalorienreiche Zwischenmahlzeiten und trinken zu häufig gezuckerte Getränke.
Ein durchschnittliches Grundschulkind bewegt sich heute nicht mehr als eine Stunde am Tag. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass das Ausmaß übergewichtiger Kinder deutlich zugenommen hat, seitdem in deutschen Haushalten Fernseher, Videogerät und Computer Einzug gehalten haben. Statt Spiel und Sport bestimmen Fernseher und Computer die Freizeit vieler Kinder und Jugendlicher. Dieser Lebensstil fordert seinen Tribut. Eine erbliche Vorbelastung spielt ebenfalls eine Rolle. Nur in wenigen Fällen verursacht eine Erkrankung, zum Beispiel eine Hormonstörung, die überflüssigen Pfunde.
Übergewicht hat Folgen
Die Hoffnung vieler Eltern, das Übergewicht ihrer Kinder würde sich mit der Zeit »auswachsen«, ist falsch. Die Zahlen zeigen das Gegenteil: 40 Prozent der übergewichtigen Kinder und etwa 80 Prozent der übergewichtigen Jugendlichen werden auch dicke Erwachsene. Dicke Kinder von heute sind also die Patienten von morgen. So beobachten Mediziner bereits bei adipösen Kindern und Jugendlichen eine Reihe von Folgeerkrankungen, die früher erst bei Erwachsenen auftraten, so beispielsweise Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen sowie erhöhte Harnsäurewerte. Zudem steigt die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit Diabetes mellitus Typ 2. Der Typ-2-Diabetes war bislang unter dem Begriff »Altersdiabetes« bekannt, da nur erwachsene, alte Menschen mit Übergewicht erkrankten. Erste Berechnungen gehen gegenwärtig von 210 Neuerkrankungen im Kindesalter pro Jahr in Deutschland aus! Außerdem haben übergewichtige Kinder und Jugendliche zunehmend Konditionsprobleme sowie Muskelschwäche und Haltungsauffälligkeiten. Neuste Statistiken zeigen, dass für die meisten Unfälle bei Kindern eine motorische Ungeschicklichkeit verantwortlich ist.
Psyche leidet massiv
Die betroffenen Kinder und Jugendlichen sind allerdings zunächst nicht körperlich krank, sondern leiden vielmehr psychisch unter ihrem hohen Gewicht. Sie haben es wahrlich schwerer als ihre schlanken Altersgenossen, denn sie laufen ständig mit einem sehr schweren »Rucksack« aus überflüssigen Pfunden durchs Leben. Dies führt oft zu Hänseleien und Ausgrenzung. In der Folge leidet das Selbstwertgefühl der Kinder und Jugendlichen, mehr und mehr gehen sie ihren Spielgefährten aus dem Weg und ziehen sich zurück. Langfristig können dadurch starke psychische Probleme und Erkrankungen entstehen. In welchem Ausmaß übergewichtige Kinder und Jugendliche psychisch leiden, ergab eine Untersuchung: Übergewichtige Kinder empfinden einen mit krebskranken Kindern vergleichbaren Leidensdruck.
Zahlreiche Untersuchungen ergaben, dass der Body-Mass-Index (BMI) ein akzeptables Maß für die Gesamt-Körper-Fett-Masse ist. Der BMI errechnet sich aus dem Gewicht in Kilogramm im Verhältnis zum Quadrat der Körpergröße in Metern.
BMI = Körpergewicht (kg) : Körpergröße (m)2
Auch bei Kindern und Jugendlichen wird der BMI zur Definition von Übergewicht und Adipositas berechnet. Den BMI-Wert bei Kindern und Jugendlichen zu beurteilen, ist jedoch komplexer als bei Erwachsenen.
