Magnesium plus Dehnen |
02.07.2018 15:06 Uhr |
Von Ulrike Viegener / Nachdem Chinin unter Rezeptpflicht gestellt wurde, steht zur Selbstmedikation von harmlosen, aber äußerst unangenehmen Wadenkrämpfen nur Magnesium zur Verfügung. Darüber hinaus sind regelmäßige Dehnübungen zu empfehlen.
Nächtliche Wadenkrämpfe treten im Sommer rund doppelt so häufig auf wie im Winter. In den USA ist laut einer entsprechenden Studie im Juli mit den meisten Episoden zu rechnen, während in Australien, wo »im Winter Sommer ist«, der Peak in den Januar fiel. Wieso Wadenkrämpfe eine solche saisonale Dynamik zeigen, ist nicht abschließend geklärt. Vermehrtes Schwitzen in den warmen Monaten könnte eine Rolle spielen, denn dies kann den Elektrolythaushalt zumindest bei starkem Flüssigkeitsverlust verschieben.
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Fast die Hälfte aller Deutschen hat gelegentlich mit Wadenkrämpfen zu kämpfen, die manchmal auch das Fußgewölbe und die Zehen erfassen. Die Krämpfe kommen ohne Vorwarnung, oft während des Schlafs und lösen sich in der Regel innerhalb von Minuten spontan. Gefühlt dauert es allerdings oft länger, bis der heftige Schmerz nachlässt und die steinharte Muskulatur wieder locker wird.
Besonders häufig betroffen sind Sportler, Schwangere und Senioren. Aus unterschiedlichen Gründen sind diese Personengruppen für Störungen im Elektrolythaushalt besonders anfällig. Sportler verlieren vermehrt Elektrolyte durchs Schwitzen. Ältere Menschen trinken häufig zu wenig, und Schwangere haben einen erhöhten Bedarf an einigen Mineralstoffen und Spurenelementen. Sind die Elektrolyte nicht ausbalanciert, können Reize zwischen Nerven und Muskeln nicht mehr optimal übertragen werden, was in vielen Fällen für harmlose Wadenkrämpfe verantwortlich sein dürfte. Magnesium spielt dabei eine wichtige Rolle. Allerdings muss bei häufiger auftretenden Wadenkrämpfen nicht zwingend ein Magnesiummangel vorliegen, wie dies manchmal automatisch angenommen wird.
Bewegungsmangel als Auslöser
Überbeanspruchung stellt einen weiteren Risikofaktor für Wadenkrämpfe dar, der vor allem bei (ungeübten) Sportlern zum Tragen kommt. Und auch Fehlstellungen der Füße muten der Wadenmuskulatur einiges zu, so dass eine verstärkte Krampfneigung resultieren kann. Dasselbe gilt für Muskelverkürzungen, wie sie bei vielen älteren Menschen anzutreffen sind. Das hat damit zu tun, dass sich ältere Menschen nicht mehr so viel bewegen. Regelmäßiges Training ist jedoch unerlässlich, damit Muskeln optimal funktionieren. Deshalb ist das Risiko von Muskelkrämpfen grundsätzlich bei Bewegungsmangel erhöht. Auch verklebte Faszien können nach aktuellem Verständnis in diesem Kontext eine Rolle spielen.
Magnesium-Brausetabletten können bei akuten Beschwerden schnell helfen.
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Wadenkrämpfe, die auf Elektrolytverschiebungen und/oder starke Muskelbeanspruchung zurückzuführen sind, werden als paraphysiologisch bezeichnet. Es gibt aber auch idiopathische Wadenkrämpfe, bei denen sich keine plausible Ursache ausmachen lässt. Abzugrenzen sind diese beiden Formen von symptomatischen Muskelkrämpfen, die Zeichen einer Grunderkrankung sind.
Wenn jemand wegen Wadenkrämpfen in die Apotheke kommt, steht die Ursachenforschung an erster Stelle. Ergibt sich der Verdacht auf eine ernste Grunderkrankung, ist den Betroffenen dringend ein Arztbesuch nahezulegen. Dies ist angezeigt bei sehr häufigen oder beidseitigen Wadenkrämpfen oder wenn Kribbeln, Taubheitsgefühle beziehungsweise Lähmungen die Krämpfe begleiten. Solche Symptome weisen auf Krankheiten des zentralen und peripheren Nervensystems hin, wobei der Arzt unter anderem Multiple Sklerose (MS), Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), das Restless Legs Syndrom und Polyneuropathien ausschließen sollte. Durchblutungsstörungen im arteriellen oder venösen Schenkel können ebenfalls für Wadenkrämpfe verantwortlich sein, und die Liste ließe sich fortsetzen, weshalb eine differentialdiagnostische Abklärung wichtig ist.
