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Reisediarrhö

Komplikationen vorbeugen

30.06.2017  09:49 Uhr

Von Brigitte M. Gensthaler / Etwa jeder dritte Fernreisende erkrankt an Reisediarrhö. Das ist unangenehm, aber in der Regel nicht weiter gefährlich. Um mögliche Komplikationen zu verhindern, müssen die Erkrankten unbedingt Elektrolyte und Flüssigkeit zuführen. Daher gehören Elektrolyt-Glucose-Präparate in jede Reiseapotheke.

Welche Medikamente PTA und Apotheker reiselustigen Kunden empfehlen können und für welche Wirkstoffe keine­ Evidenz vorliegt, erläuterte Professor Dr. Thomas Weinke vom Klinikum Ernst von Bergmann in Potsdam beim Pharmacon-Kongress im Mai in Meran. Dabei bezog er sich ausdrücklich auf die aktuelle S2k-Leitlinie zu gastrointestinalen Infektionen.

Reisediarrhö gilt als die häufigste Infektions­krankheit bei Fernreisen. Das Risiko hängt ab vom Urlaubsland und dem Reisestil, aber auch von persön­lichen Faktoren. So sind Menschen mit fehlender Magensäure-Barriere, zum Beispiel wegen der Einnahme von Protonenpumpenhemmern, oder Motilitätsstörungen im Magen-Darm-Trakt sowie Patienten mit Immunsuppression eher gefährdet. Die häufigsten Erreger­ der akuten Reisediarrhö sind Enterotoxin-bildende Escherichia coli (ETEC) und andere E.-coli-Stämme sowie zunehmend Noroviren und Clostridium difficile. Bei Patienten mit chronischem Durchfall muss der Arzt auch an einen Parasitenbefall des Darms denken, beispielsweise durch Amöben oder Lamblien.

Auch wenn es banal klingt: »Die Reisediarrhö tritt im Reiseland auf«, betonte Weinke. Das bedeutet: Sie stellt sich dort innerhalb der ersten Woche ein und endet nach drei bis fünf Tagen spontan. Normalerweise verläuft sie mild bis moderat. Weniger als 10 Prozent der Fälle verlaufen schwer mit blutigen Durchfällen, oft assoziiert mit Fieber.

Schnelle Hilfe mit oraler Rehydratation

Als Mittel der Wahl bei Reisedurch­fällen nannte Weinke die orale Rehydratation, also die Zufuhr von Glucose-Elektrolyt-Lösungen, international mit ORS (oral rehydratation salt) abgekürzt. Die ORS ist keine kausale Therapie und verkürzt auch nicht die Dauer des Durchfalls, aber sie verhindert Komplikationen wie Austrocknung, Blutdruckabfall (Hypotonie), Nierenversagen und somit Todesfälle. Für die Reiseapotheke empfahl der Arzt daher Glucose-Elektrolyt-Fertigpräparate.

Wie gefährlich sind Eiswürfel in Getränken?

Nur Hochprozentiges wie Tequila oder Scotch Whisky hält das Keimwachstum einigermaßen in Grenzen. In Soda, Cola oder Trinkwasser fühlen sich Keime wie E. coli, Salmonellen und Shigellen dagegen richtig wohl. Zu diesem Ergebnis kam ein Experiment, in dem der Einfluss verschiedener Getränke auf mit Keimen kontaminierte Eiswürfel untersucht wurde und das Professor Thomas Weinke in seinem Vortrag beim Pharmacon Meran vorstellte. Dies unterstreicht den bewährten Rat für alle Fernreisenden: Niemals Wasser trinken, das potenziell verunreinigt sein könnte, auch nicht in gefrorenem Zustand­.

Bei unkompliziertem Verlauf, aber ausgeprägtem Durchfall könne der Patient einen Motilitätshemmer wie Loperamid einnehmen, so Weinke. Laut Leitlinie jedoch maximal drei Tage lang. Ebenfalls eine Option sei der Enkephalinase-Hemmer Racecadotril, dessen aktiver Metabolit Thiorphan im Darm antisekretorisch wirkt. Bei kleinen Kindern sind Motilitätshemmer kontraindiziert. Erkrankte mit blutiger oder fieberhafter Diarrhö dürfen keine Motilitätshemmer und auch kein Racecadotril einnehmen, diese Arzneimittel sind dann kontraindiziert.

