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Neurodermitis

Suche nach neuen Therapien

15.08.2016  10:28 Uhr

Von Inga Richter / Die bisherigen Behandlungsmöglichkeiten bei Neurodermitis können nur die Symptome lindern. Heilbar ist die Erkrankung nicht. Forscher suchen nach neuen Verfahren und Wirkstoffen, die langfristige Linderung versprechen.

Trockene, rissige und rote Hautflächen, dazu ein teils unerträglicher Juckreiz und der damit verbundene Drang, sich ständig zu kratzen: Diese Symptome quälen Neurodermitiker. Erschwerend kommt hinzu, dass die Ekzeme bei der atopischen Dermatitis (AD) vorwiegend an Körperstellen auftreten, die für jeden gut sichtbar sind: im Gesicht, an Körperbeugen, an Armen und Beinen. Der Grund für die Erkrankung ist hinlänglich bekannt. Das Immunsystem reagiert überaktiv und verursacht damit chronische Entzündungen mit entsprechenden Symptomen.

»Wir sprechen von Provokations­faktoren, die die Auslösung begünstigen«, sagt Professor Uwe Gieler, Leiter der Neurodermitis-Akademie Hessen mit Sitz an der Universitätsklinik in Gießen. Die Liste der möglichen Auslöser, der Triggerfaktoren, ist lang: Allergische Reaktionen, Infektionen, Irritationen durch Kleidung, Tierhaare, Pollen oder Lebensmittelzusätze, aber auch klimatische Einflüsse sowie psychische Belastungen bei Stress können den Ausbruch der Erkrankung oder akute Schübe begünstigen.

Was nach einer Allergie klingt, sei aber keine, erklärt Professor Kristian Reich, Leiter des Dermatologikums Hamburg. »Eine Allergie ist eine Andersreaktion auf verschiedene Stoffe.« Ein vager Überbegriff für eine Über­reaktion des Immunsystems. Der Unterschied zur Atopie ist dennoch schwer zu um­reißen. Die meisten Atopiker entwickeln zusätzlich Allergien, und beiden Erkrankungsbildern gemeinsam ist eine stark erhöhte Bildung von Immunglobulin E (IgE)-Antikörpern. IgE sind ein wichtiger Bestandteil des Immunsystems. In Verbindung mit Mastzellen sind sie eigentlich dafür zuständig, körperfremde Stoffe zu bekämpfen. Bei entsprechender Veranlagung binden die Immunzellen jedoch auch harmlose Antigene oder reagieren – im Fall von genetisch bedingter Veranlagung für Atopien – auf andere Einflüsse. Sie veranlassen dadurch die Mastzellen, vermehrt Abwehrstoffe auszuschütten und sorgen so für ständig neue Entzündungsherde.

Nach Informationen des Deutschen Neurodermitis Bundes (DNB) sind in Deutschland etwa 5 Prozent der Bevölkerung von Neurodermitis betroffen, also rund vier Millionen Menschen, die meisten davon Kinder. Tendenz steigend: Neben Heuschnupfen und allergischem Asthma soll allein die AD heutzutage vier- bis sechsmal häufiger auftreten als noch Mitte des 20. Jahrhunderts. Warum das so ist, darüber existieren bislang nur Spekulationen. Manche Wissenschaftler machen die veränderten Umwelt- und Ernährungsbedingungen verantwortlich, andere die gewandelte Lebensweise der Bewohner von Industrienationen.

Auslöser Hygiene

Der Hygiene-Hypothese zufolge könnte die Entwicklung von der Großfamilie auf dem Bauernhof zur Kleinfamilie in der Stadtwohnung mitverantwortlich sein. So weiß man, dass ländlich lebende Menschen seltener an Allergien oder Atopien erkranken. Durch den heutzutage selteneren Kontakt kleiner Kinder mit Geschwistern oder Altersgenossen und teils übertriebene Hygienemaßnahmen im Haushalt könnte das Immunsystem unterfordert sein und sich durch harmlose Substanzen zur Aktivität aufgerufen fühlen. Möglicherweise braucht die körpereigene Abwehr das Training durch regelmäßige Infektionen mit natürlichen Krankheitskeimen. »Impfungen«, so der Dermatologe Reich, »sind ein hervorragender Stimulus für dieses Training.« Wie bei vielen Erkrankungen leisten aber auch die Gene ihren Beitrag. Man schätzt, dass Kinder ein um etwa 25 Prozent erhöhtes Risiko aufweisen, wenn ein Elternteil betroffen ist, 40 bis 60 Prozent höher soll es sein, wenn Mutter und Vater an der Erkrankung leiden.

