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Epilepsie und Schwangerschaft

Gut geplant und eingestellt

14.08.2018  16:17 Uhr

Von Verena Arzbach / Frauen mit Epilepsie machen sich häufig Sorgen, ob sie sich einen Kinderwunsch erfüllen können. Die gute Nachricht: Eine Epilepsie ist prinzipiell kein Grund, sich gegen ein Kind zu entscheiden. Wichtig sind jedoch etwas Vorlaufzeit und eine gründliche Planung.

Epilepsie-Patientinnen sollten möglichst ein bis zwei Jahre vor einer geplanten Schwangerschaft mit ihrem Neurologen und ihrem Gynäkologen über ihren Kinderwunsch sprechen. Die meisten haben einige Sorgen rund um die Schwangerschaft und ihre Erkrankung, viele davon lassen sich aber im Vorfeld weitgehend ausräumen. Etwa die Befürchtung, die Krankheit an das Kind weiterzugeben: Tatsächlich wird eine Epilepsie direkt nur selten vererbt; mehr als 90 Prozent der Kinder, bei denen ein Elternteil Epileptiker ist, erkranken selbst nicht. Möglich ist aber die Vererbung einer Krampfneigung. Das bedeutet: Bei den Betroffenen kann bei äußeren Umständen wie Schlafmangel oder Flimmerlicht schneller ein Krampfanfall auftreten als bei nicht vorbe­lasteten Personen. Welche Faktoren zusätzlich zur genetischen Veranlagung dazu führen, dass ein Mensch an Epilepsie erkrankt, ist noch nicht abschließend geklärt.

Die meisten werdenden Mütter, nicht nur Epileptikerinnen, machen sich auch Gedanken um das Risiko einer Fehlbildung beim Kind, etwa einer Lippen­-Kiefer-Gaumen-Spalte, einer Spina bifida oder eines Herzfehlers. Diese Wahrscheinlichkeit ist bei Epileptikerinnen im Vergleich zu gesunden Frauen tatsächlich etwa zwei- bis vierfach erhöht. Ursachen dafür sind bestimmte genetische Konstellationen, schädliche Effekte von Anfällen während der Schwangerschaft sowie embryotoxische Wirkungen von Antiepileptika.

Die Arzneimittelauswahl ist also ein wichtiger Punkt für Epileptikerinnen mit Kinderwunsch. Viele antikon­vulsive Wirkstoffe beeinflussen das Fehl­bildungsrisiko, auch in Abhängigkeit von der Dosis. Generell gilt das Therapieprinzip, dass Frauen mit Kinderwunsch nicht mehrere Antikonvulsiva gleichzeitig einnehmen sollten. Sie sollten möglichst schon längere Zeit vor der Schwangerschaft auf eine Monotherapie eingestellt werden, mit der im Idealfall Anfallsfreiheit erreicht wird.

Besonders hoch ist die Fehlbildungs­rate unter der Einnahme von Valproinsäure, das Risiko für Neuralrohrdefekte ist 20- bis 30-fach erhöht. Studien haben­ außerdem in den vergangenen Jahren gezeigt, dass eine Valproin­säure-Einnahme der Mutter dosis­abhängig auch die Intelligenzentwicklung des Kindes beeinträchtigen kann. Der Wirkstoff sollte also bei Frauen mit Kinderwunsch und während der ersten drei Monate der Schwangerschaft möglichst vermieden werden, rät die Deutsche Gesellschaft für Epilepto­logie (DGFE). Der Pluspunkt von Valproinsäure ist jedoch seine sehr gute Wirksamkeit, vor allem bei generalisierten Epilepsien. Ein Verzicht auf den Wirkstoff ist also in der Praxis nicht in jedem Fall möglich. Dann wird versucht, die Patientin auf eine möglichst niedrige Valproinsäure-Dosis einzustellen, möglichst unter 1000 mg pro Tag, wie die DGFE empfiehlt. Retardierte Formulier­ungen sollten bevorzugt werden, damit der Blutspiegel möglichst wenig schwankt.

Daten fehlen

Das Problem bei neueren Antiepileptika und solchen, die relativ selten eingesetzt werden: Hier gibt es naturgemäß nur eine beschränkte Menge von Daten zum Einsatz und zur Sicherheit in der Schwangerschaft. Eine wichtige Anlaufstelle ist diesbezüglich das EURAP, das Europäische Register für Schwangerschaften unter Antiepileptikatherapie (www.eurap.de). Im Rahmen des internationalen Projekts sammeln Wissenschaftler Daten zur Behandlung mit den antikonvulsiven Wirkstoffen und zum Schwangerschaftsverlauf, um Sicherheit und Risiken in Zukunft besser abschätzen zu können. Schwangere Epileptikerinnen können sich dort anonym registrieren lassen. Sie finden dort auch zahlreiche Informationen sowie Erfahrungs­berichte anderer Frauen.

Als relativ gut untersucht gelten neben Valproinsäure noch Carbamazepin, Lamotrigin­ und Levetiracetam. Der Arzt müsse immer individuell prüfen, welche Behandlung in welcher Dosierung im Hinblick auf eine geplante Schwangerschaft sinnvoll ist, heißt es in der EURAP-Broschüre »Epilepsie und Kinderwunsch« von 2017 (abrufbar auf der Webseite des Registers). In manchen Fällen könne im Vorfeld der Schwangerschaft auch eine Dosis­reduktion oder sogar ein Ausschleichen der Medikation möglich sein. Die Pa­tientinnen können mit einer geregelten Lebensführung und einem regelmäßigen Schlafrhythmus dazu beitragen, die Wahrscheinlichkeit von Anfällen zu reduzieren, sodass auch die Arzneistoffdosis eventuell gesenkt werden kann.

