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Vitamin B12

Versorgung im Blick behalten

25.08.2017  12:03 Uhr

Von Ulrike Becker / Vegane Ernährung liegt im Trend. Seither hat Vitamin B12 an Bekanntheit gewonnen. Denn wer sich rein pflanzlich ernährt, muss das Vitamin ergänzen. Auch viele Senioren brauchen entsprechende Supplemente, da die Vitaminaufnahme im Alter eingeschränkt sein kann.

Wissenschaftler fassen unter dem Begriff Vitamin B12 verschiedene komplexe Verbindungen zusammen – auch als Cobal­amine bezeichnet. Ein Kobalt­atom (Co) im Zentrum eines Ring­moleküls kennzeichnet sie. Die über die Nahrung aufgenommenen Cobalamine baut der Körper in die aktiven Co-Enzyme Adenosyl- und Methylcoba­lamin um. Sie sind an der Bildung der roten Blutkörperchen, der Zellteilung und an der Funktion der Nervenzellen beteiligt.

Auch am Umbau von Fett­säuren wirken Cobalamine mit, ebenso wie an der Synthese der Nukleinsäuren, Bestandteile der Erbsubstanz im Zellkern. Vi­ta­­min ­B12­ wandelt zudem in­aktives Folat in seine stoffwechselaktive Form um. Letztere ist zuständig für den Abbau des gefäßschädlichen Homo­cysteins. Die Funktion der beiden Vitamine ist daher eng verzahnt, und der Blutspiegel an Homocystein ein wichtiger Marker für den Vitamin­status.

 

Ein schwerer Vitamin-B12-Mangel kommt hierzulande nur sehr selten vor. Denn über die in Deutschland noch immer übliche fleischlastige Mischkost nehmen die meisten Männer und drei Viertel der Frauen deutlich mehr auf, als der Körper eigentlich braucht. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt eine Zufuhr von drei Mikrogramm am Tag (µg/d). Nach Daten­ aus der großen Nationalen Verzehrsstudie liegt die Zufuhr bei Männern mit im Mittel 5,8 µg am Tag fast doppelt so hoch; die meisten Frauen sind mit­ ­­­­4,0 Mikrogramm täglich ebenfalls aus­reichend versorgt. Immerhin 26 Prozent der Frauen unterschreiten die empfohlene Zufuhr, darunter besonders viele junge Frauen. Denn Vitamin B12 entstammt hauptsächlich Fleisch, Fleisch­erzeugnissen und Wurstwaren – besonders reich sind Innereien wie Leber und Nieren. Frauen essen nur halb so viel Fleisch wie Männer und ernähren sich zudem bedeutend häufiger als Männer vegetarisch oder vegan. Zwar tragen Eier, Milch, Käse und an­dere Milcherzeugnisse ebenfalls zur Vita­min-B12-Versorgung bei. Die Aufnahme liegt bei Vegetariern mit geschätz­ten 1,7 bis 2,5 µg am Tag allerdings deutlich unter der von Fleischessern. Wer sich rein pflanzlich ernährt, geht hier ganz leer aus. Wissenschaftler aus Großbritannien beobachteten in einer Untersuchung aus dem Jahr 2010, dass bei 52 Prozent der Veganer deutlich erniedrigte Vit­amin-B12-Spiegel vorlagen; auch sieben Prozent der Vegetarier wiesen zu geringe Blut­spiegel auf.

Pflanzen außen vor

Vitamin B12 ist das einzige Vitamin, für das die Aufnahme von Fleisch- oder Milcherzeugnissen notwendig ist. Die Tiere stellen selbst aber kein Cobal­amin her. Diese Fähigkeit besitzen ausschließlich Mikroorganismen, die unter anderem im Verdauungstrakt der Tiere vorkommen. Auch der menschliche Dickdarm beherbergt Vitamin-B12-produ­zierende Bakterien. Weil das Vita­min jedoch bereits im Dünndarm resorbiert wird, spielt deren Produktion keine Rolle­ dabei, den Bedarf zu decken. Vitamin-B12-bildende Bakterien und Hefen kommen auch im Boden oder an Pflanzen vor. Daher lassen sich bei einigen pflanzlichen Lebensmitteln Spuren des Vitamins nachweisen. So können Wurzel- und Knollengemüse in Symbiose mit Knöllchenbakterien wachsen und das Vitamin über ihre Wurzeln aufneh­men. Der Gehalt reicht jedoch bei Weitem nicht für den Bedarf des Menschen aus.

