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Verhaltenstherapie bei Neurodermitis

Das juckt mich nicht

15.08.2016  10:28 Uhr

Von Carina Steyer / Neurodermitiker geraten oft in einen Kreislauf aus Jucken und Kratzen. Das lässt Hautläsionen nicht abheilen und trägt zur Chronifizierung der Erkrankung bei. Verschiedene verhaltenstherapeutische Methoden bieten Strategien, besser mit den Symptomen umzugehen.

Ein Kernsymptom der Neurodermitis ist der Juckreiz – ein äußerst quälender Reiz, den die meisten Menschen nur schwer ertragen und den sie reflexartig mit Kratzen beantworten. Spontan auftretender Juckreiz lässt sich durch Kratzen zwar meist beenden, bei chronischem Juckreiz dagegen bewirkt es das Gegenteil.

Vielmehr sensibilisiert und reizt häufiges Kratzen die Haut. Die Juckreizschwelle sinkt, und dann reichen bereits geringe Reize, um die Haut zum Jucken zu bringen. Je stärker der Betroffene kratzt, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er die Haut dabei verletzt. Aufgekratzte Haut reagiert wiederum noch empfindlicher und intensiver auf einen Juckreiz. Dazu kommt, dass der Heilungsprozess der Haut ebenfalls einen Juckreiz verursachen kann. In kürzester Zeit entsteht so ein Kreislauf aus Jucken und Kratzen, der schlaflose Nächte bereitet und die Konzentration am Tag stört.

Um Jucken und Kratzen zu beenden, gibt es für Neurodermitiker verschiedene verhaltenstherapeutische Maßnahmen, die die Behandlung ergänzen können. Im Fokus der Verhaltenstherapie stehen die Auslöser des Juckreizes, der Juckreiz selbst und das Kratzen. Zusätzlich erlernen die Betroffenen Methoden, die einen besseren Umgang mit psychosozialen Belastungen, notwendigen Lebensstiländerungen oder erforderlicher Allergenkarenz ermöglichen.

Selbstbeobachtung

Um Selbstkontrolle zu erlernen, ist die Selbstbeobachtung zunächst eine entscheidende Grundlage. Allein das genaue Beobachten von Auslösern und Kratzverhalten führt häufig bereits zu einer Verringerung des Kratzens und verbessert damit den Hautzustand. Die einfachste Form ist, eine Strichliste zu führen: Jedes Kratzen bekommt einen Strich. Am Ende einer Woche werden alle Striche schließlich in eine Grafik übertragen, so erfolgt zusätzlich eine visuelle Rückmeldung des Verhaltens.

Etwas komplexer sind Selbstbeobachtungsbögen oder Tagesprotokolle. Hier wird nicht nur das Kratzen, sondern auch das emotionale Befinden, das Eincremen sowie Juckreizstärke und -häufigkeit erfasst. Sollten die relevanten Auslöser für den Juckreiz noch nicht bekannt sein, können sie über die genaue Selbstbeobachtung meist schnell ermittelt werden.

Um das Jucken und Kratzen zu kon­trollieren, bedient sich die Verhaltenstherapie unterschiedlicher Methoden. Am schnellsten zu erlernen sind Kratzalternativen, mit denen der Kratzimpuls unterbrochen oder in unschädliche Verhaltensweisen umgelenkt werden soll. Ziel ist es, das Kratzen mit den Fingernägeln durch eine hautschonendere Bewegung zu ersetzen, die den Juckreiz aber ebenso mildert. Statt zu kratzen wird die Haut etwa leicht geschlagen oder gekniffen. Manchmal wirkt auch das Reiben oder Drücken mit der flachen Hand, der Faust oder einem Gegenstand, etwa einem Lineal. Auch harmlose Reize wie das Streicheln mit den Fingerspitzen oder einer Feder können einen ausreichenden Gegenreiz bieten. Am besten ist es, wenn nicht die juckende Stelle selbst, sondern nur die umliegende Haut durch die Kratzalternative bearbeitet wird.

Ein wenig mehr Training benötigen Kratzalternativen, bei denen statt der eigenen Haut ein Gegenstand gekratzt wird. Die bekannte Bewegung soll dem Gehirn suggerieren, dass etwas gegen den Juckreiz unternommen wird, sodass er tatsächlich nachlässt. Gekratzt wird allerdings am Lieblingskuscheltier oder einem beliebigen Gegenstand in der Umgebung – dem Tisch, dem Sofa oder einem Stift. Auch kleine, mit Leder bespannte Holzklötzchen, sogenannte Kratzklötzchen, können den Kratzimpuls abfangen. Der Vorteil hierbei ist, dass sich das Leder ähnlich wie die menschliche Haut anfühlt und so der Effekt verstärkt wird.

