Außergewöhnlich variabel |
13.11.2013 12:33 Uhr |
Von Verena Arzbach / Erkältungen, Grippe oder Mumps, Hepatitis oder Aids: So verschieden die Erkrankungen auch sind, sie alle werden von Viren ausgelöst. Viren sind ganz spezielle Erreger, denn sie unterscheiden sich in ihren Eigenschaften grundlegend von anderen Mikroorganismen wie Bakterien oder Pilzen.
So besitzen Viren im Unterschied zu Bakterien oder Körperzellen keine Zellstruktur, sondern sind meist nur aus Proteinen und Nukleinsäuren aufgebaut. Das Virus selbst hat auch keinen eigenen Stoffwechsel. Zur Fortpflanzung benötigt der Erreger eine Wirtszelle, in deren Genom er seine eigene genetische Information integriert. Die Zelle liest dann auch die Erbinformationen des Virus ab und produziert neue Viren (siehe Grafik). Die Wirtszelle stirbt meist nach der Replikation.
Lieber zuhause bleiben: Bei Infekten bitte die Viren nicht unter den Kollegen verbreiten.
Foto: Shutterstock/Pressmaster
Viruspartikel, auch Virionen genannt, sind meist kugel- oder würfelförmig und mit einem Durchmesser von 20 bis 300 Nanometern in der Regel deutlich kleiner als Bakterien oder Körperzellen. Als größtes Virus gilt das im Jahr 2011 in Chile entdeckte Megavirus chilensis mit einem Durchmesser von durchschnittlich 440 Nanometern. Das genetische Material der Viren kann entweder auf einzel- oder doppelsträngigen Nukleinsäuren gespeichert sein, Biologen unterteilen Viren demnach in RNA- und DNA-Viren. Allgemein gelten Viren aufgrund des fehlenden eigenen Stoffwechsels und ihrer Abhängigkeit von einem Wirt nicht als Lebewesen. Ganz einig sind sich die Experten jedoch nicht: Im vergangenen Jahr entdeckten Forscher bei der Untersuchung verschiedener Riesenviren beispielsweise einige Gemeinsamkeiten mit Bakterien, etwa die Fähigkeit, selbst Enzyme herzustellen. Nach Ansicht der Wissenschaftler lassen sich Riesenviren demnach doch den Lebewesen zuordnen.
In der Regel besteht ein Virus nur aus zwei Komponenten: der Nukleinsäure mit den Erbinformationen und einer Proteinhülle, dem Kapsid. Einige Viren, beispielsweise Influenza- oder HI-Viren, sind zusätzlich noch von einer Hülle aus Lipiden, Proteinen und Kohlenhydraten umgeben, die von der Zellmembran oder intrazellulären Membranen der Wirtszelle abstammt. Im Organismus des Wirts vermehren sich die Viruspartikel entweder nur lokal am Eintrittsort, oder die Erreger breiten sich über Blut- oder Nervenbahnen im gesamten Körper aus. Rhinoviren siedeln sich beispielsweise nur in den Zellen des oberen Respirationstraktes an und lösen dort Atemwegsinfekte aus.
Um sich zu vermehren, benötigen Viren eine Wirtszelle. Der Zyklus der Virusreplikation durchläuft immer die gleichen Phasen, je nach Virenart in unterschiedlichen Varianten oder mit Erweiterungen.
Grafik: Mathias Wosczyna
Vom Ort der Virusvermehrung hängt auch ab, wie die neu gebildeten Viren den Körper verlassen. Viren, die den Respirationstrakt befallen, atmet der Infizierte mit der Atemluft aus. Über Tröpfchen, zum Beispiel beim Husten oder Niesen, verbreiten sich die Rhinoviren dann rasch in der Bevölkerung. Manche Viren infizieren verschiedene Organismen, die meisten befallen jedoch spezifische Wirte: Säugetiere, Vögel, Pflanzen oder Pilze. Viren, die ausschließlich Bakterien befallen, nennen Biologen Bakteriophagen.
Schnelle Vermehrung
Nach der Infektion produziert eine Wirtszelle bis zu 500 neue Viren, die die Zelle durch Abschnüren oder durch Aufplatzen der Membran (Lyse) verlassen. Die Zeit bis zur nächsten Generation ist bei manchen Viren mit circa 20 Minuten sehr kurz. Also entsteht im Körper eines Infizierten an einem Tag eine riesige Anzahl neuer Viren, größtenteils, bevor er erste Krankheitssymptome bemerkt. Deshalb steckt ein Erkältungspatient die Menschen in seiner Umgebung meist nicht erst an, wenn er bereits mit Husten und Schnupfen im Bett liegt, sondern in den Tagen davor. Zerstören die Viren nur wenige oder gar keine Zellen, verläuft die Virusinfektion in einigen Fällen symptomlos und daher unbemerkt.
