Nicht immer eine Krankheit des Alters |
24.08.2015 11:04 Uhr |
Von Carina Steyer / Etwa 20 000 Kinder und Jugendliche in Deutschland sind von einer chronischen entzündlich-rheumatischen Erkrankung betroffen. Mit etwa 1500 Neuerkrankungen pro Jahr ist Rheuma bei Kindern zwar nicht häufig, aber es belastet die Erkrankten und ihre Familien sehr.
Kaum ein Lebensbereich bleibt von der Diagnose Kinderrheuma verschont. Die Krankheit schränkt das Kind in seinen Bewegungsmöglichkeiten ein, es ist körperlich nur wenig belastbar und häufig machen ihm Schmerzen zu schaffen. Vorurteile oder Unverständnis von Mitschülern erschweren oft das soziale Zusammenleben. Meist belastet die ständige medizinische Betreuung und Behandlung nicht nur die Kinder, sondern ihre ganze Familie und erschwert das Familienleben noch zusätzlich. Viele Eltern haben Angst vor möglichen Nebenwirkungen der Medikamente und einem ungewissen Krankheitsverlauf.
Foto: Shutterstock/Tatyana Vyc
Komplexe Krankheit
Als Sammelbegriff steht die Diagnose Kinderrheuma für zahlreiche unterschiedliche Erkrankungen. Ihre Gemeinsamkeit sind Schmerzen am Bewegungsapparat. Je nach Lage des Entzündungsprozesses werden rheumatische Erkrankungen bei Kindern in vier Gruppen unterteilt (siehe Kasten). Die meisten Kinder und Jugendlichen erkranken an der sogenannten juvenilen idiopathischen Arthritis.
Diese Form der entzündlich-rheumatischen Erkrankungen ist jedoch wiederum auch nur ein Oberbegriff für eine ganze Gruppe mit gemeinsamen Merkmalen: Die Ursache der Gelenkentzündung muss unklar sein und die Entzündung muss mindestens sechs Wochen lang bestehen. Rheumatische Erkrankungen betreffen nicht immer ausschließlich den Bewegungsapparat. Augen, Herz, Nieren, Haut oder lymphatische Organe können mit betroffen sein.
Warum Kinder an Rheuma erkranken, ist bisher nicht vollständig aufgeklärt. Nach vorherrschender Meinung handelt es sich um ein Zusammenspiel aus genetischen und Umweltfaktoren. Da es bisher nicht gelang, auslösende Umweltfaktoren eindeutig zu identifizieren, gibt es noch keine Empfehlungen zur Prävention der Erkrankung.
Oft langer Weg
Glücklicherweise sind entzündlich-rheumatische Erkrankungen bei Kindern selten. Daraus folgt leider für die Diagnosestellung, dass die Zeitspanne zwischen Symptom- und Therapiebeginn oft unnötig lang ist. Diesen Zeitrahmen hat die Deutsche Rheuma-Liga in einer Umfrage zur Versorgungssituation rheumakranker Kinder und Jugendlicher erfragt. Ein Großteil der Befragten gab eine Zeit von mehr als zwölf Wochen an. Nach Ansicht der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie sollte die Diagnose in der Hälfte der Zeit gestellt werden, also innerhalb von sechs Wochen. Ein an Rheuma erkranktes Kind stellt jedoch viele Kinderärzte, Hausärzte und Orthopäden vor eine besondere Herausforderung: Viele sind nicht ausreichend kinderrheumatologisch geschult und es fehlt ihnen an Erfahrung, um die richtige Diagnose zu stellen. Dazu kommt, dass Kinder häufig weniger über Schmerzen klagen als Erwachsene. Manchmal fällt den Eltern beispielsweise nur auf, dass ihr Kind wieder krabbelt, obwohl es bereits laufen konnte. Manche Kinder bewegen sich auch nur in Schonhaltung oder ungelenk. Die meisten an Rheuma erkrankten Kinder werden schließlich in spezialisierten kinderrheumatologischen Einrichtungen an Universitäten und Kinderkliniken oder in kinderrheumatologischen Zentren betreut. Nachdem dort die Diagnose erfolgte, wird das Kind bis zum Erwachsenenalter weiter behandelt und dann an die Erwachsenenrheumatologie übergeben.
Spezialisierte Zentren
Die Suche nach einem geeigneten Therapeuten gestaltet sich häufig schwierig. Auf Kinderrheuma spezialisierte Therapien bieten vornehmlich die spezialisierten Einrichtungen an. Für viele Familien bedeutet dies jedes Mal einen langen Anfahrtsweg mit hohem zeitlichem Aufwand.
