Ohne lautes Getöse |
24.10.2013 15:04 Uhr |
Von Annette Behr / Wenn das Laub wieder von den Bäumen rieselt, ist er da: der Herbst mit seinen bunten Farben, den Stürmen und den kürzer werdenden Tagen. Die ruhige Zeit könnte kommen – wären da nicht die Laubbläser.
»Am Wochenende harken wir Laub!« Wenn meine Mutter früher diesen Befehl ausgab, begann für die Familie der Herbst. Da wir an einem schönen Buchenwald lebten, hatten wir zu dieser Jahreszeit immer viel Arbeit. Am Laub schieden sich dann die Geister. Die einen konnten die herabfallenden Blätter nicht auf ihrem ordentlich gemähten Rasen und der Buchsbaumhecke liegen sehen. Ihr Garten sollte auch im Herbst und Winter einen picobello Eindruck machen. »Es muss alles aufgeräumt sein, auch auf dem Friedhof«, sagte zum Beispiel meine Tante Luise. Ich fand das übertrieben.
Foto: Fotolia/Smileus
»Die Natur hat diesen Schutz für die Pflanzen- und Tierwelt geschaffen«, meinten hingegen die anderen und auch meine kluge Oma. Auf den Beeten und um Büsche und Sträucher häufelte sie sogar das Laub an, damit der Frost den Pflanzen nichts anhaben konnte. Außerdem suchen Igel und andere Lebewesen in den Laubhaufen Schutz. Ist doch ein schöner Gedanke, dass Laubhaufen die Tiere und Pflanzen vor Frost und Schnee beschützen. »Aber der Rasen braucht Luft«, befand dagegen mein Vater und bewaffnete sich mit Rechen, Schubkarre und Laubsäcken. Unmengen von Laub sammelte sich quasi über Nacht in unserem Garten an. Wir harkten das Laub in große, alte Bettlaken und brachten es in den Wald zurück. Das machte uns Kindern unglaublich viel Spaß. Wir bewarfen uns mit den vielen Blättern, ließen uns in die Haufen fallen und verteilten die Laubmengen im Wald. Von da kamen sie ja auch. Wenn allerdings der Ostwind ordentlich blies – und das war häufig der Fall – lag unser Garten am nächsten Tag wieder voll und die Arbeit ging von vorne los.
Laubjäger unterwegs
Es war einer der letzten warmen Tage im Oktober. Mit einer warmen Jacke und einer Tasse Kaffee hatte ich mich gerade auf meinem Balkon zum Arbeiten niedergelassen. Da drang plötzlich ohrenbetäubender Lärm, zunächst aus dem Vorgarten und dann auch im Hinterhof zu mir herauf. Mein Nachbar hatte sich, wie die Gartenbaufirma vor unserem Haus, nun offensichtlich ebenfalls einen Zweitakt-Laubbläser geleistet. Zusätzlich zu seinem Rasenmäher, Trimmer und Häcksler. Ich musste an Reinhard Mey denken, der vor Jahren Stress mit der Rasenmäherfraktion auf Sylt bekam. »Irgendein Depp mäht immer«, schrieb er seinerzeit in einem poetisch angriffslustigen Leserbrief in der Insel-Gazette und zog damit den Unmut seiner Nachbarn auf sich. Die ersehnte Ruhe kehrte danach nicht bei ihm ein, denn das Spektakel wurde im ganzen Land kontrovers diskutiert. Die neue Krach-Mach-Ära wird den Sänger sicher zu neuem Liedgut inspirieren. Vermutlich eher in der Mittagspause oder den Abendstunden, denn nach geltenden Gesetzen darf in Wohngebieten werktags von 9 bis 13 und 15 bis 17 Uhr laubgeblasen werden.
»Männer brauchen laute Geräte«, sagte meine Freundin Andrea kichernd, als ich mich am Telefon über die Zustände in meiner Nachbarschaft beklagte.
Laubbläser sind nicht nur laut und nervig, sie zerstören auch wichtige Schutzräume für Tiere.