Strikte Hygiene
Die beste Prophylaxe, sich vor einer Ansteckung mit Viren und damit vor Erkältungen, Grippe oder Magen- Darm-Infekten zu schützen, ist eine konsequente Hygiene. Das bedeutet für den Alltag, sich regelmäßig die Hände zu waschen, insbesondere beim nach Hause kommen, vor dem Zubereiten von Speisen sowie vor dem Essen. Erkrankte sollten sich rücksichtsvoll verhalten, um ihre Mitmenschen nicht anzustecken. Sie sollten beim Husten größtmöglichen Abstand zu anderen Personen halten und sich möglichst abwenden. Auch sollten sie besser nicht in die Hand, sondern in die Armbeuge husten oder sich sofort nach dem Husten die Hände waschen. Und nicht zuletzt: Wer krank ist, sollte nicht arbeiten, sondern sich zu Hause im Bett erholen. Denn mit einer verschleppten Infektion gefährdet sich der Betroffene nicht nur selbst, sondern steckt mitunter auch Kollegen an.
Ein Medikament, das Viren gezielt abtötet, körpereigene Zellen aber verschont, gibt es bislang nicht. Da Viren keine Zellwand und auch keinen eigenen Stoffwechsel besitzen, sind Antibiotika gegen sie machtlos. Denn Antibiotika töten Bakterien ab oder hemmen deren Vermehrung, da sich die Zellwand der Bakterien von der Zellmembran der Körperzellen unterscheidet. Dennoch haben Wissenschaftler mittlerweile zahlreiche antivirale Medikamente entwickelt, die auf unterschiedlichen Wegen die Vermehrung und Ausbreitung von Viren hemmen. Aufgrund ihres Wirkmechanismus werden diese Substanzen auch Virustatika genannt. Nach der Therapie mit einem Virustatikum sind die Viren nicht aus dem Körper eliminiert, ihre Konzentration kann aber zum Beispiel unter die Nachweisgrenze fallen. Ein großes Problem bei der Entwicklung von Virustatika ist die Tatsache, dass manche Viren sehr schnell Resistenzen gegen den eingesetzten Wirkstoff bilden. Diese Gefahr spielt eine bedeutende Rolle, wenn Patienten auf eine langfristige Behandlung mit antiviral wirksamen Arzneimitteln angewiesen sind. Aus diesem Grund kombinieren Ärzte bei diesen Patienten oft mehrere verschiedene Virustatika mit jeweils anderem Wirkmechanismus, beispielsweise bei der HIV-Therapie.
Gegen einige viral ausgelöste Erkrankungen wurden auch wirksame Impfungen mit abgetöteten Viruspartikeln oder Teilen des Virus entwickelt, beispielsweise gegen Polio. Die Impfung bewirkt, dass das Immunsystem die körperfremden Strukturen erkennt und die entsprechenden Antikörper bildet. Gelangt das Virus also nach der Immunisierung erneut in den Körper, kann das Immunsystem es unschädlich machen.
Hygienisch korrekt: in die Armbeuge niesen.
Foto: Fotolia/Brenda Carson
Einige Viren sind jedoch sehr anpassungsfähig. Sie können ihr Äußeres durch Mutation schnell verändern oder per Antigenshift genetische Informationen wie Resistenzgene untereinander austauschen. Das erschwert die Entwicklung eines Impfstoffes. Pharmazeutische Hersteller müssen so jedes Jahr ein aktuelles Impfserum gegen Influenza produzieren. Denn Punkt-Mutationen im Virusgenom verändern ständig die Oberflächenantigene der Influenza-A-Viren und bedingen den sogenannten Antigendrift – die Antikörper erkennen das Virus mit »neuen« Oberflächenantigenen dann nicht mehr. Gegen HIV oder Hepatitis C ist es Forschern bislang noch nicht gelungen, einen Impfstoff zu entwickeln.
