PTA-Forum online
Depressive Verstimmung

Grau in Grau

08.09.2017  11:54 Uhr

Von Annette Immel-Sehr / Eine Depression ist eine ernstzu­nehmende Erkrankung und bedarf in der Regel einer ärztlichen und psychotherapeutischen Behandlung. Allenfalls leichte depressive Episoden können selbst behandelt werden. Dann ist Johanniskrautextrakt das Mittel der Wahl.

Depressionen sind sehr häufig. Schätzungsweise 16 bis 20 von 100 Menschen entwickeln im Laufe ihres Lebens eine Depression. Dabei sind Frauen etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer. Oft ist es dem Patienten gar nicht bewusst, dass er eine Depression hat. Denn das ist ein wesent­liches Merkmal dieser psychischen Erkrankung: Der Betroffene ist so in sich gefangen, dass er seine Situation nicht mehr objektiv bewerten kann. Eine Depression ist eine anhaltende, tiefe Herabgestimmtheit, aus der er sich nicht mehr selbst befreien kann. Gewöhnliche Stimmungstiefs gehen dagegen vorüber, wenn das auslösende Ereignis verarbeitet wurde.

Möglicherweise kreisen die Gedanken des Betroffenen auch um eine andere Erkrankung. Ängstlich beobachtet er deren Symptome und sorgt sich, dass alles noch viel schlimmer werden könnte. Oder er grübelt ständig über Probleme am Arbeitsplatz. Statt sich professionelle Hilfe zu holen, wollen Betroffene ihre Schwierigkeiten oft lieber­ irgendwie allein durchstehen. Doch das ist leichtsinnig, denn ohne Behandlung können neben dem seelischen Leid bald soziale Probleme hinzukommen, wie Probleme im Beruf oder in der Familie. Nicht zuletzt kann die Erkrankung wegen der Gefahr der Suizi­dalität lebensgefährlich werden.

Eine depressive Erkrankung lässt sich nicht mithilfe von Blutuntersuch­ungen oder bildgebenden Diagnoseverfahren erkennen, sondern allein im Gespräch. Durch gezielte Fragen kann der Arzt oder Therapeut herausfinden, ob die charakteristischen Symptome einer Depression vorliegen. Die so­genannten Hauptsymptome einer Depression sind im Kasten­ auf Seite 20 aufgeführt. Daneben gibt es weitere Beschwerden, sogenannte Nebensymptome, die ebenfalls auf eine Depression hindeuten können. Nach Definition der psychi­atrischen Fachgesellschaft liegt eine Depression dann vor, wenn mindestens zwei Haupt- und zwei Nebensymptome vorliegen und die Beschwerden wenigstens zwei Wochen anhalten.

Maskierte Symptome

Dennoch ist eine Diagnose manchmal schwierig. Neben den psychischen Symptomen treten häufig auch kör­perliche Beschwerden auf oder stehen sogar im Vordergrund. Dies können Magen­-Darm-Störungen, Herz-Kreislauf-Probleme oder Atembeschwerden sein. Typisch sind auch Schmerzen in Kopf, Nacken, Hals und Rücken.

Neurologen und Psychiater unterscheiden zwischen drei Schweregraden der Erkrankung: leicht, mittelschwer und schwer (siehe Tabelle). Allenfalls die milde­ Form, die oft auch als depressive Verstimmung bezeichnet wird, ist in Eigenregie zu behandeln.

Gut aufgehoben

Die Beratung eines depressiven Menschen in der Apotheke erfordert viel Einfühlungsvermögen. Es fängt schon damit an, dass viele weder sich selbst noch anderen eingestehen wollen, dass sie psychisch krank sind. Denn auch heute noch empfinden viele Menschen eine Erkrankung der Psyche als Makel.

