Notfallsaft mit Glucocorticoid |
27.08.2018 11:58 Uhr |
Von Andreas Melhorn / Lieferengpässe von benötigten Fertigarzneimitteln sind ein vermehrt auftretendes Problem. Rezepturarzneimittel stellen eine Möglichkeit dar, solche Engpässe zu überbrücken. Apotheken können sich damit von Mitbewerbern wie Onlineversendern oder Drogerien abheben. Das DAC/NRF reagiert im Regelfall zügig auf bekannte Lieferschwierigkeiten von wichtigen Arzneimitteln und weist auf Alternativen hin.
Eine Patientin kommt mit einem Rezept für ein »Notfallset« in die Apotheke. Verordnet sind die üblichen drei Arzneimittel, die so ein Set ausmachen: ein Adrenalin-Pen, eine kleine Flasche eines H1-Antihistaminikums und eine kleine Flasche Betamethason-haltiger Tropfen. Eingesetzt werden die Präparate zur Notfallbehandlung der Anaphylaxie, im Sommer besonders bei Insektenstichallergien.
Das Antihistaminikum hat die Apotheke vorrätig. Bei Adrenalinpens gibt es zwar Lieferschwierigkeiten, doch auch damit kann die PTA den Patienten versorgen. Die Betamethason-Tropfen Celestamine® N 0,5 sind allerdings zurzeit defekt. (Anmerkung: Während diese Zeilen entstehen, besteht der Lieferengpass laut Meldung beim Bundesministerium für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) noch bis September 2018.)
Die Patientin berichtet, dass bei ihrem Sohn eine Insektenstichallergie festgestellt wurde, und sie reagiert entsprechend besorgt, weil eines der Arzneimittel fehlt. Die PTA wendet sich an die Arztpraxis. Der Arzt weiß von dem Lieferengpass, hatte aber gehofft, dass die Apotheke doch noch eine Flasche bekommen könnte. Da das Problem schon länger besteht und in den nächsten Wochen vermutlich noch häufiger vorkommen wird, bittet er darum herauszufinden, ob entsprechende Tropfen in der Apotheke angefertigt werden können. Die PTA verspricht sowohl dem Arzt als auch der Patientin, sie zu informieren, sobald sie mehr weiß.
Betamethason-Lösungen
Die PTA ruft den Rezepturhinweis »Betamethason« auf der DAC/NRF-Webseite auf. Die Meldung des Lieferdefekts beim BfArM bis September wird darin noch einmal bestätigt. Betamethason ist praktisch unlöslich in Wasser, was die Herstellung von Tropfen oder Saft erschwert. Betamethasondihydrogenphosphat-Dinatrium ist zwar besser wasserlöslich, aber als Rezeptursubstanz nicht erhältlich.
Foto: Your Photo Today
Der Rezepturhinweis berichtet von einer amerikanischen Vorschrift, die einen entsprechenden Saft beschreibt. Er enthält Ethanol und Propylenglycol, was zwar die Löslichkeit des Betamethasons verbessert, den Saft jedoch für Kinder möglicherweise ungeeignet macht. Ein Blick in den Rezepturhinweis »Propylenglycol« verrät der PTA, dass bestimmte Mengen des Hilfsstoffs bei Kindern unter fünf Jahren gesundheitsschädlich sein können und in den ersten Lebensmonaten sogar als kritisch angesehen werden. Celestamine® N 0,5 enthält zwar auch Propylenglycol, aber vermutlich weniger als dieser Saft. Die Haltbarkeit ist mit zwei Wochen im Kühlschrank sehr kurz. Allein die Kühlschranklagerung macht den Saft für ein Notfallset im Sommer wenig geeignet. Die PTA sucht also weiter.
Zum Glück geht der Rezepturhinweis recht genau auf die Anwendung des Glucocorticoids in »Notfallsets« ein. In einer Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) wird allgemein von Glucocorticoiden zur Anwendung bei Anaphylaxie gesprochen. Es muss also nicht unbedingt Betamethason verwendet werden.
So genannte »Prednisolonäquivalente« sind eine Angabe, die einen Vergleich der Wirkstärken von Glucocorticoiden ermöglichen. 1 mg Betamethason entspricht etwa 7,5 Prednisolonäquivalenten, also einer Wirkpotenz von 7,5 mg Prednisolon. Die PTA notiert diese Umrechnung, um sie an den Arzt weiterzugeben. Eine Tabelle gibt außerdem eine typische Dosierung für Kinder verschiedenen Alters oder Gewichts an. Beispielsweise würden demzufolge sechs- bis 13-jährige Kinder Prednisolon in einer Dosierung von 5 bis 10 mg/kg Körpergewicht bekommen.