Immer wieder kursieren in den Medien Behauptungen, auch pflanzliche Lebensmittel wie Sanddorn, Lupinen, Sauerkraut oder Backhefe würden sich als Vitamin-B12-Lieferanten eignen. Gerade auf für vegane Leser ausgelegten Internetseiten oder Blogs von Laien finden sich solche Aussagen, die jedoch einer wissenschaftlichen Grundlage entbehren. Zwar konnten Forscher in fermentierten Lebensmitteln wie Sauer­kraut oder Tempeh (fermentiertes Sojaprodukt), an deren Produktion Bakterien entscheidend beteiligt sind, Cobalamin nachweisen, doch nur in geringer Konzentration. Zudem handelt es sich dabei oft um für den Menschen nicht nutzbare Analoga. Diese haben zwar eine ähnliche chemische Struktur, können aber im Stoffwechsel nicht die Funktion des richtigen Vitamin B12 übernehmen, sondern stören vielmehr dessen Aufnahme und Aufgabe.

 

Als weitere Vitamin-B12-Quelle werden Meeresalgen und Mikroalgen ange­priesen. Die Werte, die Hersteller angeben, etwa bei Nahrungsergänzungen mit der Mikrolage Spirulina, stammen oft noch aus veralteten Analysemethoden, die auch vitaminähnliche Strukturen erfassen. Der tatsächliche nutzbare Cobalamingehalt dieser Präparate dürfte daher oft viel geringer ausfallen als behauptet. Neuere Laboruntersuchungen deuten darauf hin, dass die Rotalge Nori, die oft für Sushi verwendet wird, sowie die Mikroalge Chlorella aktives Vitamin B12 liefern. Abschließende Studien, ob der menschliche Stoffwechsel das Vitamin aus den Algen­ tatsächlich nutzen kann, stehen aber noch aus.

 

Proteine für den Transport

 

Vitamin B12 kommt in der Nahrung überwiegend als Vitamin-Protein-Komplex vor, der aufgespalten werden muss, damit er verwertet werden kann. Wichtig für den Weg des Vitamins aus der Nahrung in den Blutkreislauf ist ein gesunder Magen. Er produziert nicht nur die zur Aufspaltung nötige Magensäure und Proteasen, also protein­spaltende Enzyme. Die Magenschleimhaut bildet zudem den sogenannten Intrinsic Factor, der für das freigesetzte Vitamin als Transportprotein fungiert. So gebunden, gelangt das Vitamin bis in die unteren Dünndarmschichten, wo es über die Darmzellen in das Blut­system kommt. Dort wird Cobalamin erneut mit einem Transportprotein verknüpft, dem Transcobalamin II, und liegt dann überwiegend als Holo-Transcobalamin vor.

 

Anders als andere wasserlösliche Vita­mine kann der Körper Vitamin B12 gut speichern. Die Vorräte, die vor allem in der Leber lagern, reichen bei gut gefüllten Speichern bis zu fünf Jahre oder länger. Den Versorgungsstand zu erfassen, ist allerdings nicht ganz einfach, denn nicht nur freies Cobalamin, sondern auch Transportformen wie das Holo-Transcobalamin gilt es zu bestimmen. Erniedrigte Werte von Holo-Transcobalamin deuten früh auf eine unzureichende Versorgung hin, noch ehe klinische Symptome auftreten. Als frühe Warnzeichen gelten auch er­höhte Spiegel von Homocystein und Methylmalonsäure im Blut, die im Stoffwechsel bei Defiziten an Vitamin B12 entstehen. Alle vier Werte zusammen geben am besten Auskunft über den Vitamin-B12-Status (siehe Kasten).

Vitamin B12: Ab wann es kritisch wird
Cobalamin Serum < 20 ng/dl
Holo-Transcobalamin < 35 pmol/l
Methylmalonsäure > 271 nmol/l
Homocystein > 12 µmol/l

Mangel mit Folgen

Leeren sich die Vitamin-B12-Speicher, reduziert der Körper zunächst die Ausscheidung. Zudem verfügt der Stoffwechsel über einen enterohepatischen Kreislauf für Cobal­amin, in dem eine kleine Menge von etwa 3 bis 8 µg zirkuliert. Das mag angesichts eines Speichers von insgesamt rund 2 bis 3 mg gering erscheinen, reicht aber offenbar aus, damit Mangelerscheinungen nur sehr verzögert zu Tage treten. Bereits bei einem leichten Vitamin-B12-Mangel steigt der Homocysteinspiegel an. Homocystein gilt als Risikofaktor für Gefäßveränderungen und begünstigt daher vermutlich auch Herz- und Demenz­erkrankungen. Da der Organismus Vitamin B12 für den Folat­stoffwechsel braucht, führt eine unzu­reichende Zufuhr gleichzeitig zu Symptomen eines Folatmangels. Dazu zählen­ beispielsweise Störungen in der Blut­bildung oder Immunschwäche. Supplementiert man daraufhin nur Folat­ beziehungsweise Folsäure, besteht das Risiko, den Vitamin-B12-­Mangel zu verschleiern. Mangel­erscheinungen können sich so weiter verschlechtern. Daher sollte der Arzt bei einem Verdacht auf ein Vitamindefizit immer beide Vitamine bestimmen.