Dick oder nur rundlich
Durch das Wachstum, die Pubertät und die damit verbundenen Änderungen der Körperzusammensetzung verändert sich der BMI alters- und geschlechtsspezifisch. Deshalb gibt es für Kinder und Jugendliche je nach Alter und Geschlecht spezielle Referenzwerte, so genannte alters- und geschlechtsspezifische Perzentile. Diese Werte basieren auf einer Stichprobe von über 34 000 deutschen Kindern und Jugendlichen und können zur Einschätzung der individuellen BMI-Werte herangezogen werden. Laut Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) beginnt Übergewicht bei einem BMI > dem 90. Perzentil und Adipositas bei einem BMI > dem 97. Perzentil.
Wiegt ein Kind nach genauer Betrachtung und Berechnung tatsächlich für sein Alter und seine Körpergröße zu viel, stellt sich die Frage, wie es am besten abnehmen kann. Grundsätzlich sollten Eltern stark übergewichtiger Kinder und Jugendlicher das Vorgehen mit dem Arzt absprechen. Crash-, Blitz- oder Wunderdiäten, wie sie oft für Erwachsene angepriesen werden, sind für Kinder und Jugendliche absolut ungeeignet, da die begrenzte Nahrungszufuhr die Entwicklung und Gesundheit schwerwiegend stören kann. Eine schnelle Gewichtsabnahme ist überwiegend durch Wasserverlust bedingt und belastet den jungen Organismus sehr.
Abnehmen, aber wie?
Langfristig sinnvoll ist, die Energieaufnahme zu reduzieren sowie den Energieverbrauch zu erhöhen. Dosiertes Essen und Trinken, Sport und Spiel lassen die Fettdepots schwinden, da der Körper von seinen Reserven zehren muss. Ein Tipp: Kleine erreichbare Ziele ermutigen und machen Lust auf mehr. Überzogene Ziele, zum Beispiel eine Gewichtsreduktion um 20 Prozent oder das Anstreben des Idealgewichtes, führen nur zu unnötigem Frust.
Quelle: Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter
Der Faktor Zeit ist ebenfalls von großer Bedeutung für die Gesundheit und das Wohlbefinden. Kontinuierliche kleine Gewichtsverluste über einen längeren Zeitraum sind langfristig effektiver als eine starke Gewichtsabnahme in kurzer Zeit. Während einer Wachstumsphase reicht oft schon das Konstanthalten des Gewichts aus und kann bei Kindern das Mittel der Wahl sein. Im Gegensatz zu Erwachsenen kann man sich bei Kindern das Längenwachstum zur Gewichtsnormalisierung zu Nutze machen. Bei konstantem Gewicht, aber Zunahme der Körpergröße werden Kinder und Jugendliche automatisch schlanker.
Eltern können ihre Kinder beim Abnehmen unterstützen, indem sie Vorbild sind. Dazu gehört unter anderem auch, dass die Familie regelmäßige Mahlzeiten einhält; am besten drei Haupt- und bis zu zwei Zwischenmahlzeiten. Das hilft, Heißhungerattacken zu vermeiden. Ablenkungen beim Essen, zum Beispiel durch Fernsehen, Walkman oder Lesen, sind tabu. Außerdem sollten Eltern das Essen nie als Druck- oder Erziehungsmittel einsetzen. Zur Belohnung für gewünschtes Verhalten eignen sich gemeinsame Aktivitäten viel besser.
Besser zu Fuß unterwegs
Die langsame Gewichtsreduktion muss grundsätzlich durch eine Umstellung des Bewegungsverhaltens begleitet werden. Dabei gilt es zu bedenken, wie viel das Kind aufgrund seines überhöhten Körpergewichts leisten kann. Die Aktivität muss wohl dosiert gesteigert und die Kinder langsam an bewegungsintensivere Beschäftigungen herangeführt werden. Ein guter Beginn ist zum Beispiel, dass sie kleinere Wegstrecken grundsätzlich zu Fuß gehen oder das Fahrrad nehmen und nicht mit dem Auto gefahren werden. Weitere Bewegungstipps für Kinder und Jugendliche sind beispielsweise:
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