Analgetika wie Paracetamol oder Metamizol könne der Patient bei Bedarf einnehmen, jedoch keine Acetyl­salicylsäure und keine nicht-steroidalen Antirheumatika, so der Arzt. Bei Erbre­chen sind Antiemetika erlaubt. Übereinstimmend mit der Leitlinie bezog Weinke Stellung zu weiteren Mitteln: »Es gibt keine ausreichende Evidenz für den unterstützenden Einsatz von Tannin, Kaolin, Pektin und medizinischer Kohle. Daher sollten diese Substanzen nicht eingesetzt werden.« Auch für Probiotika gebe es keine generelle Empfehlung, da die Datenlage zu dünn ist. Möchte ein Kunde in der Apothe­ke jedoch unbedingt ein Pro­biotikum zur Prophylaxe kaufen, sollten PTA oder Apotheker ihm das Mittel nicht verweigern.

Grenzen der Selbstmedikation

Hält der Durchfall länger als drei Tage an, treten blutige Stühle auf oder kommen Symptome wie Fieber, Kreislaufschwäche und Apathie hinzu, ist der Arztbesuch unbedingt erforderlich. Auch den Wechsel von Diarrhö und Obstipa­tion sowie kolikartige Schmerzen müsse ein Arzt abklären, sagte Weinke. Als weitere Warnzeichen für schwerwiegende Erkrankungen nannte der Gastroenterologe andauerndes Erbrechen, unzureichende Flüssigkeitsaufnahme und einen schlechten All­gemeinzustand. Nehmen Kinder und ältere Menschen bei Durchfall nicht genügend Flüssigkeit zu sich, sind sie besonders gefährdet, Komplikationen zu erleiden.

Fragen für das Beratungsgespräch

Bei Patienten mit Durchfallbeschwerden sollte das Apothekenteam einige Details erfragen:

  • Wie äußern sich die Beschwerden, zum Beispiel in Stuhlganghäufigkeit und -konsistenz?
  • Seit wann besteht der Durchfall (ist er akut oder chronisch)?
  • Treten Begleitsymptome wie Fieber oder Bauchschmerzen auf?
  • Wurden die Beschwerden schon von einem Arzt abgeklärt?
  • Bestehen chronische Erkrankungen, zum Beispiel Darmerkrankungen oder Diabetes?
  • Welche Arzneimittel nimmt der Patient derzeit ein, zum Beispiel Antibiotika, Zytostatika oder motilitätsfördernde Medikamente?
  • Hielt sich der Patient vor Beginn der Beschwerden im Ausland auf?
  • Sind weitere Personen im Umfeld erkrankt?

Quelle: Vortrag Professor Weinke

»Die meisten Durchfallerkrankten brauchen kein Antibiotikum«, betonte Weinke. Ist aber auf Reisen die Selbsttherapie einer schweren Infektion notwendig, zum Beispiel weil kein Arzt erreich­bar ist, sollten die Erkrankten das Antibiotikum möglichst kurz einnehmen. Laut Leitlinie eignen sich (unter Berücksichtigung der regionalen Resistenzlage) Azithromycin einmal 1000 mg als Einzeldosis, Ciprofloxacin zweimal täglich 500 mg für drei Tage oder Rifaximin dreimal 200 mg ebenfalls für drei Tage. »Auch ein kurzfristiger Antibiotika-Einsatz muss sehr kritisch gesehen werden«, mahnte Weinke, denn viele Tropenrückkehrer brächten resistente Keime mit nach Hause. In der Beratung sollten PTA oder Apotheker Reisende darauf hinweisen, dass Antibiotika nicht gegen Viren und Parasiten wirken.

Bislang gibt es keine prophylak­tische Impfung gegen die zahlreichen Erreger der Reisediarrhö. Der orale Totimpfstoff gegen Cholera (Dukoral®) wirkt auch gegen ETEC, wird Reisenden aber nicht generell empfohlen. Bei Risiko­gruppen wie Patienten mit fehlender Magensäure-Barriere, Immunschwäche oder chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen sollten Arzt und Patient erwägen, ob die Impfung vor einer Fernreise nützlich ist. /