Neue Arzneistoffe im Dezember 2009 |
30.12.2009 10:20 Uhr |
Neue Arzneistoffe im Dezember 2009
von Sven Siebenand
Drei neue Arzneimittel wurden noch Ende des Jahres zugelassen. Ingesamt haben damit in den vergangenen zwölf Monaten rund 30 Wirkstoffe die Arzneistoffpalette auf dem deutschen Markterweitert. Informationen und Hinweise für das Beratungsgespräch zu den aktuellen Neulingen nennt der folgende Artikel.
Die chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD) ist eine, lebensbedrohliche, fortschreitende Lungenerkrankung, die die normale Atmung beeinträchtigt und den Patienten stark belastet. Atemnot, Husten und Auswurf sind die Hauptsymptome. Weltweit leiden rund 210 Millionen Menschen an COPD. Nach Aussage der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird sich COPD bis zum Jahr 2030 voraussichtlich zur dritthäufigsten Todesursache weltweit entwickeln. Die Erkrankung wird in der Regel durch Zigarettenrauch und andere schädliche Dämpfe verursacht, die mit den Jahren die Bronchien stark verändern. Sie verkrampfen leicht, schwellen zu und sind mit einer dicken Schleimschicht belegt, was den Luftstrom in der Lunge anhaltend blockiert und Atemnot hervorruft. Unter anderem helfen Bronchodilatatoren, die Atemwege in der Lunge weit zu stellen.
Neues COPD-Mittel
Mit Indacaterol (Onbrez® Breezhaler®, Novartis Pharma) ließ die Europäische Kommission im Dezember einen neuen Bronchodilatator für die Therapie erwachsener COPD-Patienten zu. Das ß2-Sympathomimetikum wirkt innerhalb von fünf Minuten und erweitert die Bronchien – bei nur einmal täglicher Gabe – 24 Stunden lang. Im Normalfall verengen sich die Bronchien nur, wenn über den Sympathikusnerv Adrenalin und Noradrenalin ausgeschüttet werden. ß2-Agonisten wie Indacaterol, Salmeterol oder Formoterol imitieren die Wirkungen der Botenstoffe, indem sie ß2-Rezeptoren auf der Oberfläche der Muskelzellen in den Bronchien aktivieren. Dadurch entspannt sich der Muskel, und es gelangt mehr Luft in die Lunge, wodurch wiederum die Atemnot des Patienten abnimmt. Zudem wird das Abhusten von Schleim erleichtert.
Die empfohlene Dosis besteht aus der einmal täglichen Inhalation des Inhalts einer 150-mg-Indacaterol-Kapsel. Vor allem Erkrankten, die schwer an COPD leiden, kann der Arzt auch die Höchstdosis von 300 mg verschreiben. Die Patienten dürfen die Kapseln nur mit dem in jeder Packung enthaltenen Inhalator anwenden. PTA und Apotheker sollten die Patienten auch darüber aufklären, dass Indacaterol nicht für die Notfalltherapie akuter Atemnotanfälle vorgesehen ist. Außerdem dürfen sie dieses Arzneimittel nicht mit anderen lang wirkenden ß2-Sympathomimetika kombinieren. Bei manchen Patienten senken ß2-Sympathomimetika den Kaliumspiegel im Blut zu stark. Deshalb sind Interaktionen zu beachten, wenn Indacaterol und Co. zum Beispiel mit Theophyllin, Steroiden oder nicht kaliumsparenden Diuretika, etwa Hydrochlorothiazid, Furosemid und Torasemid kombiniert werden. Betablocker können die Wirkung von ß2-Sympathomimetika abschwächen oder aufheben. Indacaterol sollte daher nicht gemeinsam mit Betablockern (einschließlich Augentropfen!) angewendet werden, es sei denn, ihre Anwendung ist zwingend erforderlich. Aufgrund fehlender Langzeitstudiendaten sollten Asthmatiker kein Indacaterol erhalten. Schwangere werden nur dann damit behandelt, wenn der erwartete Nutzen das potenzielle Risiko überwiegt.
Die häufigsten Nebenwirkungen waren Entzündungen des Nasenrachenraumes, Husten, Infektionen der oberen Atemwege und Kopfschmerzen. Diese Nebenwirkungen fielen in den meisten Fällen leicht oder moderat aus und nahmen bei Fortsetzung der Behandlung ab.
Weiteres Epoetin-Präparat
Die Bildung von Erythrozyten, die sogenannte Erythropoese, erfolgt im Knochenmark. Gesteuert wird sie durch das Hormon Erythropoetin, das in den Nieren produziert wird. Bei Patienten mit einem Mangel an Erythropoetin, zum Beispiel als Folge einer chronischen Niereninsuffizienz oder einer Chemo- oder Strahlentherapie, verordnen Ärzte Erythropoese-stimulierende Faktoren oder Epoetine.