Mehr Folsäure

Ein praktischer Hinweis für die Apotheke: Folsäure ist für alle Schwangeren und Frauen mit Kinderwunsch wichtig, für Epileptikerinnen aber ganz be­sonders. Denn durch die Einnahme der Antiepileptika entsteht oft ein Fol­säuremangel, der wiederum das Risiko von Neuralrohrdefekten erhöht. Gesunde Frauen, die schwanger werden wollen oder könnten, sollen laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung 400 µg synthetische Folsäure pro Tag einnehmen, spätestens vier Wochen vor Beginn und während des ersten Drittels der Schwangerschaft.

Für Epileptikerinnen sind die Empfehlungen deutlich höher: Sie sollten 4 bis 5 mg pro Tag zuführen, raten Mediziner. Viele Antiepileptika induzieren Enzyme, die die Folsäure beschleunigt abbauen. Die Experten der EURAP-Kinderwunschbroschüre weisen außerdem darauf hin, dass sich die Frauen von den Packungsbeilagen der Fol­säurepräparate nicht verunsichern lassen­ sollen. Dort werde häufig auf eine mögliche erhöhte Krampfbereitschaft hingewiesen. Diese tritt als Nebenwirkung allerdings sehr selten auf.

Bei den meisten Frauen verändert die Schwangerschaft nicht die Häufigkeit der Anfälle. Etwa 5 bis 10 Prozent der Frauen haben weniger Attacken als zuvor, 10 bis 20 Prozent häufiger. Ursache für die Zunahme von Anfällen bei manchen Patientinnen könne sein, dass sie während der Schwangerschaft Tabletten unregelmäßig oder gar nicht mehr einnehmen, weil sie Angst haben, das Kind durch die Medikation zu schädigen, heißt es in der EURAP-Broschüre. Zudem kann sich in der Schwangerschaft der Stoffwechsel verändern, das heißt, Arzneimittel werden beispielsweise verstärkt ausgeschieden, in größerem Ausmaß in der Leber umgebaut oder in anderem Ausmaß als zuvor an Transportproteine gebunden. Der Arzt sollte daher regelmäßig Blutspiegelkontrollen durchführen und die Dosis gegebenenfalls anpassen.

Ob mütterliche Anfälle in der Schwangerschaft dem Ungeborenen schaden, ist noch nicht genau geklärt. Einzelne kleinere Anfälle während der Schwangerschaft beeinträchtigen die Entwicklung des Kindes wahrscheinlich nicht. Größere beziehungsweise Grand-mal-Anfälle (tonisch-klonische Anfälle) und Stürze während eines Anfalls sind allerdings ein ernstzunehmendes Risiko. Der Status epilepticus, ein sehr lange andauernder Anfall mit Bewusstlosigkeit, ist während einer Schwangerschaft extrem selten, wenn er aber auftritt, ein lebensbedrohlicher Notfall für Mutter und Kind.

Stillen mit Vorbehalt

Alle Antiepileptika gehen in unterschiedlichem Ausmaß auch in die Mutter­milch über. Dennoch muss die frischgebackene Mutter in der Regel nicht aufs Stillen verzichten. Sie sollte es aber auch nicht unnötig lange fortsetzen. Mediziner empfehlen Epileptikerinnen generell, etwa drei Monate zu stillen. Treten unerwünschte Wirkungen von Antiepilep­tika beim Kind auf – besonders bei Phenobarbital und Primidon kann es zu ausgeprägter Müdigkeit, Trinkschwäche und einer unzureichenden Gewichts­zunahme kommen –, sollte das Stillen besser beendet werden. Wird das Kind von Beginn an nicht gestillt, sind wiederum – nach der Schwangerschaft, in der das Kind mit den Arzneimitteln »mitversorgt« wurde­ – Entzugssymptome wie Un­ruhe, Zittern und verstärktes Schreien möglich. /

Epilepsie und Verhütung

Schwangerschaften bei Epileptikerinnen sollten sorgfältig geplant werden. Das bedeutet gleichzeitig, dass unter der Therapie mit Antiepileptika eine wirksame Verhütung sinnvoll ist, wenn die Frau nicht schwanger werden möchte. Doch das ist nicht ganz einfach: Bei vielen Antiepileptika können Wechsel­wirkungen mit hormonellen Kontrazeptiva auftreten, wodurch die Wirksam­keit der Verhütungsmittel abnimmt.

Starke CYP450-Enzyminduktoren sind etwa Carbamazepin, Phenobarbital, Primidon und Phenytoin. Bei gleichzeitiger Einnahme werden die Hormone der Anti-Baby-Pille beschleunigt abgebaut, die Frau kann sich nicht auf eine sichere Empfängnisverhütung verlassen. Oxcarbazepin und Topiramat sind schwächere Enzyminduktoren, sie können die Wirkung der Pille aber ebenfalls beeinträchtigen. Bei Frauen, die auf die entsprechenden Wirkstoffe angewiesen sind, kann neben Kondomen beispielsweise auch ein intrauterines Wirkstofffreisetzungssystem, eine sogenannte Hormonspirale, in Betracht kommen, da dieses vor allem lokal wirkt. Valproinsäure und nicht enzyminduzierende Antiepileptika wie Levetiracetam, Gabapentin, Prega­balin, Tiagabin, Vigabatrin und Zonisamid beeinflussen die Wirksamkeit hormoneller Kontrazeptiva vermutlich nicht.