Techniken erlernen

Eine effiziente Kratzkontrolle bietet die Habit-Reversal-Technik. Zunächst lernen die Betroffenen, in welchen Situationen typischerweise ein Kratzimpuls auftritt, wie er sich ankündigt und welche Kratzbewegung sie machen. Im nächsten Schritt soll der Kratzdrang durch ein innerliches »Stopp-Sagen« unterbrochen werden. Anschließend wird solange die Faust geballt, bis der Drang zu kratzen nachlässt. Ganz wichtig ist, dass sich die Betroffenen bei einer gelungenen Kratzvermeidung selbst loben oder an etwas Schönes denken. Dadurch kommt es zu einer positiven Verstärkung und die Bereitschaft, beim nächsten Kratzimpuls wieder so zu reagieren, steigt.

Beherrscht ein Neurodermitiker ausreichend Kratzalternativen, können genau definierte kratzfreie Zonen am Körper festgelegt werden. Sie ermöglichen, den Unterschied zwischen gekratzten und nicht gekratzten Hautstellen wahrzunehmen und Effekt des Kratzens genau zu spüren.

Welche Technik schließlich am erfolgreichsten ist, hängt auch von der Persönlichkeit und dem Alter des Betroffenen ab. Schulkinder erlernen die Methoden meist schnell und können sie bald alleine erfolgreich umsetzen. Kleinere Kinder sind auf die Hilfe und Unterstützung ihrer Eltern angewiesen. So erlernen in diesem Fall zunächst die Eltern die unterschiedlichen Techniken und leiten ihr Kind später immer wieder dazu an, sie ebenfalls auszuführen.

Kein Stress

Stress verstärkt Juckreiz und Kratzen, sodass Experten Neurodermitikern auch das Erlernen von Entspannungstechniken empfehlen. Gut bewährt haben sich Kurzentspannungen, bei denen ein Entspannungszustand über einen bestimmten Hinweisreiz hervorgerufen wird. Das kann zum Beispiel langsames Zählen sein, das zusätzlich mit der Vorstellung einer Kühlsituation gekoppelt ist. Der Betroffene stellt sich vor, wie die juckende Hautstelle von einem Bach gekühlt wird oder wiederholt im Kopf, ähnlich dem autogenen Training, Sätze wie: »Meine Haut ist ganz ruhig und angenehm kühl«.

Positive Gedanken

Bei vielen Kindern sind der Juckreiz und das Kratzen mit negativen Gefühlen gekoppelt. Das Ziel der Verhaltenstherapie ist, die negativen Gedanken genau zu erfassen und durch positive zu ersetzen. Sätze wie »Ich schaffe das« oder »Das hört auch wieder auf« helfen dem Kind, die Aufmerksamkeit vom Kratzen wegzulenken und sich selbst positiv zu bestärken. Zwar ist die Auswirkung auf das Kratzbedürfnis eher gering, aber das Empfinden der Situation wird wesentlich verbessert. Hilfreich ist auch, Eltern zu verdeutlichen, dass es wichtig ist, Kinder nicht aufzufordern, das Kratzen zu unterlassen. Obwohl Mutter und Vater es gut meinen, verstärken sie damit die Konzen­tration auf das Kratzen, erzeugen Stress und Schuldgefühle.

Die Eltern-Kind-Interaktion spielt bei Neurodermitis eine wichtige Rolle. Das Kratzverhalten kann durch die Reaktion der Eltern abgeschwächt, durchbrochen oder aber aufrechterhalten werden. Eltern kleiner Kinder wird empfohlen, das Kratzen zu ignorieren und die kratzfreie Zeit mit viel Aufmerksamkeit zu gestalten. Ein Fehler ist dagegen, wenn das Kind für das Kratzen besondere Aufmerksamkeit erhält. Wird womöglich etwa zur Ablenkung gemeinsam gespielt, wenn sich das Kind kratzt, lernt es, dass Kratzen belohnt wird. Experten sprechen von positiver Verstärkung. Neurodermitis-Schulungsprogramme setzen die positive Verstärkung auch ­gezielt in Form eines sogenannten Token-Systems ein, bei dem der Betroffene für erwünschtes Verhalten eine Belohnung erhält.

Das Prinzip ist einfach: Mit dem Kind wird genau vereinbart, wie es sich verhalten soll, wenn es einen starken Juckreiz verspürt. Jedes Mal, wenn das Kind nicht kratzt und die erlernte Alternative anwendet, erhält es einen Token. Das Ziel ist, einen vereinbarten Wert an Token zu sammeln, um diese gegen eine Belohnung wie ein Spielzeug oder einen gemeinsamen Ausflug einzutauschen. Die meisten Kinder lernen so schnell, den Juckreiz und das Kratzen zu kontrollieren. Dennoch können immer wieder Situationen entstehen, in denen der Juckreiz so stark wird, dass er sich alternativ nicht lindern lässt. Hier sollte dem Kind kratzen zugestanden werden, auch wenn die Haut verletzt wird und anschließend vermehrt Pflege benötigt. /