Keine leichte Fragestellung |
02.08.2016 11:15 Uhr |
Von Ingrid Ewering / An ihrem dritten Arbeitstag in der Elefanten-Apotheke übergibt die langjährige PTA der PTA-Praktikantin ein Rezept mit der Bitte, die verordnete Rezeptur anzufertigen. Aufgrund der Vielzahl der aufgeführten Bestandteile runzelt die Praktikantin zunächst die Stirn, beginnt dann aber sofort mit der Plausibilitätsprüfung.
Als die erfahrene Kollegin den unglücklichen Gesichtsausdruck der Praktikantin sieht, muss sie schmunzeln: »Das war Frau Lustig, die für ihren Mann bereits häufig diese Rezeptur bei uns anfertigen ließ. Finde doch einmal heraus, welche Aufgaben die Bestandteile haben!«
Also geht die Praktikantin die einzelnen Substanzen der Reihe nach durch und ruft sich deren Eigenschaften in Erinnerung. Spontan fällt ihr aus dem Galenikunterricht ein, dass Harnstoff und Glycerol zu den Feuchthaltemitteln gehören. Außerdem hat sie gelernt, dass Urea pura oft rekristallisiert und dann auf der Haut kratzt, was nicht sein darf. Kaliumsorbat ist das Konservierungsmittel. Sorbitane sowie Macrogole sind ihr geläufig als Emulgatoren. Als grenzflächenaktive Stoffe vermitteln sie zwischen Öl und Wasser.
Ohne Fettphase
Plötzlich hält die Praktikantin in ihren Überlegungen inne und stutzt: »Es fehlt die Fettphase!« »Das hast du gut erkannt«, lobt ihre Kollegin. »Aber es fehlt noch etwas ganz Wichtiges: nämlich wasserfreie Citronensäure, sonst verkeimt die Creme! Denke bitte daran, dass in der vorliegenden Rezeptur das eigentlich konservierende Agens die Sorbinsäure ist!« Die Emulsion enthält zwar Kaliumsorbat, das sich problemlos bei Raumtemperatur löst. Doch wenn nach dem Emulgieren die wasserfreie Citronensäure zugefügt werden muss, entsteht aus dem Kaliumsalz die Sorbinsäure (siehe auch Kasten), die die Wasserphase vor mikrobiellem Befall schützt.
3 Kaliumsorbat + wasserfreie Citronensäure → Kaliumcitrat + 3 Sorbinsäure (Salz der Sorbinsäure + stärkere Säure → Salz + freies Konservierungsmittel)
Nach kurzem Überlegen ruft die Praktikantin überrascht: »Jetzt habe ich endlich den Merksatz aus meiner PTA-Schulzeit begriffen: Die stärkere Säure verdrängt die schwächere aus ihrem Salz!«
Gewissenhaft überprüft die PTA die verordnete Rezeptur.
Foto: Shutterstock/wavebreakmedia
»Wie kannst du denn herausfinden, ob es sich um eine officinelle Grundlage handelt?«, fragt die Kollegin weiter. Ratlos zuckt die Praktikantin mit den Schultern. »Dann nimm doch bitte die Tabellen der Rezeptur des DAC/NRF und schlage unter dem Stichwort Tenside – Emulgatoren und Solubilisatoren nach.«
Überrascht stellt die Praktikantin fest, dass Dr. Dermus die hydrophile Basisemulsion DAC meint. Dies bestätigt ihre Kollegin: »Wir haben deshalb schon so häufig mit der Praxis gesprochen, aber das Rezept sieht trotzdem immer gleich aus. Sie vergessen einfach zwei Bestandteile: 0,07 % Kaliumsorbat sowie 5 % mittelkettige Triglyceride.«
Zwei Emulgatoren
Im Kommentar zur Stammzubereitung der Basisemulsion DAC (NRF S.25.) findet die Praktikantin auch die Erklärung, warum die Rezeptur zwei Emulgatoren enthält: Macrogol-8-stearat, einen starken O/W-Emulgator, und Sorbitanmonostearat, einen schwachen W/O-Emulgator. Eigentlich hatte sie die Faustregel gelernt: Mische nie unterschiedliche Emulgatoren. Doch zusammen bilden sie einen sogenannten Emulgatorkomplex, so steht es im Kommentar.
Daraufhin erklärt die PTA-Praktikantin lebhaft, dies hätte ihre Galeniklehrerin sehr gut erklärt. Sie nimmt ein Blatt Papier und malt einen Kreis gelb aus: »Das ist die Ölphase. Der O/W-Emulgator Macrogolstearat liegt mit dem mächtigen hydrophilen Strukturteil in der Wasserphase dispergiert vor; die lipophile Spitze dagegen mischt sich mit den mittelkettigen Triglyceriden.« Mit diesen Worten zeichnet sie große blaue Dreiecke um die Ölphase und erläutert, dass so eine O/W Emulsion entsteht.
»In die freien Zwischenräumen schiebt sich das schwache W/O-Tensid Sorbitanmonostearat«, das sie als orange kleine Dreiecke in die bereits gebildete Mizelle malt. »Auch für diesen Emulgator gilt: Lipophile Strukturen ragen in Fett- und hydrophile in die Wasserphase (siehe auch Grafik).
