Mehr oder weniger bedeutend |
07.09.2015 09:36 Uhr |
Von Verena Arzbach / Die einzelnen Antibiotikagruppen haben ein unterschiedlich hohes Risiko, mit anderen Wirkstoffen zu interagieren. Nicht alle möglichen Wechselwirkungen sind in der Praxis klinisch relevant. PTA und Apotheker stehen also in der Pflicht, das Risiko potenzieller Wechselwirkungen einzuschätzen, um Patienten wichtige Hinweise in der Beratung geben zu können.
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Ob und in welchem Ausmaß Antibiotika die Wirksamkeit von Sexualhormonen beeinflussen, ist nicht genau geklärt. Zu möglichen Wechselwirkungen gibt es nur spärliche Daten. Zusammenhängen könnte die Interaktion mit dem enterohepatischen Kreislauf, dem Estrogene unterliegen. Das heißt, nach der Aufnahme im Körper wird das Estrogen in der Leber metabolisiert und mit Schwefel- und Glucuronsäure konjugiert. Das konjugierte Estrogen gelangt von der Leber über die Galle in den Darm, dort werden die wasserlöslichen Gruppen wieder abgespalten und der Wirkstoff wird in den Blutkreislauf aufgenommen. Gestagene unterliegen dagegen keinem enterohepatischen Kreislauf.
Eine mögliche Erklärung für die Interaktion von Antibiotika und hormonellen Kontrazeptiva: Die Antibiotika schädigen die Darmflora und beeinflussen damit den enterohepatischen Kreislauf in seiner normalen Abfolge negativ. Das Estrogen wird schneller ausgeschieden und kann nicht ausreichend wirken. Außerdem zählen Durchfälle und Erbrechen zu den häufigsten unerwünschten Arzneimittelwirkungen einer Antibiotikatherapie. Das stört die Resorption der Sexualhormone, und eine sichere empfängnisverhütende Wirkung kann nicht mehr garantiert werden.
Nicht alle Interaktionen spielen in der Praxis eine große Rolle. PTA müssen einschätzen können, wie relevant eine mögliche Wechselwirkung tatsächlich ist.
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Die ABDA-Datenbank stuft die Interaktion als theoretisch möglich ein, in der Praxis gilt es allerdings als recht unwahrscheinlich, dass die Einnahme eines Antibiotikums die Wirkung der Hormone verringert, wenn weder Durchfall noch Erbrechen auftreten. Es gibt zudem nur einzelne Fallberichte, bei denen nicht nachgewiesen ist, ob tatsächlich die Wechselwirkung dafür verantwortlich ist, dass die Frau schwanger geworden ist. Eine Schwangerschaft könnte zum Beispiel auch nach einem Einnahmefehler des oralen Antikontrazeptivums aufgetreten sein.
Die nicht eindeutige Datenlage macht die Beratung in der Apotheke schwierig: Das Risiko einer Schwangerschaft ist bei korrekter Anwendung und wenn kein Durchfall oder Erbrechen auftritt, ziemlich gering. Die betroffene Patientin sollte das theoretische Risiko aber kennen und entscheiden, ob sie es eingehen möchte. PTA können dazu raten, sicherheitshalber während der Einnahme des Antibiotikums plus sieben Tage danach zusätzlich eine Barrieremethode, etwa ein Kondom, zur Empfängnisverhütung zu benutzen.
Gyrasehemmer und Kationen
Klinisch relevant ist dagegen die Komplexbildung der Gyrasehemmer mit mehrwertigen Kationen. Vorsicht ist dann bei der gleichzeitigen Einnahme des Antibiotikums mit Magnesium, Calcium, Zink, Eisen, Strontium und Aluminium geboten. Diese Kationen können in anderen Arzneimitteln, Nahrungsmitteln oder Nahrungsergänzungsmitteln enthalten sein. Durch die Bildung von Chelatkomplexen ist eine geringere Dosis des Antibiotikums im Körper verfügbar, und die antibiotische Therapie wirkt möglicherweise nicht ausreichend.