Bisherige Behandlungsoptionen versprechen meist eine vorübergehende Linderung, keine dauerhafte Besserung oder gar Heilung. Zunächst ist es wichtig, die individuell variierenden Provokationsfaktoren herauszufinden und folglich zu meiden. »Eine wichtige Grundlage ist die Hautpflege, um die Irritationen der Haut zu verringern«, so Gieler. Bei akuten Schüben kommen meist entzündungshemmende Glucocorticoide zum Einsatz. Doch die Nebenwirkungen machen eine längerfristige Behandlung unmöglich. Eine Alternative bieten Salben mit den Inhaltsstoffen Tacrolimus oder Pimecrolimus. Die Calcineurin-Inhibitoren unterbrechen die Reaktionskaskade zwischen den Antigen-präsentierenden Zellen in der Epidermis, den Th2-Helferzellen des Immunsystems und der vermehrten Produktion von entzündungsfördernden Substanzen, unter anderem IgE. Doch auch diese Eingriffe in die Mechanismen der körpereigenen Abwehr bleiben natürlich nicht ohne Folgen. Bei schwerem Verlauf setzt man systemisch Ciclosporin A ein, welches zwar das überaktive Immunsystem weitgehend unterdrückt, damit aber auch dessen Fähigkeit zur Abwehr von Infektionen durch Bakterien, Viren oder Pilze. Lesen Sie zur Arzneimitteltherapie der Neurodermitis auch den Beitrag Arzneimittel bei Neurodermitis: Hilfe im akuten Schub.

Am Dermatologikum Hamburg führen die Mediziner seit Jahren bei schweren Fällen eine sogenannte selektive IgE-Immunadsorption durch, eine Art Blutwäsche. »In mehreren Etappen wird Blut entnommen und durch einen speziellen Filter geleitet, der die IgE-Moleküle bindet«, erläutert Reich. Das Verfahren werde kontinuierlich weiterentwickelt. Das durch Einmalsäulen gereinigte Blut führt man dem Körper wieder zu. Langfristig werde das IgE sogar der Haut entzogen. »Bei über der Hälfte der Patienten scheint die Verbesserung langfristig zu sein«, so Reich. In Ausnahmefällen übernehmen die Krankenkassen die Kosten für erwachsene Patienten mit sehr hohen IgE-Werten, die auf herkömmliche Thera­pien nicht ansprechen.

Vitamine D und E

Aufgrund der wachsenden Anzahl von Atopikern und Allergikern laufen die Forschungen auf Hochtouren. Gute Ergebnisse erzielten Wissenschaftler in Untersuchungen, in denen Vitamine supplementiert wurden. Nachdem sie herausgefunden hatten, dass Kinder mit schwerem Verlauf des atopischen Ekzems auffallend weniger Vitamin D im Blut hatten als nur mäßig Betroffene, erreichte man mit der zusätzlichen Gabe des Vitamins in verschiedenen Testreihen eine signifikante Verringerung des SCORAD (SCORing Atopic Dermatitis), welcher den Schweregrad der Erkrankung definiert. Die Gabe von Vitamin E brachte ebenfalls Erfolge. Wahrscheinlich, so vermuten die Wissenschaftler, verringert das Vitamin durch seine antioxidativen Eigenschaften die Entzündungen, indem es den IgE-Level senkt. Ohne Absprache mit dem Arzt sollten beide Vitamine jedoch nicht zusätzlich zugeführt werden, da sie bei dauerhafter Überdosierung Gesundheitsschäden verursachen können.

2014 hatte die Deutsche Dermatologische Gesellschaft eine groß angelegte Studie zur Wirkung von gepulstem Blaulicht (400 bis 500 nm) angekündigt. Nach den Ergebnissen einer kleinen Anwendungsbeobachtung und den Erfahrungswerten einiger durchführender Mediziner soll die Behandlung bei drei von vier Patienten dauerhaft zu einer 50-prozentigen Abnahme des Entzündungsscores (Eczema Area and Severity Index – EASI) beitragen. Detlef Becker, Oberarzt an der Haut­klinik der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, hatte die Anwendungs­beobachtung geleitet. Er ist einer der Ärzte, die von der Blaulichttherapie überzeugt sind.

