Zwischen Miliueu, Markt und Medien |
30.12.2009 10:20 Uhr |
Zwischen Milieu, Markt und Medien
von Annette Behr, Berlin
Anlässlich der 49. Fachtagung der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen in Potsdam erläuterteten die Expertenauf einer Pressekonferenz in Berlin ihr Konzept, mit dem sie Kinder und Jugendliche vor Alkoholmissbrauch schützen wollen.
Politiker sollten ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, damit alkoholgefährdeten sowie bereits alkoholabhängigen Kindern und Jugendlichen individuell geholfen werden könne, forderte Dr. Heribert Fleischmann von der Deutschen Hauptstelle für Suchtgefahren (DHS). »Kinder und Jugendliche sind die Hoffnungsträger unserer Gesellschaft«, so der Leiter einer Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik.
»Unsere besondere Aufmerksamkeit gilt den Kindern und Jugendlichen«, ergänzte Dr. Raphael Gaßmann, Geschäftsführer der DHS. »Sie vor Alkoholmissbrauch zu schützen, ist eines unserer wichtigsten Ziele. Hinter jugendlichem Komasaufen und Binge-Drinking stecken immer verantwortliche Erwachsene!« Mit Binge-Drinking ist der Konsum großer Mengen Alkohol in kurzer Zeit gemeint.
Es gäbe zahlreiche Gründe, weshalb Kinder und Jugendliche immer früher Alkohol konsumierten. Gaßmann wies darauf hin, dass nach wie vor Erwachsene den meisten Alkohol trinken. Mit 76,3 Prozent aller alkoholbedingten Notaufnahmen in den Krankenhäusern stellen sie die größte Gruppe dar. Oft sind die Erwachsenen ein schlechtes Vorbild für die junge Generation. Die DHS fordert daher vor allem Eltern und Lehrer auf, Kindern und Jugendlichen ein gutes Beispiel im Umgang mit Alkohol zu geben. Auch Gastwirte, Verkäuferinnen und Politiker müssten dazu beizutragen, dass junge Menschen nicht von der Einstiegsdroge Nummer 1, dem Alkohol, abhängig werden.
Immer mehr Kinder
Unter den 15-Jährigen haben immerhin 60,9 Prozent Erfahrungen mit Alkohol. Wer im jugendlichen Alter regelmäßig Alkohol konsumiert, schädigt seinen Organismus besonders gravierend. Deshalb sei die Entwicklung, dass immer mehr Kinder Alkohol trinken, so alarmierend, meinen alle Experten gemeinsam. Die Gefahr abhängig zu werden steigt, je früher ein Jugendlicher regelmäßig Alkohol trinkt. Viele Kinder und Jugendliche in Deutschland leben in Armut und ohne eine gute Bildung und Ausbildung. Oft haben sie nicht nur eigene Traumatisierungen zu bewältigen, sondern auch die ihrer engsten Familienangehörigen. Je unzureichender ihre Lebenskompetenz, desto höher das Risiko, süchtig zu werden. Ein niedriges Selbstwertgefühl, Schwierigkeiten im Erkennen und Ausdrücken von Gefühlen, fehlende Frustrationstoleranz und ungenügende Fähigkeit, Probleme zu lösen, können den Alkoholkonsum fördern.
Dabei sein und dazu gehören
Eine Milliarde Euro investieren Produzenten alkoholischer Getränke jährlich in Werbung. Fantasievolle Kinospots erzeugen sofort angenehme Gefühle: »Cowboy, Prärie und Pferde« wecken Abenteuerlust, »Segelschiff und blauer, weiter Ozean« Aufbruchstimmung und die »Strandparty in der Karibik« Urlaubslaune. Die Werbebranche versucht, diese Emotionen eng mit den Herstellermarken zu verknüpfen. Das Konzept der Imagewerbung der letzten 20 Jahre geht auf. Neueste Erkenntnisse der Psychologie und Hirnforschung nutzen die Werbefachleute dazu, das Unterbewusstsein zugunsten bestimmter Kaufentscheidungen zu beeinflussen. Diese Wirkung ist den Verbrauchern, besonders den Jugendlichen, nicht klar, vor allem ist sie unkontrollierbar. Der Alkoholkonsum wird verharmlost, ja sogar verherrlicht, indem Trinken mit Leistungssport, außergewöhnlichen Vergnügen und sexueller Attraktivität verbunden wird. Die Getränkeindustrie hat sich auf den Geschmack ihrer jungen Kundschaft konzentriert. Bier-Cola-Mixgetränke und Alkopops werden in Casting-Shows wie »Deutschland sucht den Superstar« umworben. Beim Konsum stellt sich bei den Jugendlichen ein Gemeinschaftsgefühl ein. Mädchen sollen auf den Geschmack kommen, indem Fruchtaromen und viel Zucker den unangenehmen Alkoholgeschmack überdecken.
Geplante Schutzmaßnahmen
Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern ist Deutschland ein »Alkohol-Billigland«. Wie bei allen Konsumgütern denken Menschen auch beim Kauf von alkoholischen Getränken: »Je preiswerter, desto mehr!« Steigt der Alkoholpreis, sinkt die verkaufte Menge an alkoholhaltigen Getränken. Besonders Jugendliche mit einem eingeschränkten finanziellen Budget reagieren auf Preiserhöhungen. Die DHS hält daher Steueranhebungen zur Preiserhöhung alkoholischer Getränke für eines der effizientesten Instrumente zur Reduzierung des Alkoholkonsums. Als weitere Forderungen formuliert die DHS:
Hilfen durch Selbsthilfe
In Deutschland bieten Selbsthilfegruppen wie »Al-Anon« und die »Guttempler« ein breites Spektrum an Hilfen. Bei den Al--Anon-Familiengruppen handelt es sich um eine Gemeinschaft von Angehörigen und Freunden von Alkoholikern, die ihre Erfahrungen miteinander teilen, gemeinsam Probleme lösen und aus der Gruppe Kraft und Hoffnung schöpfen. Al-Anon besteht seit über 50 Jahren. Derzeit existieren in 115 Ländern etwa 24000 Al-Anon-Gruppen und etwa 3500 Alateen Gruppen. In den »Alateen-Gruppen« treffen sich Kinder und Jugendliche und helfen sich gegenseitig, die Probleme zu bewältigen, die durch das Trinken eines anderen entstanden sind.
Die ebenfalls in Selbsthilfegruppen organisierten Guttempler sind in über 60 Ländern aktiv. Diese Organisation sieht in Alkohol und anderen Drogen eine ernste Bedrohung der Würde und Freiheit vieler Menschen. Die Guttempler haben sich unter anderem dazu entschieden, keine Drogen zu konsumieren. »Juvente« ist die unabhängige »Jugendabteilung« der Guttempler. In Juvente treffen sich junge Menschen im Alter von 12 bis 27 Jahren. Sie wollen alkoholfrei, rauchfrei und auch sonst drogenfrei leben. Die starke Maxime der jugendlichen Gemeinschaft lautet: »Wir glauben, niemand braucht Alkohol, Tabak und andere Drogen. Wir erleben und genießen das Leben bewusst. Und, wir müssen uns nicht verstellen, um cool zu sein.«
E-Mail-Adresse der Verfasserin:
blaubehr(at)gmx.net