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Kolumne

Urlaub nur für mich

03.07.2015  11:05 Uhr

Von Claudia Herwig / Von Zeit zu Zeit packe ich meinen Koffer und sage: »Abenteuer, ahoi!« Alleine zu verreisen braucht Mut, bringt aber auch großes Glück.

»Spinnst du jetzt?«, haben meine Eltern gesagt, als ich ihnen vor ein paar Jahren verkündete, dass ich meinen nächsten Urlaub auf Bali verbringen würde. Und zwar alleine. Zwei Wochen lang. Weit weg von zu Hause. Weit weg von meiner mich schützenden Umgebung. Just me, myself and I. Was mir dabei vorschwebte: Abenteuer, Entspannung und endlich mal mein Ding machen. Was meine Eltern dabei im Kopf hatten: Kind. Alleine. Weit weg. Gefahr.

Wäre es nach meiner Familie gegangen, wären ich und mein Koffer nicht in den Flieger gen Osten gestiegen. Wir hätten uns maximal für ein Wochenende in einer All-Inclusive-Clubanlage in Portugal eingebucht – und hätten dafür trotzdem noch mitleidige Blicke geerntet. Denn alleine in den Urlaub zu fahren, das ist doch nicht normal!

Reisen gehört schon immer zu meinen großen Leidenschaften. Als Kind kletterte ich mit meinen Eltern durch die Bergwelt Italiens. Als Teenager machte ich mit ihnen entspannte Urlaube auf spanischen Inseln. Und als Abi­turientin ging es auf eine abenteuerliche Rucksacktour quer durch Australien. Doch bis dato hatte ich meine Trips immer in Begleitung unternommen. Dann kam aber die Zeit, in der ich aus den Urlauben mit meinen Eltern sowohl körperlich als auch psychisch herausgewachsen war, meine Freunde aber keine Zeit, kein Geld oder schlichtweg keine Lust hatten, mich zu begleiten. Da fing ich an, alleine in die Welt zu ziehen. Denn Abenteuer darf man nicht warten lassen! Ich fühlte mich wie die Tochter von Christoph Kolumbus und Mary Kingsley. Schiff Ahoi und Abenteuer voraus! Und ich hätte mit Sicherheit Kurs auf eine Weltumsegelung gehalten, wären da nicht die vielen Fragen gewesen, die von Zeit zu Zeit drohten, mir den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Keine Angst

Wissen Sie, was das Schlimmste ist: Dass es in der heutigen Gesellschaft immer noch genauso abnorm ist, wie als in München lebender »Zuagroaster« keine »Haxn« zu mögen. »Du isst kein Schweinefleisch?« spiegelt das gleiche Maß an Empörung wider wie »Du willst alleine verreisen?«. Wer als Frau alleine eine Reise antritt, muss sich zu allererst einem Dschungel bohrender Fragen stellen. Das ist zumindest meine Erfahrung. Von »Hast du keine Angst?« über »Und wenn dir was passiert?« bis hin zu »Wird dir da nicht langweilig?« und »Hast du niemanden, der mit dir in den Urlaub fährt?« Mir kommen die Tränen! Nur weiß ich nicht, ob vor Lachen oder Wut. Schon mal daran gedacht, dass alleine reisen sogar Spaß machen kann?

Alleine zu verreisen ist die Königs­disziplin unter den Urlaubtrips. Und ich trainiere stetig dafür. Denn auch ich bin nicht als Alleinreisende auf die Welt gekommen. Im Gegenteil. Ich bin ein Nesthäkchen, von kleiner schmächtiger Statur, sehe schon immer jünger aus, als ich bin, und wurde – wahrscheinlich um meine Schmächtigkeit zu kaschieren – in meinen jüngsten Jahren doppelt und dreifach in Watte gepackt. Einfach alleine losziehen – als Teenager für mich undenkbar. Und für die, die sich in meinem Umfeld bewegten, umso mehr. Ich musste lernen, mir das Alleinesein zuzutrauen. Musste lernen, Fremde um Hilfe zu bitten. Lernen, in bestimmten Situationen Dinge alleine zu stemmen. Aber was ich noch schneller lernte, als meine Ängste zu überwinden: die Vorteile des Alleinereisens zu genießen. Wer alleine reist, muss auf niemanden Rücksicht nehmen. Wer allein reist, stärkt sein Selbstbewusstsein. Wer alleine reist, kommt sich selbst näher. Und wer partout nicht allein sein kann, der bleibt besser zu Hause. Die Berliner Autorin und Kolumnistin Johanna Merhof schrieb in einem ihrer Texte über das Alleinesein: »Allein sein zu können, ist Freiheit. Und Freiheit ist der Anfang von Glück.« Ich finde, jeder sollte im Leben mindestens einmal von diesem Glück gekostet haben.