Hautpflege und vorbeugende Maßnahmen

  • Besser Duschen als Baden, nicht zu lange, nicht zu heiß, damit die Haut nicht aufquillt und dadurch anfälliger für Bakterien, Viren oder Pilze wird.
  • Duschgele mit Öl-in-Wasser-Emulsionen wirken rückfettend sowie Ölbäder, pH-neutrale Syndets, Cremes mit Harnstoff (Urea). Überflüssige und reizende Zusatzstoffe meiden.
  • Vermeidung von Provokationsfaktoren an der Haut.
  • Weite Kleidung aus Baumwolle oder Leinen wählen.
  • Neue Kleidungsstücke vor dem ersten Tragen mehrmals waschen, gründlich ausspülen.
  • Fingernägel von Kindern immer kurz schneiden, um Hautinfektionen durch Kratzen zu verhindern.
  • Überwärmung vermeiden.

 

Quelle: BzgA: Neurodermitis (atopische Dermatitis) bei Kindern

Wenn man sehe, wie gut es etwa 75 Prozent der Patienten nach der Behand­lung ginge, gäbe es keine Zweifel mehr. Blaulicht ist laut Jan Hendrik Wilkens, dem Erfinder der sogenannten Lichtimpfung, frei von einem nennenswerten Anteil an ultra­violetter Strahlung. Ein Krebsrisiko oder andere schwerwiegende Nebenwirkungen seien nicht zu befürchten, sodass auch Kleinkinder und Säuglinge behandelt werden könnten. Wissenschaftlich anerkannt ist das Verfahren allerdings noch nicht.

Wie der Juckreiz entsteht

Um den Ursachen der Erkrankung auf die Spur zu kommen, beschäftigen sich Wissenschaftler auch nach wie vor mit der Grundlagenforschung über die komplexen Mechanismen des Juckreizes. So weiß man zwar, dass die obere Schicht der Epidermis, die physikalische Schutzbarriere der Haut gegen Schadstoffe, bei Neurodermitis-Patienten aufgelockert und durchlässiger ist als bei Hautgesunden. Dadurch tritt mehr Feuchtigkeit aus, sodass die Haut austrocknet und rissig wird. Man weiß auch, dass in den Langerhans-Zellen der Epidermis die Produktion verschiedener entzündungsfördernder Mediatoren einsetzt, die sich dann an verschiedene Rezeptoren auf den Nervenbahnen zwischen Haut und zentralem Nervensystem binden und den Juckreiz auslösen. Doch die Anzahl dieser Botenstoffe ist groß, das Zusammenspiel mit den Rezeptoren höchst komplex, ebenso wie das Geflecht der Nervenbahnen. Erschwerend kommt hinzu, dass es verschiedene Typen von AD gibt.

Somit ist noch unbekannt, bei welchen Patienten welche Botenstoffe ausschlaggebend wirken und wie genau diese Reaktionen unterbunden werden können. Die meisten der für entzündliche Prozesse ver­ant­wort­lichen Zellen exprimieren Histamin-1- und -2-Rezeptoren. Doch Histamin ist nur einer der viel diskutierten Stoffe, die mit atopischen oder allergischen Symptomen in Verbindung stehen. Daher wirken Histamin-1-Rezeptor-Antagonisten nicht bei allen Patienten und auch nicht so gut wie einst erhofft. In der Leitlinie »Neurodermitis« wird ihr Einsatz daher nur noch in Einzelfällen empfohlen. Auf Leukozyten und einigen juckreizvermittelnden Nerven­bahnen wurden inzwischen Histamin-4-Rezeptoren gefunden. Doch bislang ergaben die Untersuchungen mit H4R- Antagonisten widersprüchliche Ergebnisse.

Grundsätzlich unterscheidet man durch Histamin ausgelösten und nicht-histaminerg induzierten Juckreiz. Für Letzteren können verschiedene Substanzen verantwortlich sein wie diverse Neuropeptide und Proteasen, endogene Faktoren und Zytokine wie die Interleukine (IL). Insbesondere deren Aktivitätshemmung bietet scheinbar gute Voraussetzungen für die Forschung. Anti-Interleukine, also Antagonisten der jeweiligen Rezeptoren, werden bereits bei Morbus Crohn und rheumatischen Erkrankungen erfolgreich eingesetzt.

