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PTA-Praxisworkshop

Bauchschmerz im Blickpunkt

31.07.2017  14:22 Uhr

Von Christiane Berg / Der 11. PTA-Praxisworkshop der Apothekerkammer Schleswig-Holstein fand im Breklumer Christian-Jensen-Kolleg im Herzen Nordfrieslands statt und war dem Thema »Bauchschmerzen: Was tun?« gewidmet.

In vielen Fällen grenzt die Ursachensuche für gastrointestinale Beschwerden an echte Detektivarbeit, so Jutta ­Clement, Leiterin der »Akademie für pharmazeutische Fortbildung und Qualitätssicherung« der Apothekerkammer Schleswig-Holstein, Kiel.

»Schließlich liegen zahlreiche Organe des Menschen im Bauchraum und noch mehr Möglichkeiten kommen als Ursache für Störungen und Dysfunktionen in Betracht«, sagte die Organisatorin des Kongresses. Daher habe die Kammer die häufigsten Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes in den Fokus der diesjährigen PTA-Fortbildung am 8. und 9. Juli 2017 gestellt. »In der Apotheke gilt es jeden Tag, Kunden- und Patientenwünsche zu erkennen und dabei auch Vorbehalte oder gar Ängste vor Medikamenten zu nehmen, zumal der Patient immer auch gezielte Vorstellungen im Kopf hat und manchmal nur bestimmte Antwor­ten akzeptiert. Dies alles schaffen wir nur durch Wissen«, konstatierte bei der Eröffnung des Kongresses der Vizepräsident der Apothekerkammer Schleswig-Holstein, Volker Thode.

Thode zeigte sich erfreut über die wie auch in den vergangenen Jahren hohe Teilnehmerzahl. »Ihr zahlreiches Erscheinen zeigt, wie ernst Sie Ihre Beratungstätigkeit nehmen«. Die Apotheke müsse konkrete Beratungsfakten bieten. Eines der besten Arzneimittel sei das Wort.

Durchfall, Verstopfung, Säureblockade bei GERD, Nahrungsmittel-­Unverträglichkeiten: Beim diesjährigen Kongress zeigten die Referenten Ursachen, Diagnose und Therapie der häufigsten Krankheitsbilder im Magen-Darm-Bereich auf. Dabei kamen allopathische und homöopathische Arzneimittel zur Sprache.

Ob Schwangere, Stillende, Kinder, Erwachsene oder Palliativpatienten: Obstipation gehört zu den häufigsten Gesundheitsstörungen, die Patienten in die Apotheke führen, konstatierte Dr. Hiltrud von der Gathen, Recklinghausen. Sie schilderte in ihrem Vortrag die Modalitäten der »Patientenorientierten OTC-Beratung bei Verstopfung«. Von der Gathen verwies auf eine Prävalenz von 5 bis 15 Prozent. Frauen seien häufiger betroffen als Männer.

Zwar lägen die Ursachen der Obstipation im Erwachsenenalter oftmals im Dunkeln. Doch habe die verfügbare Evidenz gemäß der S2k-Leitlinie »Chronische Obstipation« 2013 die »traditionelle Auffassung widerlegt, dass es sich dabei lediglich um eine banale Befindlichkeitsstörung ohne Krankheitswert handelt, welche überdies durch falsche Lebensgewohnheiten verschuldet und daher auch leicht zu korrigieren sei«. Die Krankheit gehe mit einem hohen Leidensdruck einher.

OTC-Beratung Obstipation

Der »Bristol Stool Form Scale«, die an der Universität Bristol als diagnostisches Hilfsmittel entwickelte Bristol-Stuhlformen-Skala, spricht von Obstipation, wenn der Stuhl aus nussartigen Klumpen besteht, die entweder einzeln oder in Wurstform abgesetzt werden. Um die Diagnose Obstipation jedoch zu rechtfertigen, müssen weitere Beschwerden hinzukommen. Als Kriterien für diese Diagnose müssen folgende Eckpunkte erfüllt sein, so die Referentin: mehr als 25 Prozent harte Stühle, Pressen erforderlich, Gefühl der unvollständigen Entleerung, Gefühl der analen Blockierung sowie manuelle Unterstützung. Dabei müssen zwei der genanten fünf Kriterien zwölf Wochen lang auftreten oder, alternativ, weniger als drei Stuhlentleerungen pro Woche. Zu den identifizierbaren Ursachen von Obstipa­tion im Erwachsenenalter zählen neurogene Erkrankungen wie Apoplex, Parkinson, Multiple Sklerose, Neuro­pathie, Querschnittslähmung, außerdem Darmerkrankungen (Reizdarmsyndrom, Divertikulose, Tumoren), Erkrankungen mit eingeschränkter Mobilität, etwa Rheumatoide Arthritis und starke Schmerzen, aber auch Hypothyreose oder Sklerodermie.

Apotheker und PTA müssen zudem auf Arznei­stoffe mit der Nebenwirkung Obstipation achten, so von der Gathen. So können zum Beispiel muscarinerge/anticholinerge Motiliäts­hemmer (Urologika, Trizyklika, Neuroleptika, Opiate und Opiode) sowie dopamin­erge und neuro-vegetative Motilitätshemmer (L-Dopa und Dopa­min­agonisten beziehungsweise Calcium-Kanal-Blocker, Pregabalin und Gabapentin) mit der Nebenwirkung Obstipation einhergehen. Über eine Hypokaliämie können Diuretika, salinische Abführmittel und auch der Missbrauch von Laxanzien zu Verstopfung führen. SSNRI-Antidepressiva wie Venlafa­xin und Duloxetin rufen durch Stimulation des α1-Rezeptors Obsti­pation hervor.