Alleine sein erfordert Mut

Natürlich ist allein reisen nicht immer schön. Ich gebe zu: Es gab Momente, in denen habe ich meine Abenteuerlust verflucht. Zum Beispiel in meiner ersten Nacht auf Bali, in der ich auf dem Bett eines morschen dunklen Bungalows in einer dunklen Hotelanlage am noch viel dunkleren Stadtrand des balinesischen Ballermanns namens Kuta lag. Grund Nummer 1 für meine Angst: die Dunkelheit. Grund Nummer 2: das alkoholisierte Pärchen, das sich in meinem Nachbarzimmer mitten in der Nacht so sehr prügelte, dass bei mir im wahrsten Sinne des Wortes die Pappwände wackelten. Ich rief in der Rezeption an, zog mir die Decke so fest es ging über den Kopf und wartete bis zum Sonnenaufgang. Dann packte ich meine Sachen und checkte aus.

Manchmal macht man als Alleinreisende auch Dinge, die im Nachhinein naiv erscheinen – und erschrickt vor sich selbst. Einer meiner Schockmomente: Eine Taxifahrt, bei der ich auf dem Rücksitz eines klapprigen Mofas saß, das von einem fünfzehnjährigen Balinesen gesteuert wurde. Mitten in der Nacht bretterten wir zwanzig Minuten lang zwischen den dunklen Reisfeldern umher. Helm, feste Straßen, andere Menschen: Fehlanzeige. Was für balinesische Verhältnisse Normalität ist, wäre in den Augen mancher ein sicheres Ticket in den Tod. Durch Unfall oder Verscharren nach Überfall. »Das ist die perfekte Gelegenheit, dich auszurauben und dir danach die Reis-Pflänzchen von unten zu zeigen«. Das würde meine Mutter wohl sagen. Und auch ich denke im Nachhinein: ein ganz schönes Abenteuer. Aber hey, ich lebe noch!

Und dann kommt dieser Moment, in dem ich mich frage: »Was mache ich hier eigentlich?« Da hilft nur noch eines: sich besinnen und daran erinnern, warum ich alleine losgezogen bin. Nämlich, um über mich hinauszuwachsen und auf die Barrikaden zu gehen. Denn alleine reisen ist eine Rebellion gegen die Angst. Wer zu viel Angst vorm Leben hat, bleibt besser zu Hause.

Table for one

Schlimm sind für mich nicht die Momente, in denen ich Angst habe. Es sind auch nicht die Situationen, in denen ich mich langweile. Was mir auf Reisen am meisten Mut abverlangt: alleine essen zu gehen. Das klingt zunächst schwachsinnig, ist aber so. Ich kann mich noch an Abende erinnern, an denen ich auf meinem Hotelzimmer lieber eine trockene Scheibe Toastbrot hinunter geschlungen habe, als mich auch nur einen Schritt aus meinen vier Wänden heraus zu wagen. Mein Tipp: Wer alleine auf Reisen ist, sollte sich in Bezug aufs Essengehen an drei Regeln halten. Nummer 1: Nehmen Sie ein Buch oder etwas zu Schreiben mit. Das wirkt wie ein Schutzschild gegen schräge Blicke und Unsicherheit. Nummer 2: Setzen Sie sich nicht in das Restaurant mit dem höchsten Pärchenanteil. Denn dort helfen auch Buch und Schreibblock nicht mehr gegen das komische Gefühl. Und Nummer 3: Kommen Sie erst gar nicht auf die Idee, alleine in Ihrem Hotelzimmer zu versacken. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass Sie den Abend mit sich selbst verbringen. Aber vielleicht lernen Sie ja gerade dann einen zauberhaften Menschen näher kennen. /

Die Autorin

Claudia Herwig arbeitete nach ihrer Ausbildung zur PTA sieben Jahre in einer Apotheke in Frankfurt am Main. Nach einem Kunstpädagogik-Studium ist sie heute als Online-Redakteurin in München tätig.

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