Mosaik der guten Pflege |
27.08.2018 11:58 Uhr |
Von Ulrike Viegener / Es wird viel darüber geredet, dass für die Betreuung pflegebedürftiger älterer Menschen Kapazitäten und Strukturen fehlen. Der große Wurf, der dies bedarfsgerecht ändern könnte, ist bislang ausgeblieben. Stellt sich die Frage: Wie lässt sich trotzdem eine gute Pflege im Alter organisieren?
Viele Menschen machen sich Sorgen darüber, was werden wird, sollten sie im Alter pflegebedürftig werden. Andererseits treffen die wenigsten konkrete Vorkehrungen, um für den Ernstfall gut vorbereitet zu sein. In einer Umfrage des Wissenschaftlichen Instituts der AOK aus dem Jahr 2015 hatten sich gerade mal 3,5 Prozent der Befragten auf eine Warteliste für einen Heimplatz oder betreutes Wohnen setzen lassen. Und noch etwas ist interessant: Zwei von drei Befragten könnten sich mit einem Umzug ins Pflegeheim arrangieren, wenn sie dadurch unabhängig blieben und niemandem zur Last fallen würden.
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Trotz oder vielleicht gerade wegen der Ängste, die mit Pflegebedürftigkeit verbunden sind, verdrängen die meisten das Thema und hoffen darauf, dass alles irgendwie gut gehen wird. Und wenn der Pflegefall dann doch eintritt – und das kann sehr plötzlich passieren – dann muss alles »hoppla hopp« gehen.
Bei der Frage »Wie würde ich mir eine pflegerische Betreuung im Alter wünschen?« gibt es einiges zu bedenken und zu organisieren. Deshalb ist es unbedingt zu empfehlen, sich rechtzeitig und vorsorglich mit dem Thema zu beschäftigen. Apotheker können dazu beitragen, für ein solches vorausschauendes Vorgehen zu sensibilisieren. Sie haben oft einen guten Draht zu ihren Stammkunden und Einblicke in deren persönliche Lebenssituation, so dass sie abschätzen können, wann es sinnvoll wäre, das Thema behutsam anzusprechen.
Am besten werden immer unterschiedliche Optionen überdacht und daraufhin abgeklopft, inwieweit sie die individuellen Ansprüche und Wünsche an eine Pflege im Alter erfüllen. Sich zu Hause von Angehörigen mit Unterstützung eines Pflegedienstes versorgen lassen, betreutes Wohnen oder der Umzug in ein Seniorenheim – das sind die wichtigsten Versorgungsmodelle, die in Frage kommen.
Laut einer Umfrage des Allensbach Instituts hat es für die meisten Menschen oberste Priorität, im Fall einer Heimunterbringung von qualifizierten Pflegern betreut zu werden. Und auch ganz oben auf der Liste steht der Wunsch nach einer respektvollen Behandlung. Ein Mensch, der auf die Hilfe anderer angewiesen ist, möchte in seiner Individualität – seinen Bedürfnissen, Vorlieben und Sorgen – wahrgenommen werden. Von den Pflegenden verlangt dies Respekt und ein hohes Maß an Empathie.
Körperliche Nähe erfahren alte Menschen seltener. Doch das Bedürfnis danach besteht.
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Viel wird darüber diskutiert, dass diese menschlichen Aspekte im Pflegealltag leicht auf der Strecke bleiben, weil die Pflegekräfte oft heillos überfordert sind und unter einem hohen Zeitdruck agieren müssen. Das ist leider die Realität. Trotzdem: Auch unter diesen schlechten Rahmenbedingungen ist gute Pflege machbar. Und das ist vor allem dem persönlichen Engagement vieler Heim- beziehungsweise Pflegedienstleitungen und ihrer Mitarbeiter zu verdanken.
Deshalb ist es immer ratsam, alternative Pflegeangebote persönlich in Augenschein zu nehmen und sich vor Ort ein Bild zu machen, bevor man sich für eine Pflegeeinrichtung oder einen ambulanten Pflegedienst entscheidet. Einige Pflegedienste verfügen über Gütesiegel, die aber unterschiedlicher Herkunft sind und keine standardisierte Qualitätsaussage machen. Bei einem Ortstermin sollten Interessenten deshalb alle Fragen stellen, die ihnen am Herzen liegen. Anzahl und Qualifikation der Mitarbeiter sind wichtige Aspekte. Es wurden inzwischen zu unterschiedlichen Pflegethemen, wie zu Druckgeschwüren, Inkontinenz, Stürzen und Schmerzen, nationale Expertenstandards erarbeitet, die per Gesetz verpflichtend sind. Außerdem sollten Pflegekräfte, die Demenzkranke betreuen, eine spezielle Ausbildung besitzen. Ein weiterer Punkt, der bei einer Heimunterbringung erfragt werden sollte: Inwieweit wird den Senioren eine aktive Lebensgestaltung ermöglicht? Diese Frage schließt »Freizeitangebote« ebenso ein wie den Umgang mit Psychopharmaka. Abgesehen von solchen sachlichen Informationen ist immer auch der atmosphärische Eindruck – das Bauchgefühl – ganz wichtig für die Entscheidungsfindung.