Der Rezepturhinweis verweist auf die NRF-Rezepturvorschrift NRF 34.1.: Prednisolon-Saft 1 mg/ml / 5 mg/ml. Damit hat die PTA eine mögliche Zubereitung gefunden, die sie dem Arzt vorschlagen kann.
Prednisolon-Saft 5 mg/ml
Laut Rezept ist der Sohn der Patientin zehn Jahre alt. Die PTA schaut sich also die Vorschrift für den höher konzentrierten Saft an.
Prednisolondihydrogenphosphat-Dinatrium ist gut wasserlöslich. Es wird gemeinsam mit den anderen Feststoffen eingewogen und in Gereinigtem Wasser gelöst. Besonders beim Corticoid muss der Einwaagekorrekturfaktor beachtet werden; ein Grund ist der relativ hohe Wassergehalt der Rezeptursubstanz. Der Phosphatpuffer hält den Saft in neutralem pH-Bereich von circa 7,1, in dem das Kortikoid sehr stabil ist. Warum das Edetat hinzugegeben wird, steht nicht in der Vorschrift. Im Rezepturhinweis »Prednison und Prednisolon zur Einnahme« findet die PTA den Hinweis, dass die Stabilität durch minimale Mengen an Schwermetallen bereits stark verringert wird. Sie vermutet, dass das Edetat Schwermetalle binden soll, um die angegebene Stabilität zu garantieren. Da es sich um eine standardisierte Vorschrift handelt und sie Natriumedetat im Saft für unkritisch hält, hinterfragt sie die Zugabe nicht weiter.
Der klaren Lösung werden anschließend die Sorbitollösung 70 Prozent und das Bananenaroma hinzugefügt. Da Prednisolon einen bitteren Geschmack hat, ist besonders bei der Verabreichung an Kinder ein Geschmackskorrigens notwendig. Die PTA macht sich eine Notiz, um zu fragen, ob der Sohn der Patientin Banane mag. Der Austausch des Aromas stellt kein Problem dar.
100 ml (106,8 g beziehungsweise 107,1 g) Zubereitung enthalten:
Prednisolondihydrogenphosphat-Dinatrium 0,672 g
Natriumedetat (Dinatriumedetat-Dihydrat) 0,1 g
Natriummonohydrogenphosphat-Dodecahydrat 1,9 g
Natriumdihydrogenphosphat-Dihydrat 0,21 g
Bananenaroma (flüssig, Aromastoffe natürlich und naturidentisch) 0,1 g
Sorbitollösung 70 % (nicht kristallisierend) 25,8 g
Methyl-4-hydroxybenzoat-Konzentrat 15 % (m/V) (Vorschrift S.34.) 1,0 ml (= 1,06 g)
Gereinigtes Wasser 77,258 g
Abschließend gibt sie das Konservierungsmittel Methyl-4-hydroxybenzoat-Konzentrat 15 Prozent hinzu. Dabei bilden sich weiße Ausfällungen, die sich aber langsam wieder auflösen. Bei Raumtemperatur gibt die Vorschrift eine Zeit von etwa einer halben Stunde an. Der Saft hat eine Laufzeit (vor Öffnen) von einem Jahr und eine Aufbrauchfrist von sechs Monaten.
Die PTA bespricht sich mit dem diensthabenden Apotheker und telefoniert anschließend mit dem Arzt. Der Arzt ist dankbar für die Alternative und bittet die PTA, die Zusammensetzung gemeinsam mit der Umrechnung zwischen den Corticoiden an ihn zu mailen. Kurz darauf nennt er die Prednisolonmenge für den Saft. Da der Junge im Bedarfsfall die gesamte Flasche trinken soll, bittet der Arzt die Apotheke, eine entsprechende Menge an Saft herzustellen. Die PTA lässt sich abschließend von der Mutter bestätigen, dass das Bananenaroma kein Problem ist. /
Rezeptur-Videos
Rezepturprobleme? PTA-Forum hilft in kurzen, aber sehr informativen Videos auf YouTube weiter – von der Herstellung von Kapseln oder Gels bis hin zum richtigen Wiegen oder wie man Inkompatibilitäten vermeidet.
→ zu den Rezeptur-Helfern auf Video