Juvenile idiopathische Arthritis (chronische Gelenkentzündung):
Collagenosen (rheumatische Bindegewebserkrankung):
Vaskulitiden (rheumatische Gefäßentzündungen):
Andere immunvermittelte Erkrankungen
Jedes rheumakranke Kind erhält einen individuell abgestimmten Therapieplan. Die Behandlung soll die rheumatische Entzündungsaktivität unterdrücken, bleibende Schäden verhindern und dem Kind eine normale körperliche und psychosoziale Entwicklung ermöglichen. Gegen die Schmerzen, Entzündungen und Fieber erhält das Kind dann nicht-steroidale Antirheumatika. Kommt die Entzündung damit nicht zum Stillstand, verordnet der Arzt sogenannte Immunmodulatoren als Basismedikamente (siehe auch Rheumatherapie: Mit Kosequenz und Kreativität). Sind die Schmerzen besonders stark, entzünden sich die Augen schwer oder ist auch das Herz betroffen, erhält das Kind zusätzlich oral oder als Injektion Cortisonpräparate. Ergänzt wird die medikamentöse Therapie durch Physiotherapie, physikalische Maßnahmen, Ergotherapie, orthopädische Hilfsmittel, psycho-soziale Unterstützung und Schulungen für Patienten und Eltern. Laut Umfrage der Arbeitsgemeinschaft der regionalen kooperativen Rheumazentren (AGRZ) in Deutschland aus 2013, der sogenannten Kerndokumentation, nimmt mehr als die Hälfte der Kinder eine Physiotherapie in Anspruch, allerdings kaum Ergotherapien sowie Schulungen für Patienten und Eltern. Die Physiotherapie soll Schmerzen lindern, Muskeln entspannen und die Beweglichkeit der Gelenke verbessern. Beliebt sind auch physikalische Therapien wie Massagen, Elektrotherapie, Kältepackungen, Wärmeanwendungen und Bewegungsbäder. Diese sollen ebenfalls Schmerzen lindern, Entzündungen hemmen und Muskeln entspannen. Viele rheumakranke Kinder verwenden außerdem orthopädische Hilfsmittel: Schienen entlasten und stützen Gelenke, Sitzroller schonen Hüft-, Knie- oder Sprunggelenke.
Die richtige Sportart
Rheumakranke Kinder und Jugendliche haben denselben natürlichen Bewegungsdrang wie gesunde Kinder. Sie dürfen und sollen Sport treiben. Allerdings muss die Sportart zur Krankheit passen. Sportarten wie Radfahren oder Schwimmen sind ideal. In akuten Phasen dürfen Rheumakranke die betroffenen Gelenke nicht belasten. Etwas Vorsicht ist auch nach Abklingen der Entzündungsaktivität geboten. Die noch eingeschränkte Beweglichkeit der Gelenke kann schnell zu Fehlbelastungen führen. Später sollte das Kind beim Sport seine eigenen Grenzen einhalten. Leistungssport kommt für rheumakranke Kinder und Jugendliche nicht infrage. Für den Schulsport ist es wichtig, gemeinsam mit dem Lehrer individuelle Lösungen zu finden. Manche Kinder nehmen teil, ohne benotet zu werden, andere werden freigestellt, damit sie ihre Physiotherapietermine wahrnehmen können.
Niemand vermag eindeutig vorherzusagen, wie sich die rheumatische Erkrankung mit zunehmendem Alter entwickelt. Etwa die Hälfte der betroffenen Jugendlichen ist langfristig in der Beweglichkeit eingeschränkt. Ungefähr 10 Prozent sind im Erwachsenenalter auf Hilfe im Alltag angewiesen. So unterschiedlich die Erkrankungsformen sind, eines gilt für alle: Wichtig für den Langzeitverlauf ist die frühe Diagnosestellung und eine wirksame Langzeit-Therapie. Die frühzeitige und konsequente Behandlung vermindert die Krankheitsaktivität und Komplikationen. /
»Malus fantastische Hüte gegen verflixt blöde Rheumatage«
Malu ist acht, sammelt Hüte und hat Rheuma. Sie erzählt von guten und schlechten Tagen. Wie es ist, wenn sie nicht mit ihren Freunden Fußballspielen kann, wie sie es geschafft hat, ihre Angst vor Spritzen zu überwinden und was sie am liebsten macht, wenn es ihr gut geht. Im Buch wird gemalt, gerätselt, Tipps und Tricks für schlechte Tage verraten und nebenbei Wissen über Rheuma vermittelt. Ein Buch, das Mut macht und Kindern zeigen soll, du bist nicht allein. Erhältlich über die Deutsche Rheuma-Liga oder online unter www.rheuma-liga.de/kinderbuch /