Helfer ins Boot holen
Gesetzt den Fall, es zeichnet sich bereits ein konkreter Pflegebedarf ab und der Betroffene soll zu Hause versorgt werden, gilt es, ein gut funktionierendes Netzwerk zu etablieren. Pflege kann nicht von einem Menschen allein gestemmt werden. Das sollte Angehörigen klar gemacht werden, die sich entschlossen haben, die Pflege zu übernehmen. Von den drei Millionen Pflegebedürftigen, die es laut Statistischem Bundesamt aktuell in Deutschland gibt, werden mehr als 1,3 Millionen ausschließlich von Angehörigen betreut.
Von Vorteil: wenn sich in die Pflege mehrere Familienmitglieder einbinden lassen.
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Pflegende Angehörige neigen dazu, ihre eigenen Bedürfnisse hintan zu stellen und weit über ihre physischen und psychischen Belastungsgrenzen hinaus zu gehen. Das jedoch kann auf Dauer nicht gutgehen. Überforderung ist vorprogrammiert, die bis zum Burnout und Kollaps führen kann. Und damit ist niemandem gedient.
Dass der große Wurf einer Pflegereform bislang ausgeblieben ist, hat vordergründig finanzielle Gründe. Dahinter steht aber ein Grundsatzproblem, welches das Medizinverständnis betrifft. Während andere europäische Länder, wie zum Beispiel Großbritannien, intensiv daran gearbeitet haben, neben der Akutmedizin Konzepte zur Betreuung chronisch Kranker einschließlich einer adäquaten Palliativpflege in die medizinische Versorgung zu integrieren, hinkt Deutschland an diesem Punkt hinterher. Das spiegelt sich unter anderem in dem Mangel an qualifizierten Pflegekräften wieder, den Experten derzeit insgesamt auf mindestens 100 000 beziffern. Die Bundesregierung dagegen glaubt, das Problem mit – nachgebessert – rund 13 000 zusätzlichen Stellen bewältigen zu können.
Seit Januar 2017 gibt es fünf Pflegegrade. Bei der Einstufung werden sechs Lebensbereiche berücksichtigt, zu denen Mobilität, kognitive und kommunikative Fähigkeiten, Alltagskompetenz und Bewältigung krankheitsbedingter Anforderungen zählen. Gegenüber dem alten Vier-Stufen-System haben heute geistige und psychische Beeinträchtigungen mehr Gewicht. Auch die »Begutachtung mit der Stoppuhr« wurde abgeschafft, stattdessen erfolgt die Beurteilung heute nach einem Punktesystem. Der Antrag auf einen Pflegegrad wird bei der Pflegekasse gestellt, die daraufhin den Medizinischen Dienst der jeweiligen Krankenversicherung mit der Begutachtung der Pflegebedürftigkeit beauftragt.
Der Kernpunkt des Problems liegt in dem Stellenwert, der einer guten Pflege innerhalb der Medizin zukommt. In skandinavischen Ländern zum Beispiel besitzt der Pflegeberuf ein sehr hohes Ansehen, was sich nicht nur in der finanziellen Honorierung niederschlägt. Ärzte und Pflegekräfte arbeiten dort auf Augenhöhe zusammen, wovon beide Seiten profitieren. Und vor allem profitieren die hilfsbedürftigen Menschen, um deren Wohlbefinden es geht.
Apotheker als Partner
Auch Apotheker sind wichtige Partner im pflegerischen Betreuungsnetz. Bei der medikamentösen Behandlung älterer Menschen sind pharmakokinetische und -dynamische Besonderheiten zu berücksichtigen. Oft sind Dosisanpassungen erforderlich, die spezielle Kenntnisse der geriatrischen Pharmazie erfordern. Hinzu kommt, dass im Alter Polymedikationen die Regel sind. Damit steigt das Risiko von Arzneimittelinteraktionen, die bei älteren Patienten nicht selten für Klinikeinweisungen verantwortlich sind (siehe auch Polymedikation: Krankmachende Kombinationen). Das frühzeitige Einbinden des Apothekers kann helfen, solche Zwischenfälle zu vermeiden.
Darüber hinaus stellt das Apothekenteam die Versorgung mit geeigneten – qualitätsgesicherten und patientenfreundlichen – Hilfsmitteln sicher. Dazu zählen Produkte wie Inkontinenzhilfen, aber auch Hilfsmittel, die zur Pflege benötigt werden. Seitens pflegender Angehöriger besteht ein hoher Beratungsbedarf, welche Hilfsmittel es gibt und worauf sie einen Anspruch haben.