Mittsommerkraut

In den Tagen um die Sommersonnenwende öffnet Johanniskraut seine leuchtend gelben Blüten und verleiht Wegrändern, Böschungen und Schuttplätzen einen sonnigen Glanz. Wie kaum eine andere Pflanze ist das Johanniskraut mit der Sonne assoziiert. Seinen Namen verdankt es dem Johannistag, dem Fest der Geburt von Johannes dem Täufer am 24. Juni. Nach der Volksheilkunde sollte Johanniskraut am besten zur Sonnenwende oder am Johannistag gesammelt werde, weil seine Heilkraft dann am stärksten sein soll.

Erste Hinweise auf eine Depression können zwei einfache Fragen liefern: Fühlten Sie sich im letzten Monat häufig niedergeschlagen, bedrückt oder hoffnungslos? Hatten Sie im letzten Monat deutlich weniger Freude an Dingen, die Sie sonst gerne tun? Wenn der Kunde beide Fragen mit »Ja« beantwortet, kann das auf eine De­pression hindeuten. Dann ist es empfehlenswert, dass der Kunde einen Facharzt oder Psychotherapeuten zurate zieht, der ein diagnostisches Gespräch führt und gegebenenfalls die Schwere der Erkrankung erfasst. Vor allem gilt es, die gute Nachricht zu vermitteln: Depressionen sind behandelbar und niemand braucht sich dafür zu schämen, wenn er daran erkrankt ist.

Bei leichten depressiven Störungen können PTA und Apotheker ein Johannis­krautpräparat empfehlen – die einzigen Arzneimittel, die für die Selbstmedikation leichter depressiver Störungen zugelassen sind. Von einer leichten depressiven Episode sprechen Fachleute, wenn zwei Haupt- und zwei Nebensymptome mehr als zwei Wochen andauern. Ein nicht rezeptpflichtiges Johanniskrautpräparat aus der Apotheke kann auch eine pragmatische Übergangslösung sein, bis der Patient­ einen Termin beim Facharzt bekommt.

Multimodale Wirkweise

Die Wirkung von Johanniskrautextrakt ist letztlich noch nicht geklärt. Fest steht, dass die verschiedenen Inhaltsstoffe der Pflanze unterschiedlich wirken und ihr Zusammenspiel letztlich die antidepressive Wirkung ausmacht. Hypericin, auf das die Präparate früher standardisiert wurden, ist nach heutiger Erkenntnisnicht der Hauptwirkstoff. Dies könnte eher Hyperforin sein. Die Substanz hemmt die Wiederaufnahme von Serotonin, Noradrenalin, Dopamin, GABA und Glutamat aus dem synaptischen Spalt. Eine andere Wirkung des Extraktes ist offenbar die Modulation von Ionenkanälen. Darüber hinaus wurde eine Down-Regulation von zentralen Serotonin- und noradrenergen Betarezeptoren nachge­wiesen. Alles zusammen bewirkt über eine Regulation des Neurotransmittersystems den antidepressiven Effekt.

Johanniskrautpräparate bedürfen einer eingehenden Beratung: Das betrifft etwa den zu erwartenden Wirkeintritt. Wie bei synthetischen Antidepressiva ist auch bei Johanniskraut die Wirkung frühestens nach zwei bis vier Wochen zu spüren. Darauf sollten PTA und Apotheker den Kunden un­bedingt hinweisen, damit er das Prä­parat nicht wegen vermeintlicher Wirkungslosigkeit frühzeitig absetzt.

Neben dem Wirkeintritt ist im Be­ratungsgespräch auf die erforderliche Konzentration einzugehen. Banal, aber essenziell: Ein Medikament kann nur wirken, wenn es ausreichend hoch dosiert ist. Dies trifft jedoch nicht für alle im Handel erhältlichen Johanniskrautpräparate zu, besonders nicht für viele in Supermärkten und Drogerien vertriebene Präparate. Als wirksam gelten Medikamente, deren Tagesdosis 2 bis 4 g Droge entspricht, beziehungsweise 500 bis 900 mg Extrakt.

