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Kolumne

Bazillen, ahoi!

11.11.2014  09:36 Uhr

Von Claudia Herwig / Nein, ich bin kein Hypochonder! Aber ich habe so meine ganz eigene Strategie, um Krankheitserreger abzuwehren. Denn in einem Großraumbüro erwischt es bei einer Erkältungswelle früher oder später jeden.

Haaaatschi! Meine Kollegin hat geniest. Wie oft heute schon, weiß ich nicht, ich habe irgendwann aufgehört, mitzuzählen. Zum was-weiß-ich-wievielten-Mal wünsche ich ihr schnell »Gesundheit!«, schiebe ihr meine Papierbox mit den Taschen­tüchern entgegen – zum letzten Mal, weil sie jetzt alle sind – und halte dann die Luft an. Warum ich das tue? Ich bilde mir ein, dass ich mich so vor herumfliegenden Viren schützen kann. Meine Schwester würde jetzt sagen: »Einbildung ist auch ’ne Bildung«.

Ob es für oder gegen meine Bildung spricht, wenn ich wegen der Bazillen alle paar Minuten die Luft anhalte, weiß ich nicht. Aber es beruhigt mich. Also atme ich weder ein noch aus so lange ich kann. Was in meinem Fall nicht mehr als neun Sekunden ergibt. Mit der Lungenkapazität hat es der liebe Gott nämlich nicht gerade gut mit mir gemeint. Im Gegenteil zu meiner ausgeprägten, geradezu magnetischen Anziehungskraft für Krankheitserreger wie zum Beispiel Grippeviren. Schließen Sie mich in einen Raum mit acht Gesunden und einem Grippepatienten – ich bin bestimmt die Erste, die über Halsschmerzen oder Fieber klagt.

Während ich so an meinem Schreibtisch sitze und mir Gedanken über meine Lungenkapazität und mein schlechtes Immunsystem mache, niest meine Kollegin schon wieder! Diesmal noch lauter und heftiger. Reflexartig stoße ich die angestaute Luft in meinen Lungen aus und atme noch einmal tief ein. »Nicht atmen! Nicht atmen! Nicht atmen!«, sage ich mantramäßig vor meinem inneren Auge auf, um etwas länger durchzuhalten. Eins, zwei, drei, viieerrrr... oh je... füüüünf, sechsssssss... Pffff… ich kann nicht mehr!

Kaum hat meine Kollegin ihren rekordfähigen Niesanfall überwunden, schallt mir aus der anderen Ecke unseres Großraumbüros ein Husten entgegen, der einem Donnergrollen Konkurrenz machen könnte. Ich bilde mir ein, ich könne die Lungenflügel meiner Kollegin rasseln hören. Die eine hustet, die andere niest, die nächste klagt über Halsschmerzen: In einem Großraum­büro ist immer jemand krank. Besonders, wenn es auf die kalte Jahreszeit zugeht. Und ich sitze mittendrin und kämpfe ums Überleben. Da kommt man sich im Büro mitunter schon mal wie auf einem Bazillenmutterschiff auf Jungfernfahrt vor: Kaum sind alle an Deck, heißt es »Leinen los!« und »Bazillen, Ahoi!«. Und beim kleinsten Wellengang gehen alle über Bord.

Ich finde, die Situation zu Grippezeiten in einem Großraumbüro zu sitzen, lässt sich mit dem Arbeiten in einer Apotheke vergleichen. Der Geruch von Pfefferminztee und Erkältungssalbe liegt in der Luft. Hin und wieder hustet und niest jemand. Und man selbst läuft quasi ständig Gefahr, sich anzustecken. Doch einen kleinen, aber schwergewichtigen Unterschied gibt es: Der Kunde hat die Apotheke nach fünf Minuten verlassen, die Viren meiner Kollegen habe ich dagegen den ganzen Tag an der Backe. Nicht anstecken ausgeschlossen. Nichts gegen meine Kollegen, aber krank werden will ich nicht!

Denken Sie jetzt nicht, ich sei ein Hypochonder. Die Angst, krank zu werden, habe ich mir spätestens abgewöhnt, seit ich zum ersten Mal in meinem weißen Kittel hinter dem Verkaufstresen einer Apotheke stand. Da kann man es sich schließlich nicht leisten, nach jedem Kopfschmerzpatienten gleich selbst über ein Hämmern im Schädel zu klagen. Aber ich bin Realist. Man weiß ja schließlich nie, welche Laus sich gerade überlegt, auf einen fremden Kopf zu springen.

