Kleines Organ, große Wirkung |
Claudia Timmermann |
12.09.2016 11:28 Uhr |
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Kaum ein Stoffwechselprozess findet im Körper statt, an dem nicht Hormone der Schilddrüse beteiligt sind. Die Biosynthese von Triiodthyronin (T3) und Thyroxin (T4, Levothyroxin) läuft in den Schilddrüsenfollikeln, auch Thyreozyten genannt, aus elementarem Iod und der Aminosäure Tyroxin unter dem Einfluss von Thyreotropin (TSH) ab. Zu diesem Zweck wird mit der Nahrung aufgenommenes anorganisches Iodid zu Iod oxidiert. In den Schilddrüsenfollikeln verbleiben die Hormone in ihrer Speicherform, bis sie bei Bedarf freigesetzt und – an Proteine gebunden – zu ihrem Bestimmungsort im Organismus transportiert werden. Das Thyreotropin-Releasing-Hormon, TRH, reguliert dabei über die Freisetzung von TSH die Menge an auszuschüttendem T3 und T4.
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Am Zielorgan angekommen, binden die Schilddrüsenhormone an eigens für sie bestimmte Rezeptoren und vermitteln darüber ihre Effekte. Die Hormone haben an vielen Stellen im Organismus ein Wörtchen mitzureden, so vielfältig sind ihre Aufgaben.
Da verwundert es nicht, dass fein justierte Stoffwechselabläufe überall im Organismus aus dem Gleichgewicht geraten, wenn die Produktion der Schilddrüsenhormone nicht mehr reibungslos funktioniert. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen einer Unter- und einer Überfunktion der Schilddrüse. Bei einem Kropf, auch Struma genannt, hat sich die Schilddrüse über die Norm vergrößert. Von der Veränderung ist allein das Gewebe betroffen; funktionell gesehen, arbeitet die Schilddrüse nach wie vor normal. Als Ursachen für Erkrankungen der Schilddrüse kommen Fehlfunktionen oder Mutationen bei der Synthese der Hormone infrage. Die Hormonproduktion ist entscheidend von einer ausreichenden Iodaufnahme über die Ernährung abhängig. Mangelt es an dem Halogen, steigt das Risiko für eine Schilddrüsen-Erkrankung.
Wie ein Schmetterling liegt die Schilddrüse unterhalb des Kehl- kopfes vor der Luftröhre. Sie besteht aus zwei Lappen, die in der Mitte durch eine Gewebebrücke miteinander verbunden sind.
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Auf Sparflamme
Zu den häufigsten Leiden des kleinen Organs zählt die Hypothyreose, also eine Unterfunktion, die zu einem Mangel an T3 und T4 führt. Man unterscheidet grundsätzlich die kongenitale Hypothyreose, die sich bereits im Mutterleib entwickelt und unbehandelt geistige und körperliche Entwicklungsstörungen des Kindes nach sich zieht. Bei der zweiten, weitaus häufigeren Form handelt es sich um eine im Laufe des Lebens erworbene Unterfunktion. Diese primäre Hypothyreose kann zum Beispiel nach einer Schilddrüsen-Operation oder nach einer Radioiodtherapie auftreten. Auch wenn die Schilddrüse zu wenig Iod bekommt oder Thyreostatika zu lange oder in zu hoher Dosis eingenommen werden, kann sie auf Sparflamme umschalten. Zu weiteren Auslösern zählt das sogenannte Hashimoto-Syndrom, eine Autoimmunerkrankung, bei der sich das Schilddrüsen-Gewebe selbst zerstört.
Zu Beginn verläuft eine erworbene Hypothyreose in der Regel ohne Symptome. Diese prägen sich erst bei längerer Krankheitsdauer aus. Häufig klagen Betroffene über Gewichtszunahme trotz Appetitlosigkeit, verstärkte Empfindlichkeit gegenüber Kälte, Empfindungsstörungen und Antriebslosigkeit.
Um die Auswirkungen einer Hypothyreose so gering wie möglich zu halten, substituiert man die Schilddrüsenhormone. Am häufigsten kommt dabei Levothyroxin-Natrium zum Einsatz. In der Regel beginnt die Therapie mit einer niedrigen Dosis des Wirkstoffes, die unter engmaschiger Kontrolle des TSH-Spiegels bis zur Erhaltungsdosis gesteigert wird, also die Dosis, die zur normalen Stoffwechsellage führt. Diese wird individuell bestimmt, liegt aber in der Regel zwischen 75 und 200 µg T4 pro Tag.
Im Beratungsgespräch sollten PTA ihre Patienten darauf hinweisen, dass sie ihr Levothyroxin-Präparat mindestens eine halbe Stunde vor dem Frühstück einnehmen sollten, um die Bioverfügbarkeit des Medikaments nicht zu beeinflussen. Genauso wichtig ist auch die Warnung hinsichtlich Wechselwirkungen mit Mineralstoffpräparaten, die Eisen oder Calcium enthalten, sowie Aluminium-haltigen Antazida und oralen Antidiabetika. Hier empfiehlt sich ein zeitlicher Einnahmeabstand von mindestens zwei Stunden.
Hypothyreose | Hyperthyreose |
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Frieren | Schwitzen |
Gewichtszunahme, Appetitlosigkeit | Gewichtsverlust |
Obstipation | Diarrhö |
Verminderte Nierentätigkeit | Erhöhte Nieren-tätigkeit |
Erhöhter Cholesterinspiegel | Niedriger Cholesterinspiegel |
Unterzuckerung | Erhöhte Blutzuckerwerte |
Antriebslosigkeit, Depression | Schlafstörungen |
Verlangsamtes Wachstum | Beschleunigtes Wachstum |
Geht die Produktion der Schilddrüsenhormone über das normale Maß hinaus, spricht man von einer Hyperthyreose.