 

Vitamin B12 ist an der Bildung der Myelinscheiden beteiligt, die Nervenzellen ummanteln und sie so schützen und eine adäquate Reizweiterleitung unterstützen. Ein schwerer Vitaminmangel bringt neurologische Störungen mit sich, und bestimmte Bereiche im Rückenmark nehmen Schaden. Die Symptome: Missempfindungen wie Kribbeln oder Taubheitsgefühle an Händen, Füßen oder anderen Körperstellen. Schreiten die Schädigungen voran, treten mitunter auch motorische Störungen auf. Außerdem können sich depressive Verstimmungen und Gedächtnisstörungen zeigen.

 

Auch die Entwicklung von blut­bildenden Zellen im Knochenmark ist bei einem schweren Mangel gestört. Mediziner sprechen dann von einer megalo­blastären oder makrozytären Anämie. Der Laborarzt erkennt ver­größerte rote Blutkörperchen mit erhöh­ten Hämoglobinwerten und vergrößerte Zellen im Knochenmark. Zudem­ treten vielfältige Symptome an Haut und Schleimhäuten auf.

Risikogruppe Senioren

Für einen Vitamin-B12-Mangel kommen auch Verwertungsstörungen als Ursache in Betracht. Bei mehr als der Hälfte der über 50-jährigen ist die Magen­schleimhaut mit Helicobacter pylori besiedelt. Daraus kann sich eine chronische Magenschleimhautentzündung (Gastritis) entwickeln, an der etwa ein Drittel der über 65-jährigen Senioren leidet. Der Magen produziert dann zum einen weniger Säure, zum anderen ist die Bildung des Intrinsic Factors gestört. Dadurch verschlechtert sich die Resorption des Vitamins, was in einem Mangel münden kann, obgleich der Patient ausreichend B12-haltige Nahrungsmittel isst. Wie viele Senioren in Deutschland davon betroffen sind, lässt sich nicht genau be­ziffern. Eine kanadische Studie aus dem Jahr 2016 stellte bei 38,3 Prozent der 412 untersuchten Senioren, die in eine Pflege­einrichtung aufgenommen wurden, niedrige Vitamin B12-Spiegel im Blut fest, 13,8 Prozent zeigten einen manifesten Mangel.

 

Einige Studien deuten darauf hin, dass die durch einen Vitamin-B12-Mangel erhöhten Homocysteinwerte die Entwicklung einer Demenz fördern. Amerikanische Wissenschaftler untersuchten 2011 den Zusammenhang zwischen dem Vitamin-B12-Status und kogni­tiven Fähigkeiten bei 121 älteren Erwachsenen und zeigten, dass die Konzentrationen aller Vitamin-B12-verwandten Marker, außer dem Serum-­Vitamin B12 selbst, mit den kognitiven Funktionen und dem gesamten Gehirnvolumen korrelierten. Forscher aus Großbritannien beobachteten bei einem kleinen Kollektiv von 168 Senioren, die bereits leichte kognitive Einschränkungen aufwiesen, dass die Gabe von Folsäure, Vitamin B6 und B12 den Homocystein­spiegel senkte und die beschleunigte Rate der Hirnatrophie (Abnahme des Gesamt-Hirnvolumens) deutlich abnahm. Bei Anzeichen einer Demenz scheint es daher ratsam, den Vitamin-B12-Status zu überprüfen.

