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HIV-Prävention

Update zu PEP und PrEP

17.07.2018  09:54 Uhr

Von Verena Arzbach, Köln / Die Lebenserwartung HIV-Infizierter ist dank guter Therapiemöglichkeiten heute fast so hoch wie von Gesunden. Antiretrovirale Medikamente können – werden sie von Gesunden eingenommen – auch Infektionen verhindern. Dr. Stefan Esser vom Universitätsklinikum Essen gab beim Kongress für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin einen Überblick über den Stand von Prä- und Postexpositionsprophylaxe.

»Der Schrecken der HIV-Infektion hat in den vergangenen Jahren rapide abgenommen. Das bedeutet unter anderem, dass Kondome seltener zum Schutz eingesetzt werden«, sagte Esser bei einem Symposium der Deutschen Aids­gesellschaft im Rahmen des Kongresses in Köln. Daher sei es wichtig, weitere Präventionsmöglichkeiten anzubieten.

Eine Postexpositionsprophylaxe (PEP) muss möglichst schnell nach einem­ Kontakt mit relevantem Über­tragungsrisiko des HI-Virus erfolgen. Als relevant wird das Risiko eingestuft, wenn eine HIV-negative Person Kontakt mit einem HIV-Infizierten mit nachweisbarer Viruslast hat. Wird die mit HIV infi­zierte Person erfolgreich mit anti­retroviralen Medikamenten behandelt (Viruslast unter 50 Viruskopien/ml Blut), gehen Experten dagegen meistens von einem nicht relevanten Risiko aus. Am höchsten sei die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung bei der gemeinsamen Verwendung von Injektionsutensilien, berichtete Esser, etwa beim Drogenkonsum. Ein hohes Risiko bestehe aber auch bei ungeschützten sexuellen Kontakten, besonders bei Analverkehr.

Je früher die PEP beginnt, desto wirksamer ist sie. Die Therapie soll laut den Empfehlungen der Deutsch-Öster­reichischen Leitlinien (von 2013, werden derzeit überarbeitet) innerhalb von 72 Stunden nach der Exposition be­ginnen. Standardmäßig wird eine Kombination aus Tenofovir, Emtricitabin und Raltegravir gegeben, die täglich über vier Wochen eingenommen werden muss.

Erfolg der PrEP

Um die Präexpositionsprophylaxe (PrEP), bei der die Medikamente regelmäßig und damit schon vor ris­kan­ten Kontakten eingenommen werden­, gebe es derzeit einen großen Hype, wie Esser berichtete. Nicht ganz unberechtigt, denn laut dem Mediziner könne man mit der vorbeugenden Einnahme Schutzraten von mehr als 90 Prozent erzielen – »vorausgesetzt, die Tabletten werden tatsächlich regelmäßig und zuverlässig eingenommen«. Geeignet ist die PrEP für nicht HIV-infizierte Menschen­, die einem erhöhten An­steckungsrisiko ausgesetzt sind. Durch die einmal tägliche Einnahme einer Ta­blette mit Emtricitabin und Tenofo­vir­disoproxil (Truvada® und Generika) können sie einer HIV-Infektion vorbeugen.

Die IPERGAY-Studie aus Frankreich und Kanada hat gezeigt, dass bei der PrEP auch eine anlassbezogene »On-Demand«-Einnahme möglich ist. Im Rahmen der Studie nahmen Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), 24 Stunden bis spätestens zwei Stunden vor einem sexuellen Kontakt zwei Truvada-Tabletten ein, dann am ersten­ und zweiten Tag nach dem Sex je eine Tablette täglich. »Auch hier konnte eine relative Risiko-Reduktion von 86 Prozent erreicht werden«, so Esser. Eine Zulassung haben Truvada und die generischen Präparate bisher allerdings nur für die regelmäßige Ein­nahme. Die phasenweise Anwendung erfolgt also off-label.