Vorausschauende Beratung

In ihrem Vortrag riet von der Gathen, den Patienten im Beratungsgespräch auf etwaige Schwierigkeiten mit der Verdauung anzusprechen, sollte er unter einer der genannten Erkrankungen leiden oder einen der beschriebenen Wirkstoffe einnehmen.

Liegt nach den genannten Kriterien eine Obstipation vor, sei gezielt zu infor­mieren, welche Maßnahmen die Beschwerden lindern. Gegeben­falls könne der Einsatz von Laxantien angezeigt sein.

Lange sei der Dauergebrauch von Abführmitteln wegen angeblich schädlicher Nebenwirkungen wie Gewöhnung und Abhängigkeit abgelehnt worden. Stattdessen sollten Patienten sich mehr bewegen, mehr Ballaststoffe verzehren und mehr trinken. Von der Gathen betonte, dass die aktuelle Leitlinie »Chronische Obstipation« diese Empfehlungen nach Auswertung zahlreicher Literaturstellen nur sehr eingeschränkt unterstützt. So sei ein Bewegungsplus für viele Patienten nicht realisierbar, wenn sie beispielsweise bettlägerig sind oder im Rollstuhl sitzen. Auch hätten Studien gezeigt, dass eine Stunde Sport pro Tag über die übliche Aktivität hinaus die Obstipation nicht bessert. Mehr zu trinken sei nur für dehydrierte Patienten effektiv. Eine weitere Steigerung habe keinen Effekt gezeigt und sei bei Erkrankungen mit Flüssigkeitsrestriktion wie Herzinsuffizienz und Nierenerkrankungen sogar kontraindiziert. Ein Mehr an Ballaststoffen gelte allenfalls bei einer leichten Obstipation als mögliche Option.

Sicherheitsstandards beachten

Als Mittel der ersten Wahl führt die Leitlinie Macrogol, Bisacodyl und Natriumpicosulfat, als Mittel der zweiten Wahl Lactulose und Anthrachinone an. Von der Gathen hob alle fünf Wirkstoffe als effektiv hervor. Besonders bei den ersten drei Stoffen sei eine Begrenzung des Einnahmezeitraums unbegründet. Die Einstufung von Lactulose und Anthrachinonen als zweite Wahl hänge nicht mit der Wirksamkeit, sondern mit möglichen gastro-intestinalen Nebenwirkungen zusammen. Eine Gewöhnung an Sennoside soll sehr selten sein. Macrogol bindet Wasser und wirkt osmotisch. Die Lösung kühl zu verzehren, lindert Probleme mit dem Geschmack. Im Kühlschrank hält sie sich sechs Stunden. Der Zusatz von Elektrolyten verschlechtert den Geschmack und ist nur für eine komplette Darmentleerung sinnvoll. Solange der Stuhl geformt und nicht wässrig ist, entsteht auch bei Dauergebrauch kein Elektrolytverlust.

Bisacodyl und Natriumpicosulfat wirken über einen dualen Mechanismus und zwar sowohl sekretorisch als auch prokinetisch stimulierend. Zubereitungen mit Bisacodyl sind mit einem magensaftresistenten Überzug versehen. Deshalb ist ein mindestens zweistündiger Abstand zur Mahlzeit einzuhalten. Zwar verneine die Leitlinie, dass der Laxanzien-Dauergebrauch zu Gewöhnung und Abhängigkeit führt, doch auch nach Neubewertung der Anwendung von Laxanzien sind Sicherheitsstandards zu beachten, sagte von der Gathen. So etwa, im Beratungsgespräch zu klären, ob Störungen der Anatomie und der Innervation des Darmes bekannt und die zuvor genannten Kriterien für die Diagnose Obstipation erfüllt sind. Außerdem sollten Patienten eine normale und realistische Erwartung in Bezug auf die Stuhlfrequenz (drei Mal pro Woche) und die Stuhlmenge (150 bis 200 Gramm) kennen sowie Lebensstiländerungen so weit wie möglich umgesetzt haben. Zeichnet sich ein nicht bestimmungsgemäßer oder überhöhter Gebrauch des Medikaments ab, müssen PTA und Apotheker laut ApoBetrO die Abgabe verweigern.

Diarrhoe und Säureblockade

Von der Gathen schilderte zudem die Besonderheiten der »Patientenorientierten OTC-Beratung bei Diarrhoe«. Die Referentin verwies in diesem Zusammenhang unter anderem auf die entsprechende Arbeitshilfe der Bundesapothekerkammer zur Information und Beratung im Rahmen der Selbstmedikation am Beispiel der Eigendiagnose Durchfall unter www.abda.de/themen/apotheke/qualiätssicherung/leitlinien).

In einem dritten Vortrag zeigte Dr. Miriam Ude, Darmstadt, die Ursachen und Therapieoptionen der Säureblockade bei gastroösophagealen Refluxbeschwerden auf. Sodann schilderte Birgit Bohn, Reinbek, mit Verweis auf die Effekte von Nux vomica, Pulsatilla, Arsenicum album, Carbo vegetabilis, Chamomilla, Colocynthis, Ipecacuanha, Lycopodium, Veratrum album und Okoubaka den Einsatz und die Effektivität homöopathischer Zubereitungen in verschiedenen Potenzen bei spezifischen Magen-Darm-Beschwerden.

Der zweite Kongress-Tag war der ­Arbeit in kleinen, parallelen Workshop-Gruppen gewidmet. Die Teilnehmerinnen konnten ihre Kenntnisse zu ­»Nahrungsmittelunverträglichkeiten« (Referentin: Dr. Silke Bauer, Gengenbach) beziehungsweise zur »Astronautenkost« (Referent: Dr. Michael Lohmann, Kiel) vertiefen. /