Epoetin theta heißt der Wirkstoff in dem neuen, biotechnologisch hergestellten Präparat Biopoin® von der Firma CT-Arzneimittel. Das seit Anfang Dezember verfügbare Medikament wird eingesetzt zur Behandlung einer Anämie infolge chronischer Nierenerkrankung und bei Krebspatienten, die sich einer Chemotherapie unterziehen. Die Lösung ist in Fertigspritzen mit 1 000, 2 000, 3 000, 4 000 und 5 000 Internationalen Einheiten Epoetin theta je 0,5 ml Injektionslösung erhältlich. Sie kann subkutan oder intravenös angewendet werden. Falls der Arzt die Therapie eines anderen Epoetins mit Epoetin theta fortsetzt, sollte er die bisherige Art der Anwendung beibehalten. Subkutane Injektionen können in den Bauch, den Arm oder den Oberschenkel erfolgen.
Bei Hämoglobin-Schwankungen sollte der Arzt unter Berücksichtigung eines Hämoglobin-Zielwertes von 10 g/dl bis 12 g/dl die Dosis des neuen Wirkstoff entsprechend anpassen. In der Fachinformation wird empfohlen, den Hämoglobin-Spiegel bis zu seiner Stabilisierung alle zwei Wochen und danach in regelmäßigen Abständen zu kontrollieren.
Unter Epoetin theta erhöht sich bei manchen Patienten der Blutdruck, besonders zu Beginn der Behandlung. Daher muss der Arzt den Blutdruck engmaschig überwachen, denn in den durchgeführten Studien war die Blutdruckerhöhung eine der häufigsten Nebenwirkungen. Außerdem klagten die Patienten oft über Kopfschmerz, Hautreaktionen und grippeähnliche Erkrankungen. Erfahrungen für den Einsatz bei Kindern und Jugendlichen liegen nicht vor. Bei der Anwendung in der Schwangerschaft ist Vorsicht geboten. Um eine effektive Bildung der roten Blutkörperchen zu gewährleisten, muss vor und während der Behandlung der Eisenstatus der Patienten bestimmt werden. Die Gabe von Eisen wird empfohlen, wenn bestimmte Laborwerte unterschritten werden.
Neues Orphan Drug
Seit Anfang Dezember ist ein neues Orphan Drug (ein Mittel gegen seltene Krankheiten) auf dem Markt. Der Antikörper Canakinumab (Ilaris® 150mg Pulver zur Herstellung einer Injektionslösung, Novartis Pharma) ist zur Behandlung der erblich bedingten, seltenen, aber potenziell lebensbedrohlichen Krankheit CAPS (Cryopyrin-assoziiertes periodisches Syndrom) vorgesehen. CAPS sind eine Gruppe von Krankheiten, bei denen das Gen der Patienten, das das Protein Cryopirin produziert, defekt ist. Die Patienten können schon im Säuglingsalter an CAPS erkranken. Typischerweise leiden sie unter chronischer Müdigkeit, Fieber und Schmerzen. Außerdem entzünden sich besonders Haut, Augen, Knochen und Gelenke. Die Wirksamkeit von Canakinumab beruht auf der Blockade der körpereigenen Substanz Interleukin-1ß, die eine Schlüsselrolle bei Entzündungen und Gewebezerstörung spielt.
Canakinumab kommt für die Behandlung von Erwachsenen und Kindern ab vier Jahren infrage, sobald deren Körpergewicht mehr als 15 Kilogramm beträgt. Der verschreibungspflichtige Wirkstoff wird subkutan im 8-Wochen-Rhythmus injiziert. Für Patienten mit einem Körpergewicht bis 40 Kilogramm beträgt die empfohlene Dosis 2 mg pro Kilogramm Körpergewicht als Einzelinjektion alle acht Wochen. Für Patienten mit einem höheren Körpergewicht beträgt die empfohlene Dosis 150 mg alle acht Wochen. Wenn sich die Symptome nach einer Woche nicht bessern, kann der Arzt eine zweite Dosis verabreichen. Bessern sich damit die Symptome, sollte die doppelte Dosis, also 4 mg/kg KG beziehungsweise 300 mg, alle acht Wochen beibehalten werden. Nach einer Schulung dürfen sich Patienten das Arzneimittel auch selbst verabreichen. Vor Beginn der Therapie sollten sie alle empfohlenen Impfungen erhalten haben.
Als Nebenwirkung traten in Studien am häufigsten Nasen- und Rachenentzündung, Schwindel und Reaktionen an der Injektionsstelle auf. Patienten mit einer schweren Infektion dürfen den Antikörper nicht erhalten. Alle Patienten sollten deshalb während und nach der Behandlung mit dem Arzneimittel sorgfältig auf Symptome einer Infektion achten und umgehend ihren Arzt informieren, wenn sie diese beobachten. Ärzte sollten Schwangeren den Wirkstoff nur nach einer gründlichen Nutzen-Risiko-Abwägung verschreiben.
E-Mail-Adresse des Verfassers:
siebenand(at)govi.de