Vitamin B12-Gehalt in Lebensmitteln (µg/100 g)
Rindfleisch 5
Kalbsniere 25
Schweinefleisch (-leber) 2 (39)
Ostseehering 11
Hühnerei 1,9
Milch, Joghurt (3,5 %) 0,4
Speisequark (20 % Fett) 0,8
Emmentaler (45 % F.i.Tr.) 3,1
Edamer (40 % F.i.Tr.) 2,1

Ergänzung für ­­­Veganer Pflicht

Das gilt auch für Menschen, die an Autoimmunerkrankungen leiden, wie an Zöliakie oder chronischen Darmentzündungen. Denn auch das entzündliche Geschehen im Darm kann die Aufnahme des Vitamins beeinträchtigen. Entsteht zu wenig Intrinsic Factor, zum Beispiel nach Magenoperationen, sollte­ der Arzt einen potenziellen Versorgungsengpass ebenfalls abklären. Das betrifft unter anderem Patienten mit einer operativen Magenverkleinerung, eine zunehmend eingesetzte Therapie bei schwerer Adipositas. Das Diabetesmittel Metformin und Medikamente, die die Produktion der Magen­säure reduzieren, wie Protonenpumpenhemmer, können die Vitamin­-B12-Resorption ebenfalls ungünstig beeinflussen.

 

Wer vegan lebt, muss Vitamin B12 ergänzen. Mittlerweile ist das Wissen um die nötige Nahrungsergänzung bei den meisten Veganern angekommen, und bekannte Organisationen wie der vebu (früher Vegetarierbund) oder die Tierrechtsorganisation peta weisen auf die unverzichtbare Supplementation hin. Eine besondere Verantwortung tragen schwangere und stillende Frauen, die sich rein pflanzlich ernäh­ren. Denn eine langjährige vegane Kost der Mutter kann ohne entsprechende Supplementation zu einem Vit­amin-B12-Mangel des Kindes mit schweren Hirnschäden führen. Soll das Kind ebenfalls vegan ernährt werden, muss es von Anfang an zusätzlich Vitamin B12 bekommen, da es noch über keinerlei Körper­reserven verfügt. Auch Vegetariern wird geraten, einmal jährlich den Blutstatus überprüfen zu lassen und gegebenenfalls zu ergänzen.

 

Mit dem Trend zur veganen Kost wächst das Angebot an entsprechenden Supplementen und Lebensmitteln, die mit Vitamin B12 angereichert sind. Neben Kapseln und Tabletten sind auch Sojadrinks, Fleisch­ersatzprodukte oder Frühstückscerealien mit Vitamin-B12-Zusatz auf dem Markt. Ein Blick auf die Zutatenliste verrät, ob die zu­gesetzte Menge für den Tagesbedarf von 3 µg ausreicht. Eine Möglichkeit der Ergänzung bietet mittlerweile auch mit Vita­min B12 angereicherte Zahnpasta. Eine Studie – allerdings im Auftrag des Herstellers – wies nach zwölf Wochen Anwendung bei den vegan leben­den Teilnehmern einen Anstieg des Serum-Vitamin­-B12 und des Holo-Transcobalamin nach.

 

Die Werbung für Nahrung­­­s­er­gänzungen zielt aber nicht nur auf Risiko­gruppen wie Veganer und Senioren­ ab, sondern richtet sich auch an gestresste Frauen, aktive Best-Ager oder sportliche Managertypen. Eine Extraportion Vitamin B12 soll Energiespeicher füllen, Stress abbauen und einen aktiveren Lebensstil ermöglichen. Doch Menschen, die sich einigermaßen ausgewogen ernähren, brauchen keine Nahrungsergänzung, auch wenn die Werbung etwas anderes verspricht. Eine Supplementation ist nur dann sinnvoll, wenn Auffälligkeiten im Blutbild nachgewiesen werden oder ein echter Mangel vorliegt.

 

Laut einer Einschätzung des Bundes­instituts für Risikobewertung (BfR) sind unerwünschte Nebenwirkungen einer erhöhten Zufuhr von Vitamin B12 aus Lebensmitteln oder Supplementen bislang nicht beobachtet worden. Das liegt, vermuten die Experten des BfR, unter anderem an der schlechten Resorptions­quote. Gesunde Menschen ohne Vitamindefizite nahmen von einer­ Gabe von mehr als 10 µg Vitamin B12 lediglich 1,5 bis 2 µg aktiv auf. Verbind­liche Höchstwerte gibt es daher bis heute nicht. Aufgrund der besteh­enden Wissenslücken empfiehlt das BfR für Nahrungsergänzungen jedoch eine Höchstmenge von 3 bis maxi­mal 9 μg Vitamin B12 pro Tag. Der Blick auf die Packung zeigt, ob das Präpa­rat zu viel enthält, was laut Exper­ten der Verbraucherzentralen oft der Fall ist. Die Produkte enthalten zudem häufig noch ­weitere Vitamine oder Mineral­stoffe, die in aller ­Regel nicht nur unnötig sind, ­sondern auch die Gefahr unerwünschter Wechselwirkungen bergen. /