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Trauer

Das Schweigen brechen

27.08.2018  11:58 Uhr

Von Carina Steyer / Der Tod ist ein Tabuthema, die Konfrontation mit trauernden Angehörigen für viele eine Herausforderung. Viel falsch machen kann man jedoch nicht. Das Wichtigste ist, den Sterbefall nicht zu ignorieren.

Über Jahrhunderte hinweg war der Tod elementarer Bestandteil des Lebens. Die Lebenserwartung war niedrig, die Kindersterblichkeit hoch. Trauernde wurden von einer Gemeinschaft auf­gefangen, in der es Regeln und Rituale gab, die jeder kannte und befolgte. Heute sind die Themen Tod und Trauer in Deutschland an den gesellschaftlichen Rand gerückt. Wir wissen nicht mehr, wie man mit Trauernden umgeht. Vielmehr wird von ihnen häufig viel zu schnell erwartet, wieder in den Alltag zurückzufinden. Für lange Trauer­prozesse fehlen oft die Zeit und das Verständnis. Doch wie ein Mensch trauert oder zu trauern hat, lässt sich nicht vorhersagen oder verallgemeinern. Trauerprozesse sind individuell und werden von der Persönlichkeit, der Kultur und den Todesumständen des Verstorbenen beeinflusst. Es gibt eine Vielzahl an Trauerreaktionen, die es auch Wissenschaftlern schwer machen, die Trauer genau zu definieren.

Basierend auf klinischen Erfahr­ungen haben Trauerforscher wie Verena­ Kast, Yorick Spiegel oder John Bowlby und Colin Murray Parkes das Trauern als Prozess beschrieben, der mehrere Phasen durchläuft. Bis auf unter­schiedliche Begrifflichkeiten ähneln sich die Modelle sehr und um­fassen vier Phasen. Demnach geht es zunächst darum, die Realität des Verlustes­ zu begreifen. Viele Trauernde erleben den Tod eines geliebten Menschen­ zunächst als Schock, die emotionale und kognitive Erfassung beginnt erst in der zweiten Phase. Jetzt spürt der Trauernde den Schmerz über den Verlust in voller Stärke. Ihn beherrscht das Gefühl der Traurigkeit und Verzweiflung, der Alltag erscheint ohne Sinn, die Zukunft dunkel. Dazu können Appetit- und Schlaflosigkeit kommen, aber auch das Bedürfnis, permanent schlafen oder essen zu wollen. Oft tritt eine bisher ungekannte Wut auf, die sich gegen den Verstorbenen und sein Sterben richtet. Diese Gefühle können mehrere Mo­nate anhalten, bis die dritte Phase beginnt, in der sich der Trauernde der neuen Realität ohne den Verstorbenen anpassen muss. In der letzten Phase schafft es der Hinterbliebene schließlich, Gewohnheiten und Hobbys wieder­ aufzunehmen, neue zu entdecken und sein Leben ohne den Verstorbenen sinnvoll zu gestalten.

Richtig reagieren

Heute weiß man, dass viele Trauernde diese Phasen in unterschiedlicher Form durchleben. Sie beginnen nicht in Phase eins und enden in Phase vier. Vielmehr ist der Trauerprozess ein Auf und Ab, einzelne Phasen wechseln einander ab, werden übersprungen oder wieder zurückgegangen. Am Ende steht nach Ansicht der Phasenmodelle immer das Lösen der Bindung zum Verstorbenen. Viele Hinterbliebene wollen oder können die Bindung allerdings nicht aufgeben. Für sie ist es tröstlich, die Beziehung in symbolischer Weise aufrechtzuerhalten, so dass eine innere Verbindung erhalten bleibt.

Ein Patentrezept, wie man trauernden Kunden richtig begegnet, gibt es nicht. Wichtig ist, Anteilnahme an dem Schmerz des Gegenübers zu zeigen und verletzende Äußerungen zu vermeiden (Kasten). Es ist durchaus in Ordnung, ehrlich zu sagen, dass einem die Worte fehlen oder man selbst betroffen ist. Sogar ein aufrichtiges »Herzliches Beileid« ist besser, als das Geschehene zu ignorieren. Trauernde erleben diese Situation häufig, sie lässt das Gefühl von Ein­samkeit und Isolation noch größer werden.