Foto: Fotolia/Jürgen Fälchle
Da scheint viel Wahres dran zu sein. Mit den starken Motoren auf ihren Rücken und den langen Blas- oder Saugrüsseln erinnern mich die Blätterbläser an die Geisterjäger aus dem US-amerikanischen Kinofilm »Ghostbusters«. Immerhin tragen die Laubjäger Ohrenschützer. Für sie ist das großartig, die unfreiwilligen Zuhörer sind dem Lärm meist ungeschützt ausgesetzt. Sie können höchstens sämtliche Fenster und Türen geschlossen halten. Das versuchen auch meine Kolleginnen und ich in der Büro-Anlage in Berlin-Mitte. Da bläst der Hausmeister schon vor 9 Uhr morgens mit einem Benzinmotor und 100 Dezibel das Laub aus allen Ecken und Ritzen. Leider auch viel Sand, Insekten und Kleintiere. Mit seinen lauten Aufräumarbeiten nervt er Anwohner und Passanten. Bis jetzt hat er sich nicht belehren lassen und jagt jedem Blatt hinterher. Sein Kommentar: »Es geht einfach viel schneller und wird dazu noch viel sauberer als mit Besen und Schaufel.«
Angriff mit Folgen
Der herbstliche Radau sorgt aber nicht nur bei uns für Unmut. Die Naturschutzverbände wie der Naturschutzbund Deutschland (NABU) machen ebenfalls mobil gegen Laubbläser und Laubsauger. »Der Druck der Laubbläser wirbelt Kleintiere auf, die sich gegen Kälteeinbruch einen Unterschlupf unter den Blättern suchen. Igel und Kröten können ganz einfach von Laubsaugern gehäckselt werden«, so ein Sprecher.
Die Arbeit mit den technischen Geräten ist zwar schnell getan und sie verführt dazu, bequem alles wegzublasen, was nicht ins ordentliche Idealbild passt. Die Geräte schädigen aber Mensch, Tier und Umwelt. Die benzinbetriebenen Laubbläser stoßen zudem schädliche Kohlenwasserstoffe, Kohlenmonoxid und Stickoxide aus. Nebenbei wirbeln sie Dreckpartikel und Feinstaub auf. Daher sollte der Einsatz der Geräte nur erfolgen, wo Rechen und Besen nicht ausreichen. Rund um parkende Autos sind die Geräte auch gut einsetzbar.
»Wir verwenden Laubbläser dort, wo wir nicht mit Kehrmaschinen fahren können«, verteidigt ein Mitarbeiter der Stadtreinigung in Frankfurt am Main die Arbeiten mit den Bläsern. Natürlich ist es in den Städten notwendig, das Laub möglichst schnell von den Gehwegen zu entfernen, um die Rutsch- und Verletzungsgefahr zu verringern.
Immerhin fallen in den zehn größten Städten Deutschlands in jedem Herbst 75 000 Tonnen Laub an. Die großen Firmen sind sich der Lärmbelastung durchaus bewusst und versuchen die alten Geräte durch neuere, wesentlich leisere zu ersetzen. Bei unseren Nachbarn in Österreich, genauer in Salzburg, ist der Einsatz der Krach- und Dreckmacher ab 2014 verboten. Das sollte auch in Deutschland Schule machen. Zum Glück haben sich die »geräuschoptimierten Blasgeräte« im privaten Bereich bisher nicht durchgesetzt.
Herbstlaub ist ein guter natürlicher Dünger.
Foto: Shutterstock/Matteo Cozzi
Sonntags nie
Gesetze, Regeln und Dinge, »die schon immer so sind«, zu überdenken, finde ich gut. Manches ist aber durchaus sinnvoll: So zum Beispiel die Mittagspause, in der nicht gelärmt werden darf. Die finde ich mittlerweile richtig gut. Und auch der Sonntag ist schützenswert. Da sollten die Geschäfte möglichst geschlossen bleiben, keine Flaschen in Container geworfen und kein Laub geblasen werden. Die meisten Menschen halten sich glücklicherweise daran. Und wen das Laub auch am Sonntag zu sehr stört, kann ja zu Besen, Harke und Laubsack greifen.
Jeder sollte bei aufkommender Ordnungswut aber immer daran denken, dass er beim Abtransportieren von Laub auch Nährstoffe aus seinem Garten entfernt. Diese muss er oft später in Form von Dünger wieder zugeben. »Unter Bäume, Büsche und Hecken gehören Blätter, denn aus ihnen bildet sich Humus. Durch ihn erträgt der Boden Kälte, Hitze und Trockenheit besser«, informiert das Umweltbundesamt.
Und was wie ein oller Laubhaufen aussieht, ist idealer Lebensraum und Unterschlupf für viele Tiere. Deshalb: Einfach einmal alles so lassen, wie es gerade kommt! Das erspart Arbeit und fördert die natürliche Entspannung. /
E-Mail-Adresse der Verfasserin
blaubehr(at)gmx.de