Angehörige sind gut beraten, die Betreuung von Anfang an auf mehrere Schultern zu verteilen. Vielleicht sind neben Familienmitgliedern auch Freunde und Nachbarn bereit mitzuhelfen. Außerdem macht es Sinn, frühzeitig einen ambulanten Pflegedienst einzubinden. Eine zentrale Rolle nimmt der Hausarzt ein, der je nach Bedarf unterschiedliche Fachärzte wie Schmerzspezialisten mit ins Boot holen kann. Eine gute Schmerzbehandlung – auch das zeigen Umfragen übereinstimmend – ist den meisten Menschen ein sehr wichtiges Anliegen. Apotheker sollten ebenfalls einen aktiven Part im Betreuungsnetzwerk übernehmen. Die Pharmakotherapie der älteren Menschen sowie die Bereitstellung geeigneter Hilfsmittel gehören in ihren Kompetenzbereich. Und schließlich sollten auch Seelsorger oder andere spirituelle Begleiter zum Team gehören, falls der Betreute dies wünscht.
Palliative Care
Das »Palliative Care«-Konzept der Weltgesundheitsorganisation (WHO) betont ausdrücklich den ganzheitlichen Charakter palliativer Pflege, die neben physischen auch psychische, soziale und spirituelle Bedürfnisse berücksichtigen müsse. »Palliative Care« wird definiert als Behandlung, Pflege und Fürsorge, die einem Menschen, für den es keine kurativen Behandlungsoptionen gibt, zu einer optimalen Lebensqualität verhilft. Unter anderem gelte es, den betreuten Menschen dahingehend zu unterstützen, dass er möglichst lange aktiv am Leben teilhaben kann und seine Selbstständigkeit soweit möglich erhalten bleibt. Wenn das Leben zu Ende geht – auch dies wird betont – müsse das Sterben menschenwürdig begleitet werden. Ursprünglich war das »Palliative-Care«-Konzept stark auf die letzte Lebensphase bezogen, heute jedoch wird es sehr viel weiter gefasst und gilt in seinen Grundsätzen auch für eine langjährige pflegerische Begleitung im Alter.
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Die enorme Zunahme chronischer Erkrankungen stellt die pflegerische Betreuung älterer Menschen vor ganz neue Herausforderungen – Herausforderungen, für die unsere Gesellschaft aktuell nicht wirklich »gerüstet« ist. Degenerative orthopädische Erkrankungen und zum Beispiel Typ-2-Diabetes tragen ebenso zur Pflegebedürftigkeit im Alter bei wie neurodegenerative Erkrankungen. Vor allem für die wachsende Zahl von Menschen, die an Morbus Alzheimer oder vaskulärer Demenz erkranken, mussten ganz neue Betreuungskonzepte entwickelt werden.
Gemäß § 40 Absatz 1 des Sozialgesetzbuchs 11 erstattet die Pflegekasse Versicherten mit einem anerkannten Pflegegrad 40 Euro pro Monat für die sogenannten Pflegehilfsmittel zum Verbrauch. Voraussetzung ist, dass der Versicherte zu Hause oder in einer Wohngemeinschaft lebt und die Pflege von einem Angehörigen beziehungsweise Freund übernommen wird. Wurde noch kein Pflegegrad beantragt, können Apotheker helfen, eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkasse auf den Weg zu bringen.
Informationen rund um das Thema »Pflegebedürftigkeit«:
Pflegehilfsmittel zum Verbrauch sind in der Produktgruppe 54 des Hilfsmittelverzeichnisses gelistet. Es besteht Anspruch auf Bettschutzeinlagen, Einmalhandschuhe, Mundschutz, Schürzen sowie Desinfektionsmittel, wobei eine ärztliche Verordnung nicht erforderlich ist. Der Antrag kann direkt in der Apotheke ausgefüllt und von dort per Fax oder Post an die Pflegekasse übermittelt werden. Die notwendigen Formulare gibt es zum Downloaden auf dem Webportal des zuständigen Landesapothekerverbandes.
Die Unterstützung pflegender Angehöriger – wie sie auch im »Palliative Care«-Konzept der WHO gefordert wird – ist von größter Bedeutung für ein langfristig erfolgreiches ambulantes Versorgungsmodell. Zu den verfügbaren Hilfsangeboten gehört die Kostenübernahme einer Ersatzpflege für insgesamt sechs Wochen im Jahr durch die Pflegekasse: Pflegende Angehörige brauchen Urlaub und auch sonst kleinere Auszeiten und können dafür eine Ersatzpflege durch Privatpersonen oder professionelle Dienstleister ihres Vertrauens organisieren. Auch ehrenamtliche Entlastungsdienste springen bei Bedarf ein. Allerdings tun sich pflegende Angehörige nicht selten schwer, Hilfe anzunehmen. Nicht zuletzt in dieser Hinsicht können Apotheker beratend und motivierend tätig werden. /