Wenn im Büro alle krank sind, klingt mir immer der Ratschlag meiner Oma in den Ohren: »Vorbeugung ist die beste Medizin.« Hätte meine Oma gewusst, dass ich mal in einem Großraumbüro sitze, sie hätte mich in meiner Kindheit wohl weniger mit Schokolade und Keksen, sondern eher mit Orangen und Ingwerstückchen vollgestopft. Zum Vorbeugen ist es schließlich nie zu früh! Also beuge ich vor. Ich esse Obst als gäbe es kein Morgen mehr, trinke Tee in Krankenhausmengen und wasche mir gefühlte hundert Mal am Tag die Hände. Außerdem gönne ich mir von Zeit zu Zeit medizinische Unterstützung in Form von immunsteigernden Mittelchen. In einem Artikel über Gesundbleiben in der Erkältungszeit habe ich kürzlich gelesen: »Wer weniger als sieben Stunden schläft, hat ein dreimal höheres Risiko, sich eine Erkältung einzufangen.« Puh! Glück gehabt! Im Gegensatz zu meiner Lungenkapazität funktioniert mein Schlafvermögen hervorragend. Ich könnte es locker mit einem Koala-Bären aufnehmen, denn ich schlafe eher zu viel als zu wenig.

Lüften hilft

Da ich mittlerweile die Nase – besser die Lungen – voll vom Luftanhalten habe, öffne ich das Fenster. Noch ein Ratschlag meiner Oma lautet nämlich. »Stoßlüften!« Meine Oma hat das mit dem Lüften im Winter übrigens manchmal so intensiv betrieben, dass wir beim nachmittäglichen Kaffeekränzchen mit Jacke und Schal am Tisch saßen und uns die Kerze auf dem Adventskranz vorkam wie ein wärmendes Feuer aus einer alten Blechmülltonne. Aber: »Lüften hält gesund!« Also sitze ich bei geöffnetem Fenster an meinem Schreibtisch – und kann nach ein paar Minuten schon nicht mehr tippen, weil meine Finger zu Eiszapfen gefroren sind. Die Luft von draußen legt sich wie ein nasser Schal um meinen Hals. »Brrr! Kalt!« Meine Kollegin niest. Wenigstens muss ich diesmal nicht die Luft anhalten.

Ich muss gestehen, über eine Sache freue ich mich immer, wenn sich im Büro eine Erkältungswelle eingeschlichen hat: Ich darf beraten! Dann schlüpfe ich in meinen imaginären weißen Kittel, richte meinen Kragen und werfe mit Worten wie »Vitamin C« und »Zink« um mich. Ich sage allen, welche Halsschmerztabletten sich für ihr Leiden am besten eignen und frage: »Ist der Husten verschleimt oder trocken?« Das hinterlässt in der Regel einen mordsmäßigen Eindruck. Daran, dass es aufgrund der bereits eingenisteten Bazillen eigentlich schon viel zu spät für gute Ratschläge ist, ändert es aber nichts.

Ein weiteres Problem an Krankheitsphasen in der Arbeit – so kommt es mir zumindest vor – ist: Alle sind ein bisschen krank, keiner aber richtig. Krank zu Hause bleiben lohnt nicht. Und wer hat heutzutage schließlich noch Zeit, eine Woche auszufallen? Wegen dem bisschen Schnupfen. Schlecht für das eigene Gemüt, schlecht für den Großraumfrieden. Und so tauschen wir im Büro munter unsere Viren aus. Ganz nach dem Prinzip »Heute ich, morgen du«. Ein Tauschgeschäft, das sich im Nachhinein als finanzieller Reinfall entpuppt. Denn der ganze Tee, die Hustenmittelchen, Taschentücher und Medikamente können auf Dauer ganz schön ins Geld gehen.

Tagträume

Um mich nicht ständig mit dem Gedanken zu beschäftigen, wann es mich endlich erwischen wird, habe ich mir in den vergangenen Wochen übrigens eine kleine Ablenkungstechnik antrainiert. Tagträumen! Geht ja auf der Arbeit nicht lange. Aber ein paar Sekunden gönne ich mir hin und wieder. Zwischen all den kranken Kollegen sitzend, träume ich dann davon, stundenlange Bäder in Tonnen von Kamillenblüten zu nehmen oder in einem Ganzkörperanzug mit Desinfektionsgeschirr auf dem Rücken science-fiction-mäßig und in Slowmotion zwischen den Schreibtischen umherzuschleichen und alles zu desinfizieren. Gerade eben hatte ich schon wieder so einen Traum. Ich lief durch die Bürogänge und stattete jeden meiner Kollegen mit einem weißen Mundschutz aus. Haaatschi! Ich schaue erschrocken auf. Doch diesmal kam das Geräusch nicht von meinen Kollegen – sondern von mir selbst. Meine Kollegin wünscht mir hinter vorgehaltener Hand Gesundheit. Ich wette, jetzt hält sie die Luft an. Na dann: gute Besserung! /

Die Autorin

Claudia Herwig arbeitete nach ihrer Ausbildung zur PTA sieben Jahre in einer Apotheke in Frankfurt am Main. Nach ihrem Kunstpädagogik-Studium wechselte sie zur Online-Redaktion des Magazins »Glamour« in München und ist dort heute als Redakteurin verantwortlich für die Ressorts Liebe und Lifestyle.