Bestandteile der Hydrophilen Harnstoff-Emulsion (NRF 11.72.) | ||
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5 % | 10 % | |
Harnstoff | 5,0 g | 10,0 g |
Milchsäure (90%) | 1,0 g | 1,0 g |
Natriumlactat-Lösung (5o %) | 4,0 g | 4,0 g |
Hydrophile Basisemulsion DAC (Vorschrift S.25) | zu 100,0 g | zu 100,0 g |
Die beiden Emulgatoren stabilisieren Öl- und Wasserphase durch Komplexbildung.
So rückwärts eingeparkt stabilisiert das bei Raumtemperatur feste Sorbitanmonostearat die vorliegende O/W-Emulsion trotz seines umgekehrten Tensidcharakters und ist gleichzeitig der Strukturbildner«, erläutert sie stolz.
Hydrophile Basisemulsion
Die früher als hydrophile Hautemulsionsgrundlage bezeichnete Emulsion besteht aus 7 Prozent Fettanteil und 93 Prozent hydrophiler Phase. Diese wiederum setzt sich zusammen aus 86 Prozent Wasser sowie 4,3 Prozent Glycerol, das als nichtflüchtige Komponente die Haut längerfristig feucht hält. Durch den Zusatz des natürlichen Feuchthaltefaktors Harnstoff mit seinen sehr guten Wasserbindungskapazitäten werden die oberen Hautschichten rasch mit Feuchtigkeit gesättigt. Herr Lustig leidet unter atopischer Dermatitis und setzt die Harnstoffemulsion nach dem Duschen großflächig zur Soforttherapie seiner trockenen, juckenden sowie schuppenden Haut ein, berichtet die PTA. Die Creme ließe sich sehr gut verteilen, ohne dass ein lästiger Fettfilm zurückbleibt. Deshalb wird sie von den Patienten besser akzeptiert als lipophile Zubereitungen. Leider erreicht die hydrophile Emulsion keine tieferen Hautschichten und der Therapieerfolg ist lediglich kurzfristig.
Nach der Plausibilitätsprüfung muss die Praktikantin nun die Herstellung planen. Also fragt ihre Kollegin: »Wie würdest du die Zubereitung herstellen?« »Harnstoff ist in Wasser im Verhältnis 1:1 löslich«, antwortet sie rasch. »Verdunstet das Wasser, entstehen grobe Kristalle, die ab einer Korngröße von 200 µm auf der Haut spürbar sind. In der wasserreichen Basisemulsion dürfte die Rekristallisation nicht problematisch werden«, überlegt die Praktikantin laut. »Ja. Alles korrekt, aber komme bitte auf die Ausgangsfrage zurück!«, unterbricht die Kollegin.
»Wir haben bei hydrophilen Grundlagen den Harnstoff einfach aufgestreut. Das Lösen geschieht unter Wärmeentzug aus der Umgebung, also als endotherme Reaktion. Die Zubereitung könnte sich kalt anfühlen. Man ist deshalb geneigt, Wärme zuzuführen. Dies sollte bei wasserhaltigen Harnstoffrezepturen immer vermieden werden«, fasst sie ihr Schulwissen zusammen.
Das richtige Abgabegefäß
»Ja, aber kannst du mir bitte erklären, warum nicht erwärmt werden soll«, fragt die PTA. Daraufhin schlagen beide gemeinsam in einem Lehrbuch das chemische Verhalten von Harnstoff nach. Schnell wird ihnen aus der Strukturformel klar, dass Harnstoff bei Wärme in CO2 und NH3 zerfällt. »Das gebildete Kohlendioxid könnte Aluminiumtuben im Sommer aufblähen. In Spenderdosen passiert dies nicht, da diese für Gase durchlässig sind. Problematisch ist die Ammoniakbildung: Die starke Base reagiert mit sauren Bestandteilen der Rezeptur. Deshalb muss zum Schutz der Sorbinsäure ein Puffer zugesetzt werden. Dies kannst du im Kommentar zur Hydrophilen Harnstoff-Emulsion (NRF 11.72.) nachlesen«, berichtet die erfahrene PTA.
»Handelt es sich etwa um eine standardisierte Rezeptur!«, ruft entrüstet die Praktikantin und schlägt schon die entsprechende Seite im NRF auf (siehe Tabelle). Dort liest sie: »In einer tarierten Fantaschale werden Harnstoff, Milchsäure und Natriumlactat-Lösung mit Hydrophiler Basisemulsion DAC verrührt. Dabei stellt sich der pH-Wert mit 4,2 sehr hautfreundlich ein und die Zubereitung wird dünnflüssiger.« »Dies passiert aufgrund des thixotropen Verhaltens«, erklärt die PTA. »Die Zubereitung verhält sich wie Ketchup, das bei mechanischer Belastung wie Schütteln dünnflüssiger wird. Deshalb ist die Harnstoff-Emulsion in einer Schüttelmixtur-Flasche mit Klappscharnierverschluss abzugeben und auf dem Etikett darf der Hinweis ›vor Gebrauch schütteln‹ nicht fehlen.«
»Ja, sollte Dr. Dermus nicht darüber informiert werden, dass es sich bei der Verordnung um eine standardisierte Rezeptur handelt? Unter dem Stichwort ›Tools‹ sind Musterbriefe zur Kommunikation mit dem Arzt hinterlegt«, fragt die PTA-Praktikantin und bespricht dies mit dem Apothekenleiter. /
Rezeptur-Videos
Rezepturprobleme? PTA-Forum hilft in kurzen, aber sehr informativen Videos auf YouTube weiter – von der Herstellung von Kapseln oder Gels bis hin zum richtigen Wiegen oder wie man Inkompatibilitäten vermeidet.
→ zu den Rezeptur-Helfern auf Video