Sätze, die nicht trösten:

»Sie sind noch jung, das Leben geht weiter«

Der Schmerz ist gegenwärtig so groß, dass eine Zukunft ohne den Verstorbenen undenkbar ist.

»Sie haben ja noch zwei Kinder«

Kinder sind nicht aus­tausch­­­bar oder ersetzbar.

»Die Zeit heilt alle Wunden«

Die Lücke, die ein geliebter Mensch hinterlässt, schließt sich nie, die Hinter­bliebenen können nur lernen, mit ihr zu leben.

»Sie ist jetzt erlöst und hat keine Schmerzen mehr«

Das mag sein, aber der Verlust wiegt wesentlich schwerer.

Es wird empfohlen, die erste Begegnung mit dem Trauernden möglichst dezent zu gestalten. Sind noch andere Kunden da, ist es für viele Betroffene angenehmer, wenn nicht über den Verkaufstresen gesprochen wird. Ein paar ruhige Worte und ein Händedruck wirken im direkten Kontakt persönlicher. Anschließend entscheidet der Kunde wie es weitergeht. Einige sind froh über ein längeres Gespräch, andere wollen möglichst schnell wieder gehen.

Medikamente nur kurzfristig

Ruhelosigkeit, Schlaflosigkeit oder körper­liche Schmerzen kommen bei Trauernden häufig vor und lassen sie mit dem Wunsch nach einem Schlaf- oder Beruhigungsmittel in die Apotheke kommen. In der akuten Anfangszeit sind Medikamente als Erste-Hilfe-Maß­nahme durchaus gerechtfertigt. Später können­ sie jedoch den Trauerprozess aufhalten und verzögern, deshalb sollte dann von einer Einnahme abgeraten werden. Besser sind konkrete Hilfsangebote, wo der Trauernde Unterstützung erhält (siehe Kasten oben). Das Angebot ist vielfältig und reicht von Trauer­gruppen und Trauerbegleitern bis hin zu Psychologen. Auch online finden sich inzwischen verschiedene Foren und Chats, die gerade von jungen Trauernden gerne angenommen werden.

Dauer ungewiss

Wie lange ein Trauerprozess dauert, ist schwer zu sagen. Viele Betroffene spüren­ innerhalb der ersten sechs Monate ein Nachlassen der Trauer. Andere empfinden nach einem Jahr noch deutliche­ Trauersymptome, manchmal beschäftigen sich Hinterbliebene zehn Jahre später noch häufig mit dem Verstorbenen oder träumen von ihm. Eine Intensivierung der Trauer kann stattfinden, wenn sich der Todestag jährt oder besondere Ereignisse wie ein Geburts­tag, Hochzeitstag oder Weihnachten bevorstehen. Dies gilt alles als normal, wenn der Trauernde es gleichzeitig schafft, seinen Alltag wieder selbstständig zu organisieren. Aufmerksam sollte man werden, wenn nach mehr als einem Jahr der quälende Verlust noch als so ausgeprägt erlebt wird, dass der Trauernde in seinem Sozial­-­ und Berufsleben deutlich be­einträchtigt ist. Psychologen sprechen in diesem Fall von komplizierter, pathologischer oder verlängerter Trauer, die ein eigenständiges Krankheitsbild darstellt­. Sie empfehlen Betroffenen, die Anzeichen einer komplizierten Trauer zeigen, Kontakt zu einem­ Psychotherapeuten aufzunehmen. Anders als normal Trauernde, bei denen therapeutisches Eingreifen keine­ Verbesserung erzielt, benötigen kompliziert Trauernde verhaltens­therapeutische Begleitung, um ihren Trauerprozess abschließ­en zu können.

Warum einige Menschen kompliziert trauern, ist wissenschaftlich noch nicht erfasst. Bekannt sind Risiko­faktoren, die das Auftreten einer kompli­zierten Trauer wahrscheinlicher machen. Dazu gehört der Tod des eigenen­ Kindes, ein Mord, Unfall oder Selbstmord. Auch ein unerwarteter Tod, eine ambivalente oder abhängige Beziehung zum Verstorbenen, ein schlechter Gesundheitszustand des Trauernden, zusätzliche Krisen oder unge­nügende soziale Unterstützung können eine komplizierte Trauer begünstigen. /

Hilfsangebote für Trauernde