Um die Wechselwirkung zu verhindern, sollten die Patienten bei der Einnahme einen möglichst großen zeitlichen Abstand zwischen Antibiotikum und polyvalenten Kationen einhalten. In der Regel empfehlen Experten einen Abstand von mindestens vier Stunden vor beziehungsweise zwei Stunden nach der Einnahme des Antibiotikums. Obwohl die Tendenz zur Komplexbildung bei den einzelnen Wirkstoffen unterschiedlich stark ausgeprägt ist, sollten PTA zur Sicherheit und um Verwirrung beim Patienten zu vermeiden, bei allen Wirkstoffen aus dieser Gruppe empfehlen, diesen Abstand einzuhalten. Einzige Ausnahmen sind Levofloxacin, Moxifloxacin und Ofloxacin in Kombination mit Calciumpräparaten oder Milchprodukten. Hier ist die Wechselwirkung klinisch nicht relevant, ein zeitlicher Abstand nicht nötig. Hier spricht zum Beispiel nichts dagegen, das Antibiotikum zum Frühstück einzunehmen.
Auch Tetracycline bilden Komplexe mit mehrwertigen Kationen. Bei der Einnahme von Milchprodukten sowie Calcium-, Magnesium- und Eisen-haltigen Arznei- und Nahrungsmitteln sowie auch einigen Mineralwässern sollten PTA hier zu einem Abstand von zwei bis drei Stunden raten. Am einfachsten für den Patienten ist die Empfehlung, Nahrungsergänzungsmittel mit polyvalenten Kationen und das Tetracyclinzu verschiedenen Mahlzeiten einzunehmen, um einen ausreichenden Abstand zu garantieren.
Makrolide und Statine
Makrolid-Antibiotika hemmen das Enzym CYP3A4 in unterschiedlichem Ausmaß. Die stärksten Hemmer sind Erythromycin, Clarithromycin und Telithromycin. Roxithromycin hemmt das Enzym nur schwach, Azithromycin gar nicht. Durch die Blockade von CYP3A4 verlangsamt sich der Abbau von anderen Arzneistoffen, die über das Enzymsystem verstoffwechselt werden, zum Beispiel den Statinen. Deren Plasmakonzentration steigt, und damit auch die Gefahr für gefährliche Nebenwirkungen wie Myopathien oder eine Rhabdomyolyse. Risikofaktoren für diese Wechselwirkung sind eine ohnehin hohe Dosierung, höheres Lebensalter, eine bestehende Niereninsuffizienz sowie starke körperliche Aktivität.
Eine Kombination von Erythromycin, Clarithromycin oder Telithromycin mit Simvastatin, Lovastatin und Atorvastatin sollte der Arzt möglichst vermeiden. Eine Alternative kann hier zum Beispiel Azithromycin sein, das CYP3A4 nicht hemmt. Auch ist es möglich, die Statineinnahme während der antibiotischen Therapie auszusetzen. PTA sollten Patienten, die Statine einnehmen, grundsätzlich darüber informieren, dass sie bei plötzlich auftretenden Beschwerden wie Muskelschmerzen, -schwäche oder dunklem Urin umgehend ihren Arzt aufsuchen sollten. /
Sicher kombinieren
PTA-Forum / Wie relevant Arzneimittel-Interaktionen in der Praxis überhaupt sind, ist nicht immer klar. Der »Interaktions-Check in der Apotheke« hilft Apothekenmitarbeitern dabei einzuschätzen, welche Wechselwirkungen relevant und welche Interventionen nötig sind.
Die Autorinnen – beide Apothekerinnen und langjährige Mitarbeiterinnen der ABDA–Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände – erläutern in einem Einführungskapitel Interaktionsmechanismen sowie Strategien zum Erkennen und Managen von Wechselwirkungen. Anschließend stellen sie die häufigsten und wichtigsten Interaktionen aus der Apothekenpraxis geordnet nach Arzneistoffgruppen vor. Verständlich erläutern sie dabei die aktuelle Datenlage zu allen Wechselwirkungen. Fallbeispiele runden die Kapitel ab.
Fünf Jahre nach der Erstauflage ist das Buch nun in der überarbeiteten Fassung erhältlich. In der Neuauflage wurden neue Erhebungen zu Häufigkeit von Interaktionsmeldungen und die Klassifikation der ABDA-Datenbank berücksichtigt. /
Andrea Gerdemann, Nina Griese-Mammen:
Interaktions-Check in der Apotheke. Arzneimittel sicher kombinieren
2., überarbeitete Aufl. 2015, Govi-Verlag Pharmazeutischer Verlag GmbH, 304 S.,
kartoniert, , ISBN 978-3-7741-1266-7, 36,90 Euro
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