Zu den häufigsten Ursachen zählt die Autoimmunerkrankung Morbus Basedow. Hierbei stimulieren Autoantikörper die Schilddrüsenfollikel, die daraufhin mehr Iod einlagern und die Hormonsynthese ankurbeln.
Vermehren sich Schilddrüsenzellen pathologisch, zum Beispiel aufgrund eines chronischen Iodmangels, kommt es ebenfalls zu einer Überproduktion an T3 und T4. Man spricht auch von einer Schilddrüsenautonomie, einem autonomen Adenom oder heißen Knoten. Zudem können Tumore oder Entzündungen des Organs eine Überfunktion der Schilddrüse auslösen.
Häufig stellen Betroffene eine Überempfindlichkeit gegenüber Wärme fest, sie verlieren Gewicht, leiden unter Diarrhö und haben massive Schlafstörungen. Als spezielles Symptom eines Morbus Basedow gelten hervortretende Augäpfel.
Per Ultraschall lassen sich Größe, Volumen sowie etwaige Knoten der Schilddrüse ermitteln. Ob die Knoten gut- oder bösartig sind, erkennt der Ultraschall jedoch nicht.
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Meist leitet der Arzt zunächst eine Therapie mit einem Thyreostatikum wie Carbimazol, Thiamazol oder Propylthiouracil ein, übergangweise für rund sechs Wochen, bis wieder eine normale Stoffwechsellage erreicht ist. Der Wirkungseintritt der Thyreostatika ist meist erst nach ein bis zwei Wochen zu bemerken. Um bis dahin die Symptome der Überfunktion zu mildern, verordnet der Arzt Betablocker wie Propranolol. Der Puls normalisiert sich, und sie schwitzen weniger. Die endgültige Therapie besteht dann in einer Operation oder einer Radioiodbehandlung. Radioaktives Iod dringt in die Schilddrüse ein und zerfällt dort. Die dabei freigesetzten Betastrahlen zerstören gezielt Zellen der Schilddrüse, ohne anderes Gewebe zu stark zu belasten.
Wenn sich die Schilddrüse krankhaft vergrößert, man sie sehen und ertasten kann, handelt es sich um eine Struma. Auch hierfür gilt Iodmangel als Hauptursache. Um das Defizit zu beheben, vervielfacht sich die Zahl der Thyreozyten (Hyperplasie), und gleichzeitig nehmen sie an Volumen zu (Hypertrophie). Beide Effekte können gemeinsam dazu führen, dass wieder mehr T3 und T4 gebildet wird. Doch nicht immer gelingt es dem Organismus mit dieser Selbstregulation, die Hormonproduktion zu normalisieren. In Deutschland sind Schilddrüsenvergrößerungen nicht gerade selten. Bei etwa 30 Prozent der Bevölkerung hat sich die kleine Drüse vergrößert oder Knoten gebildet.
Bei der Behandlung einer Struma hat sich in den meisten Fällen eine fixe Kombination aus Thyroxin und Iod als effektiv erwiesen. Jüngere Patienten sprechen oft gut auf eine alleinige Jodid-Gabe an, weil sich bei ihnen die Vergrößerung der Schilddrüse noch gut zurückbildet. Schilddrüsenhormone als Monotherapie zu verordnen, ist in der Regel nicht optimal: Wenn das Präparat abgesetzt wird, wächst die Schilddrüse wieder. Ziel der Kropfbehandlung ist aber, dass dieser aufhört zu wachsen oder sich gar zurückbildet.
Iod für Mutter und Kind
In der Schwangerschaft steigt der Bedarf an Iod und Schilddrüsenhormon enorm. Das liegt im Wesentlichen an dem erhöhten Grundumsatz, an einer verstärkten Nierenfunktion der Schwangeren und dem Iodbedarf des Fetus ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel. Entsteht ein Mangel an Iod, kann das zu einer Schwangerschaftsstruma sowie zu einer Struma beim ungeborenen Kind führen. Wer eine Hypothyreose unbehandelt lässt, geht das Risiko einer Früh- oder Fehlgeburt ein. Da ein Iodmangel speziell bei Neugeborenen zu irreversiblen Entwicklungsstörungen führen kann, sollten stillende Mütter darauf achten, ausreichend Iod zu sich zu nehmen (siehe Tabelle).
Säuglinge | 40 bis 80 µg |
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Kinder | 100 bis 200 µg |
Jugendliche / Erwachsene bis 51 Jahre | 200 µg |
Erwachsene über 51 Jahre | 180 µg |
Schwangere | 230 µg |
Stillende | 260 µg |
Vorbeugen statt heilen
Obwohl man heutzutage weiß, dass die meisten Schilddrüsenleiden mit einem Iodmangel zusammenhängen und genaue Informationen darüber existieren, wie viel Iod man in welchem Lebensalter braucht, ist die Iodversorgung vieler Menschen hierzulande selbst bei vielseitiger Ernährung noch nicht optimal.
Zwar hat sich die Iodaufnahme der Deutschen mittlerweile enorm verbessert. Durchschnittlich fehlen Erwachsenen jedoch noch immer etwa 80 µg Iod pro Tag. Das ist immerhin fast ein Drittel der erforderlichen und von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfohlenen Zufuhr von 200 µg täglich. Iodiertes Speisesalz und Iodid-Tabletten können die Versorgung mit dem Halogen erheblich verbessern und damit Erkrankungen der Schilddrüse vorbeugen. /