PTA-Forum online
Nahrungsergänzungsmittel

Ohne Wirkgarantie

11.11.2014  09:35 Uhr

Von Inka Stonjek / Nahrungsergänzungsmittel sind besondere Produkte: Trotz teilweise undurchsichtiger und komplizierter rechtlicher Bestimmungen, der Einschränkung krankheits­bezogener Werbeaussagen und der Kritik vieler Ernährungs­experten erfreuen sich die Präparate bei Käufern nach wie vor großer Beliebtheit.

Rechtlich gehören Nahrungsergänzungsmittel zu den Lebensmitteln. Damit lautet die wichtigste Vorschrift, dass sie – wie Lebensmittel eben auch – sicher sein müssen. Über diese Klausel des Lebensmittelrechts hinaus müssen sie die Vorgaben der Nahrungs­ergänzungs­mittel­verordnung (NemV) erfüllen. Sie ist seit dem 28. Mai 2004 in Kraft und setzt die Vorgaben der europäischen Richtlinie 2002/46/EG vom 10. Juni 2002 in deutsches Recht um.

Nicht bei Krankheiten

Die NemV definiert Nahrungs­ergänzungsmittel als Konzentrat von Vita­minen, Mineralstoffen und Spuren­elementen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung, die in dosierter Form zum Beispiel als Tabletten, Kapseln, Dragees oder Pulver in Verkehr gebracht werden. Im Gegensatz zu Arzneimitteln sollen sie aber nicht Krankheiten oder Beschwerden vorbeugen, lindern oder heilen, sondern lediglich die normale Ernährung ergänzen. »Nahrungsergänzungsmittel besitzen damit keine gesetzliche Wirkgarantie«, fasst Professor Dr. Gerhard Rechkemmer, Präsident des Max-Rubner-Instituts am Hauptsitz Karlsruhe (Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel) zusammen.

Und in noch einem Punkt unterscheiden sich Nahrungsergänzungsmittel von Arzneimitteln. Sie bedürfen hierzulande keiner Zulassung, sondern müssen vor Inverkehrbringen lediglich vom Hersteller beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) angezeigt werden. Dabei handelt es sich um eine Registrierung, nicht aber um eine Bewertung der entsprechenden Produkte. Für die Sicherheit sind die Hersteller selbst verantwortlich, während die Überwachung der auf dem Markt angebotenen Produkte und der Herstellerbetriebe in den Aufgabenbereich der Lebensmittelüberwachungsbehörden der einzelnen Bundesländer fällt.

Höchstmengen fehlen

Allerdings fehlen den Herstellern verbindliche Vorgaben, welche Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe einzuhalten sind. Bis heute ist es auf EU-Ebene nicht gelungen, diesbezüglich eine Einigung zu erzielen. Bis auf Weiteres müssen sich die Hersteller daher an den Referenzwerten für die Nährstoffzufuhr der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), den Stellungnahmen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) oder den Vorschlägen des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) orientieren. Klarheit besteht hingegen, welche Vitamin- und Mineralstoffverbindungen den Produkten zugesetzt werden dürfen und wie die Kennzeichnung auszusehen hat. So muss auf den Produkten stehen, dass die angegebene empfohlene tägliche Verzehrmenge nicht überschritten werden darf, Nahrungsergänzungsmittel kein Ersatz für eine ausgewogene Ernährung sind und die Produkte außerhalb der Reichweite von kleinen Kindern zu lagern sind.

Nahrungsergänzungsmittel mit anderen Inhaltsstoffen als Vitaminen und Mineralstoffen sind in der NemV beziehungsweise der europäischen Richt­linie nicht im Detail geregelt. Für Produkte, die beispielsweise Aminosäuren, essenzielle Fettsäuren, Ballaststoffe oder Pflanzen- und Kräuterextrakte enthalten, haben die Gesetzgeber einen anderen Ansatz verfolgt. Sie fallen stattdessen unter die Basis-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 178/2002), die Verordnung über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittel­zutaten (Novel-Food-Verordnung (EG) Nr. 258/97) und die Anreicherungs-Ver­ord­nung (Verordnung (EG) Nr. 1925/2006). Dadurch existieren zwar keine Positivlisten mit erlaubten Inhaltsstoffen, dennoch dürfen auch diese Produkte keine Gefahr für den Verbraucher darstellen oder ihn irreführen.

Begriffe im Zusammenhang mit NEM

Bei den Referenzwerten für die Nährstoffzufuhr handelt es sich um berechnete Zufuhr­empfehlungen. Sie sollen nahezu alle gesunden Personen einer Bevölkerungsgruppe vor mangelbedingten Krankheiten schützen, für volle Leistungsfähigkeit sorgen und Speicher auffüllen.

Der Bedarf ist die Nährstoffmenge eines Menschen, die die dauerhafte Funktionsfähigkeit des Organismus gewährleistet. Er ist individuell verschieden.

Bei einem Mangel ist der Bedarf langfristig nicht gedeckt. Symptome und Funktionsstörungen sind die Folge.