Dazu gehört auch eine Medikamentenanamnese, denn es gibt eine Vielzahl von Arzneimitteln, die als Auslöser für Wadenkrämpfe in Frage kommen. Medikamente, die Apotheker/PTA in dieser Hinsicht auf dem Schirm haben sollten, sind konjugierte Östrogene, Statine, Diuretika, Beta-Blocker, Calcium-Antagonisten, Beta-Sympathomimetika, Antidepressiva und Cholinesterasehemmer sowie unter anderem Raloxifen und Naproxen als einzelne Wirkstoffe.
Was die Leitlinie sagt
Die Therapieoptionen bei paraphysiologischen beziehungsweise idiopathischen Muskelkrämpfen sind begrenzt, zumindest, wenn man die Forderungen der evidenzbasierten Medizin zugrunde legt. In der 2017 veröffentlichten S1-Leitlinie »Crampi/Muskelkrampf« der Deutschen Gesellschaft für Neurologie werden als pharmakotherapeutische Optionen nur Chinin und Magnesium genannt. Das Dilemma: Chininpräparate sind die einzigen Medikamente, für die eine Wirksamkeit bei Muskelkrämpfen mit guter Evidenz belegt ist. Ihr Risikoprofil lässt diese Pharmaka aber für einen breiten Einsatz bei banalen Wadenkrämpfen ungeeignet erscheinen. Wegen seltener schwerer Nebenwirkungen, so heißt es in der Leitlinie, sollte Chinin erst in zweiter Linie und nur bei schwerer Ausprägung der Krämpfe eingesetzt werden. Für Magnesium andererseits liegen keine ausreichenden klinischen Studiendaten vor, aus denen sich eine evidenzbasierte Therapieempfehlung ableiten ließe. Trotzdem sprechen sich die Autoren der Leitlinie grundsätzlich bei Wadenkrämpfen für einen Therapieversuch mit Magnesium aus. Am besten sei die Wirkung von Magnesium bei Wadenkrämpfen in der Schwangerschaft belegt. Ausdrücklich wird in der Leitlinie auf die Zweckmäßigkeit regelmäßiger Dehnübungen bei öfter auftretenden Wadenkrämpfen hingewiesen.
Chinin nur noch auf Rezept
Die Wirksamkeit von Chininsulfat oder Hydrochinin in einer Dosis von 200 bis 400 mg zur Nacht ist dokumentiert. Demgegenüber steht die immunologisch vermittelte, dosisunabhängige Thrombozytopenie als potenziell gravierende Nebenwirkung. Sehr seltene Fälle von thrombotisch-thrombozytopenischer Purpura und hämolytisch-urämischem Syndrom sind beschrieben. Hämatologische Nebenwirkungen treten meist bereits innerhalb der ersten zwei Wochen auf, so dass Betroffene im Fall einer Behandlung mit Chinin von Anfang an auf Zeichen einer Gerinnungsstörung wie Nasenbluten und Hauteinblutungen achten sollen. Kardiale Reizleitungsstörungen sind eine weitere potenziell gravierende Nebenwirkung von Chinin. Vor diesem Hintergrund wurde Chininsulfat (Limptar®) mit Wirkung zum 1. April 2017 unter Verschreibungspflicht gestellt, wobei das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Sicherheitsauflagen kurz darauf noch einmal verschärfte. Die Verschreibungspflicht gilt auch für homöopathische Arzneimittel, in denen die Endkonzentration von Chinin die vierte Dezimalpotenz übersteigt. Im Unterschied zu Chinin besitzt Magnesium eine große therapeutische Breite.
Dehnübungen sind in der Therapie von Wadenkrämpfen leitliniengerecht.