»Eine Frage in der Praxis ist, wer eine PrEP bekommen soll«, so Esser. Seit einigen Wochen gibt es erstmals auch Deutsch-Österreichische Leitlinien für den Einsatz der PrEP. Sie regeln, wie die PrEP verordnet, eingenommen und ärztlich begleitet werden soll. Demnach sollen­ Ärzte Personen mit »substanziellem Risiko« für eine HIV-Infek­tion eine PrEP anbieten. Hinweise auf ein generell erhöhtes Risiko für eine HIV-Infektion sind laut Esser zum Beispiel eine kürzlich erworbene sexuell übertragbare Infektion (STI) oder die Einnahme einer­ PEP in der Vergangenheit, da das auf ein riskantes Sexualverhalten schließen lasse.

Bedingungen für den Start einer PrEP sind ein negativer HIV-Test zu Beginn­ der Einnahme und ein weiterer vier Wochen später, außerdem Aufklärung und Beratung. Während der Einnahme sollen alle drei Monate ein HIV-Test sowie Tests auf weitere STI erfolgen, damit diese schnell behandelt werden können.

Keine Kostenübernahme

In Deutschland nehmen aktuell etwa 4500 Menschen eine PrEP ein. Die Kosten von mehreren Hundert Euro pro Monat müssen sie selbst tragen, die Krankenkassen zahlen weder die Medikamente noch die Betreuung durch den Arzt. PrEP-Nutzer seien aktuell vor allem homosexuelle Männer mit hohem­ Bildungsstand und überdurchschnittlichen finanziellen Möglich­keiten, führte Esser aus. Anderen Perso­nen mit hohem Ansteckungs­risiko, etwa im Drogen- und Sexarbeitermilieu, bliebe zurzeit der Zugang­ aufgrund des hohen Preises verwehrt.

Seit Oktober 2017 ist die PrEP dank einer Initiative des Kölner Apothekers Erik Tenberken zumindest erschwinglicher geworden. Während man für das Original-Präparat Truvada oder ein entsprechendes Generikum mehrere Hundert Euro pro Monat zahlt, belaufen sich die Kosten bei Tenberken auf 50 Euro monatlich. Der Trick: Die Tabletten werden in seinem Unternehmen »Kölsche Blister« umgepackt und einzeln ver­blistert. Die Firma Hexal gewährte dafür Rabatte und machte so die günstigere Blister-PrEP möglich. Inzwischen hat Ratiopharm nachgezogen und bietet sein Präparat für knapp 70 Euro monatlich an.

Noch zu viele Neuinfektionen

Für viele ist das immer noch zu teuer. Das Potenzial der PrEP könne auf Selbstzahlerbasis nicht sinnvoll genutzt­ werden, kritisierte die Ärztin Dr. Christiane Cordes aus Berlin beim Sympo­sium. Gerade für Deutschland wären bessere Präventionsmöglichkeiten aber wünschenswert, denn hier stagniert die Zahl der HIV-Neuinfektionen seit Jahren. Im Jahr 2016 haben sich rund 3100 Menschen neu mit dem Virus­ in­fiziert. Seit 2006 ist die Zahl unverändert, in anderen westlichen Ländern sinkt die Quote aber spürbar. In Frankre­ich oder Australien etwa be­obachten Forscher einen verstärkten Rückgang, der zeitlich mit der Zu­lass­ung der PrEP zusammenfällt.

Zwar soll die PrEP keine Alternative, sondern ein Zusatz zum Kondom­gebrauch sein. In der Praxis sieht das allerdings anders aus: Es sei ein großes Pro­blem, dass viele PrEP-Nutzer auf Kondome verzichten, sagte Esser. Denn die Ta­bletten schützen nicht vor einer STI wie Syphilis oder Gonorrhö. »STI werden­ in Zukunft zunehmen, darauf müssen Ärzte­ achten«, sagte er. Das gilt auch für mögliche Neben­wirkungen und R­esis­tenzentwicklungen. /