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Ernährung

Festgelegte Werbeaussagen

Die rechtliche Einstufung als Lebensmittel macht es den Herstellern von Nahrungs­ergänzungs­mitteln zunehmend schwierig, ihre Produkte richtig zu bewerben. Denn seit Juli 2007 legt die sogenannte Health-Claims-Verordnung EU-weit die Anforderungen für nährwert- und seit Dezember 2012 für gesundheits- und krankheitsbezogene Angaben von Lebensmitteln fest. Seitdem sind Aussagen wie »vitaminreich«, »stärkt die Abwehrkräfte« oder »senkt den Blutzuckerspiegel« nur noch erlaubt, wenn sie wahr und bewiesen sind. Die Claims müssen also von der EFSA anhand wissenschaftlicher Studien geprüft und von der EU-Kommission zugelassen worden sein.

Obwohl viele bekannte Claims dadurch im Lauf der Jahre von den Produkten verschwunden sind, haben Nahrungsergänzungsmittel nichts von ihrer Beliebtheit eingebüßt. Nach Angaben des Beratungsunternehmens IMS Health haben die Produkte dem deutschen Handel 2012 rund 900 Millionen Euro in die Kassen gespült. Dabei fielen Dreiviertel des Umsatzes auf die Apotheken (stationär und Versandhandel). Der Rest wurde in Drogeriemärkten oder über sonstige Vertriebskanäle erwirtschaftet. Besonders beliebt waren hierbei Multi­vitamine mit Mineralstoffen für Schwangere sowie Vitamin-B-Kombinationspräparate. Hingegen mussten Multivitamine mit Mineralstoffen für Erwachsene und reines Vi­tamin C Verluste im zweistelligen Prozentbereich hinnehmen.

Kein Vitaminmangelland

Allerdings besteht über den tatsäch­lichen Nutzen von NEM nach wie vor Uneinigkeit. So stehen etwa die DGE und das Max-Rubner-Institut der pauschalen Einnahme ablehnend gegenüber und stützen sich dabei auf aktu­elle Ernährungserhebungen wie die Nationale Verzehrsstudie II. Demnach sei die überwiegende Zahl der Menschen hierzulande ausreichend mit Nährstoffen versorgt. Das verschärfe das Risiko einer Überdosierung, wenn hoch dosierte Präparate über einen längeren Zeitraum eingenommen und zusätzlich angereicherte Lebensmittel verzehrt würden. Zudem gibt die DGE zu bedenken, dass eine Unterschreitung der Referenzwerte einen Mangel langfristig zwar begünstige, nicht aber mit ihm gleichzusetzen sei. Dafür seien die Zufuhrempfehlungen mit einem ausreichend großen Puffer versehen, um den Bedarf aller Bundesbürger möglichst zuverlässig decken zu können.

Stattdessen empfiehlt die DGE, den individuellen Bedarf an Vitaminen und Mineralstoffen über die tägliche Ernährung zu decken und dazu aus der vollen Bandbreite der Lebensmittelvielfalt zu schöpfen. Ein besonderes Augenmerk sollte hierbei auf pflanzlichen Lebensmitteln liegen, die neben Vitaminen und Mineralstoffen auch Ballaststoffe und sekundäre Pflanzenstoffe liefern. So reduziere Gemüse und Obst das Risiko für Bluthochdruck, koronare Herzkrankheit und Schlaganfall. Eine gesteigerte Zufuhr von Vollkornprodukten senke beispielsweise das Gesamt- und LDL-Cholesterol im Blut.

Sonderfall Risikogruppen

Dennoch gibt es Personengruppen, die aufgrund ihrer Lebensumstände mehr Vitamine und Mineralstoffe benötigen als die Allgemeinbevölkerung. Ihnen kann es deshalb schwerer fallen, den Bedarf alleine über die Ernährung zu decken. Sie sollten sich mit ihrem Arzt oder Apotheker über eine gezielte Supplementierung beraten. Für einen Überblick, für wen Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll sein können, siehe Kasten. /

Bevölkerungsgruppen, denen eine Supplementierung mit NEM empfohlen wird:

Neugeborene: 3x 2 mg Vitamin K

Säuglinge: täglich 10 μg Vitamin D, täglich 0,25 mg Fluorid

Frauen mit Kinderwunsch: täglich 400 μg Folsäure (mindestens vier Wochen vor Beginn der Schwangerschaft)

Schwangere: täglich 400 μg Folsäure (im ersten Drittel der Schwangerschaft), täglich 100–150 μg Iodid, Eisen (nur bei nachgewiesenem Mangel)

Stillende: täglich 100–150 μg Iodid, Eisen (nur bei nachgewiesenem Mangel)

Menschen, die sich nicht oder kaum im Freien aufhalten: Vitamin D

Gesamtbevölkerung: iodiertes und fluoridiertes Speisesalz sowie damit hergestellte Lebensmittel

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Ernährung