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Überschüssiges Magnesium wird ausgeschieden, wobei weicher Stuhl beziehungsweise Durchfälle anzeigen, dass die Speicher gefüllt sind. Die Leitlinie empfiehlt bei häufigen, nachweislich harmlosen Wadenkrämpfen einen Behandlungsversuch mit Magnesiumaspartat, Magnesiumorotat oder Magnesiumoxid in einer Dosierung von ein- bis dreimal täglich 5 mmol oral. Vorsicht ist geboten bei Niereninsuffizienz, Herzrhythmusstörungen und Störungen der Endplattenfunktion. Aufgrund der bei vielen Patienten wechselnden Frequenz von Muskelkrämpfen gestaltet sich die Bewertung des Therapieeffekts im individuellen Fall oft schwierig. Die Leitlinie rät zu einem Auslassversuch nach dreimonatiger Behandlung. Gegen den Einsatz während der Schwangerschaft bestehen keine Bedenken. Es gibt Studien, die eine Wirksamkeit in dieser Indikation belegen, die Studienlage sei aber nicht eindeutig.
Breite Palette an Magnesiumpräparaten
Magnesiumpräparate zur Therapie von Wadenkrämpfen werden in verschiedenen Darreichungsformen und Dosierungen angeboten. Magnesium-Sandoz® zum Beispiel gibt es als Brausetabletten mit 121,5 mg Magnesium(-Aspartat) oder mit der doppelten Dosis für den Einsatz bei Magnesiummangelzuständen. Biolectra® Produkte, die Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel umfassen, enthalten Magnesiumoxid allein oder Oxid und Carbonat in Kombination. Unter anderem stehen Sticks mit Mikropellets zur Verfügung (Biolectra® Magnesium 300 mg Direct und 400 mg ultra), die ohne Flüssigkeit eingenommen werden und auch für den Akutfall unterwegs gut geeignet sind. Verla-Pharm bietet ebenfalls Arzneimittel (zum Beispiel Magnesium Verla® N Dragées) und Nahrungsergänzungsmittel wie Magnesium Verla® 300 in unterschiedlichen Darreichungsformen und guter Bioverfügbarkeit. Magnesium in verschiedenen Dosierungen und Darreichungsformen bieten außerdem die Produktpaletten von Magnesium Diasporal® und von Magnetrans®.
Darüber hinaus wird – jenseits der Leitlinie – über gute Erfahrungen mit Franzbranntwein berichtet, die darauf beruhen dürften, dass die Einreibung die Muskeldurchblutung ankurbelt. Franzbranntwein kann sowohl regelmäßig zur Prophylaxe als auch bei einem akuten Wadenkrampf hilfreich sein. In der Homöopathie werden vor allem Arnika, Mutterkorn, Tabak, Brechnuss und metallisches Zink in den Potenzen D12 bis D3 oder als Komplexmittel eingesetzt.
Eine bessere Durchblutung durch Wechselduschen erhöht die Chance auf ruhige Nächte.
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Dehnübungen demonstrieren
Allgemein anerkannt ist die Wirksamkeit regelmäßiger Dehnübungen. Vor dem Sport durchgeführt, beugen sie belastungsinduzierten Krämpfen vor. Bei wiederholt auftretenden nächtlichen Wadenkrämpfen wird regelmäßiges Dehnen der Wadenmuskulatur vor dem Schlafengehen empfohlen. Entsprechende Übungen sollten im Beratungsgespräch erläutert oder gar demonstriert werden. Zwei Beispiele: Das Bein im Sitzen durchstrecken und die Zehen in Richtung Oberschenkel ziehen, bis der Schmerz nachlässt. Alternativ wird das Standbein angewinkelt und das andere Bein gerade nach hinten ausgestreckt. Die Ferse wird fest auf den Boden aufgesetzt, und dann wird die Wade nach hinten durchgedrückt.
Auch darüber hinaus sollten im Beratungsgespräch nicht medikamentöse Maßnahmen besprochen werden, mit denen sich bei Neigung zu Wadenkrämpfen einiges erreichen lässt. Ausgewogene Ernährung ist die Basis, wobei mit Blick auf eine gute Magnesiumversorgung Vollkornprodukte und Nüsse zu empfehlen sind. Auf Alkohol sollte möglichst verzichtet werden. Sportlern mit Krampfneigung kann es helfen, vor Beginn eines ausgiebigen Trainings die Speicher mit Elektrolytgetränken aufzufüllen. Vor allem ältere Menschen profitieren von Bewegung, die die Beschwerden deutlich lindern kann. Regelmäßige Spaziergänge reichen dafür schon aus. Außerdem ist bequemes Schuhwerk wichtig. Regelmäßige kalt-warme Wechselduschen der Beine – immer in Richtung Herz – bringen die periphere Durchblutung in Schwung und können ebenfalls dazu beitragen, nächtliche Wadenkrämpfe zu reduzieren. /