Vermeidung äußerer Provokationsfaktoren

  • Haare: Auf Haustiere verzichten; keine Kleidung aus Schafswolle, Lammfell, Pelztieren.
  • Pollen: Vor dem Schlafengehen die Haare waschen, getragene Kleidung aus dem Schlafzimmer räumen, Pollen­schutzgitter an die Fenster bringen, gewaschene Kleidungs­stücke nicht im Freien trocknen, Anstrengun­gen draußen vermeiden, Urlaube am Meer oder im Gebirge planen, Staubwischen mit feuchtem Lappen.
  • Hausstaub: keine Teppichböden, Möbel regelmäßig mit feuchtem Lappen abwischen.

 

Quelle: BzgA: Neurodermitis (atopische Dermatitis) bei Kindern

»Interleukin 31 scheint mit Nervenbahnen in Verbindung zu stehen, die den Juckreiz auslösen«, sagt Reich. Vielversprechend und somit häufig erforscht sind auch die Interleukine 4 und 13. Im Jahr 2010 erhielten die Fachhochschule Gießen-Friedberg, der Fachbereich Medizin der Philipps-Universität Marburg und das Marburger Biotechnologieunternehmen »Sterna Biologicals« vom Land Hessen eine Fördersumme von 175 000 Euro für die Weiterentwicklung einer neuartigen Substanz gegen Neurodermitis. Dabei handelt es sich um ein sogenanntes DNAzym, ein synthetisch hergestelltes Konstrukt aus einer kurzen einsträngigen Kette des Erbgutmoleküls und einem Enzym. Das DNAzym bindet an mRNA-Moleküle und zerstört die Information für ein Steuergen, welches für die übersteigerte Produktion bestimmter T-Helferzellen verantwortlich ist (Th2-Antwort), die wiederum für die Ausschüttung der entzündungsvermittelnden Interleukine 4, 5 und 13 sorgen. Bei Asthmapatienten führte im Rahmen einer Studie die tägliche Inhalation mit DNAzymen zu einer signifikanten Verbesserung der Lungenfunktion im Vergleich zu Placebo. Da man für Asthma und AD ähnlich ursächliche Mechanismen vermutet, untersuchen die Forscher derzeit auch, in welcher Formulierung das DNAzym für die Haut am besten wirksam und verträglich ist.

Neue Antikörper

Wissenschaftler sind auch dabei, neue Antikörpertherapien zu entwickeln. Eine natürliche Immunantwort der Immunglobuline verläuft stets polyklonal und richtet sich gegen verschiedene Antigene. Spezielle monoklonale Antikörper können dagegen zielgenau Botenstoffe regulieren, die Entzündungen und Juckreiz auslösen, wie IL-4, -13 oder -31.

Bei der Erforschung neuer monoklonaler Antikörper macht ein Wirkstoff namens Dupilumab von sich reden. »Dupilumab hemmt einen Rezeptor, an den sowohl IL-4 als auch IL-13 binden«, erklärt Reich. Einer kürzlich veröffentlichten Untersuchung mit 379 Patienten zufolge bewirkte Dupilumab eine signifikante Verbesserung des Ekzem­scores. Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen und Nasopharyngitis sollen leicht und vorübergehend gewesen sein. Derzeit läuft eine große Phase-III-Studie mit mehr Patienten. Die ersten Ergebnisse wurden im April veröffentlicht. »Danach scheinen die Symptome bei vier von zehn Patienten vollständig oder zumindest weitgehend abzuheilen«, sagt Reich, der an den Studien beteiligt ist. Bei rund der Hälfte der Patienten käme es zu einer 75-prozentigen Verbesserung des EASI.

Die Therapie erfolgt durch regelmäßige Subkutaninjektionen, welche die Patienten nach einer kurzen Schulung leicht zu Hause durchführen können. Bei Psoriasis wird die Behandlung mit Biologika bereits seit Jahren erfolgreich angewendet. Die dafür zugelassenen Wirkstoffe bewirken jedoch bei Neurodermitis nicht dieselben günstigen Effekte, da beide Erkrankungen mit unterschiedlichen Botenstoffen assoziiert sind. Die beteiligten Firmen planen, in Kürze die Zulassung für Dupilumab in den USA zu beantragen. Sofern die Phase-III-Ergebnisse die vorherigen bestätigen, könnte in einigen Jahren eine systemische Biologikatherapie gegen Neurodermitis auf den Markt kommen. /