Hochsaison für Viren
Schnupfensymptome wie Halsschmerzen, Husten oder triefende Nasen können das Werk verschiedener Viren sein. Die bekanntesten Auslöser sind Rhino-, Adeno-, Parainfluenza- und Coronaviren. In der Regel bleiben die Symptome des Infektes mild und heilen von selbst wieder ab, in selteneren Fällen treten Komplikationen auf.
Von Rhinoviren ausgelöste Erkältungen verlaufen meist harmlos. Rhinoviren gehören zu den RNA-Viren aus der Familie der sogenannten Picornaviren. Mehr als 100 verschiedene Serotypen sind derzeit bekannt. Menschen infizieren sich über Tröpfchen mit den Viren, häufiger jedoch über Hände oder Gegenstände, an denen die Viren haften. Rhinoviren besiedeln die Schleimhäute des Nasen- und Rachenraums, breiten sich jedoch nicht im Körper aus und verursachen keine generalisierte Infektion. Wie generell bei Virusinfektionen ist auch hier keine ursächliche Behandlung möglich und in der Regel nicht nötig: Bei sonst Gesunden dauert es etwa eine Woche, bis das Immunsystem alleine mit den Viren fertig wird. Doch unabhängig von der Dauer der Erkältung machen die Symptome den meisten Betroffenen zu schaffen: Solange die Nase verstopft ist, können sie nur durch den Mund atmen und haben Schlafprobleme, um nur einige Auswirkungen zu nennen.
Milde Symptome
Coronaviren verursachen überwiegend milde Erkrankungen der oberen und unteren Atemwege und führen häufig zu Husten, Kopfschmerzen und Fieber. Das Coronavirus lähmt die Zilienbewegung des Flimmerepithels im Respirationstrakt. Auch schwerere Verläufe mit Lungen- oder Rippenfellentzündungen kommen vor, sind jedoch selten. Das Coronavirus ist ebenfalls ein RNA-Virus mit zahlreichen verschiedenen Serotypen, jedoch befallen nur fünf den Menschen. Seinen Namen erhielt das Virus übrigens wegen der kronenähnlichen Stacheln auf seiner Hülle: Das lateinische Wort Corona bedeutet Krone.
Adenoviren gehören zu den DNA-Viren. Der Begriff »Adeno« stammt vom lateinischen Wort für Drüse und bezieht sich darauf, dass die Viren zuerst aus den Rachenmandeln und Nasenpolypen des Menschen isoliert wurden. Adenoviren rufen im Allgemeinen milde Atemwegsinfekte hervor. In schwereren Fällen infizieren sie jedoch zusätzlich die Zellen der unteren Luftwege. Dann entzünden sich auch die Bronchien. /
Viren sind nicht nur Krankheitserreger, einige Virenarten könnten in Zukunft auch als Therapie zum Einsatz kommen. Krebsforscher wollen beispielsweise mit onkolytischen Viren gezielt Tumorzellen angreifen. Seit 1992 erforschen zum Beispiel Wissenschaftler am Deutschen Krebsforschungszentrum den Einsatz sogenannter Parvoviren gegen Glioblastome, aggressive und schnell wachsende Hirntumoren.
Seit 2011 testen Wissenschaftler der Universitätsklinik Heidelberg in einer klinischen Studie erstmals die Sicherheit einer Behandlung mit dem Parvovirus H1 bei Patienten mit einem wieder aufgetretenem Glioblastom, einem aggressiven Hirntumor. Das eingesetzte Parvovirus befällt normalerweise Nagetiere. Es kann auch menschliche Zellen infizieren, löst dort aber in der Regel keine Erkrankungen aus. Nach der Infektion schädigen die H1-Parvoviren selektiv Tumorzellen und führen bei diesen zum Zelltod. Bei Ratten, die mit dem Virus behandelt wurden, bildeten sich Bauchspeicheldrüsen- und Gebärmutterhalstumoren zum Teil vollständig zurück. Interessant: Das Antiepileptikum Valproinsäure steigerte in den Untersuchungen die Wirksamkeit der Parvoviren. Das Arzneimittel bewirkt, dass sich die Viren schneller vermehren und Krebszellen besser abtöten.
Viren eignen sich auch als Helfer für die Gentherapie. Mediziner versuchen, Erbkrankheiten zu behandeln, indem sie die korrekte Version eines defekten Gens über Viren als sogenannte Genfähre in menschliche Zellen einschleusen. Hierzu integrieren die Wissenschaftler das Gen in das Genom eines Virus, dieses infiziert Zellen im Körper und schleust so das Gen in die Zelle.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.