Neben der Wirkung

Johanniskrautpräparate sind in der Regel gut verträglich. Selten können Magen-Darm-Beschwerden, allergische Reaktionen der Haut, Müdigkeit oder Unruhe auftreten. Bekannt ist vor allem eine Nebenwirkung von Johanniskraut: die Photosensi­bilisierung, also die erhöhte Empfindlichkeit gegen Sonnenlicht. Viele Menschen haben davon gehört und manche­ lehnen deswegen sogar die Einnahme von Johanniskraut ab. Dabei tritt eine Photosensibilierung nur sehr selten auf. Um kein Risiko einzugehen, sollten Patienten – vor allem hellhäutige Personen – während der Anwendung von Johanniskraut ein Sonnenschutzmittel mit hohem Lichtschutzfaktor anwenden und auf Sonnenbaden, Höhensonne und Solarien verzichten.

Charakteristische Symptome einer

Hauptsymptome

  • gedrückte, depressive Stimmung
  • Interessensverlust und Freudlosigkeit
  • Antriebsmangel mit erhöhter Ermüdbarkeit

Nebensymptome

  • verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit
  • reduziertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen
  • Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit
  • übertriebene Zukunftsängste oder »Schwarzsehen«
  • Suizidgedanken oder - versuche, Selbstverletzungen
  • Schlafstörungen
  • verminderter Appetit

(nach S3-Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie Unipolare Depression, Stand: 2015)

Besonders aufmerksam müssen PTA und Apotheker beim Thema Wechselwirkungen sein. Johanniskaut interagiert mit einer Vielzahl von Arzneistoffen. Deswegen ist es erforderlich, bei jeder Abgabe eines Johanniskrautpräparates in der Apotheke zu fragen, ob der Patient regelmäßig andere Medikamente einnimmt.

Johanniskrautpräparate und synthetische Antidepressiva, vor allem solche vom SSRI-Typ wie Paroxetin, Sertralin und Trazodon, greifen in das serotonerge System ein und erhöhen unter anderem die Konzentration von Serotonin im synaptischen Spalt. Wenn die Konzentration zu hoch wird, kann es zum potenziell lebensbedrohlichen Serotoninsyndrom kommen. Es zeigt sich durch psychische Veränderungen (Unruhe, Ver­wirrung, Manien), neuromuskuläre Hyperaktivität (Zittern, Muskelkrämpfe) und Symptome wie Schwitzen, Durchfall, Herzrasen und Fieber. Die gleichzeitige Gabe von Johanniskraut und synthetischen Antidepressiva ist daher konttraindiziert.

Johanniskrautextrakt induziert Cytochrom-P-450-Enzyme und stimuliert die Bildung des Transportsystems p-Glykoprotein in den Zellwänden von Darm und Leber. Beides führt dazu, dass ande­re Arzneistoffe schneller verstoffwechselt werden, also dass deren Blut­spiegel möglicherweise unter das wirksame Niveau sinken. Dies ist vor allem bei Arzneistoffen mit geringer therapeutischer Breite relevant. Deswegen darf Johanniskraut nicht eingenommen werden, wenn der Patient auch mit Zytostatika, HIV-Präparaten oder Immunsuppressiva wie Ciclosporin, Tacroli­mus oder Sirolimus behandelt wird. Auch bei einer Therapie mit Digoxin, Antikoagulanzien vom Cumarin-Typ, Verapamil und Theophyllin kommt es beim Absinken des Blutspiegels schnell zu einem Wirkverlust. Daher ist von der gleichzeitigen Einnahme eines Johanniskrautpräparates abzuraten, es sei denn, sie erfolgt nach Rücksprache mit dem Arzt.

Hormonelle Verhütung

Ein wichtiges Thema ist auch die Wechselwirkung von Johanniskraut mit hormonellen Verhütungsmitteln. Durch den verstärkten Abbau von Estrogenen und Gestagenen können Zwischenblutungen auftreten. Dies ist nicht nur für die Anti-Baby-Pille relevant, sondern auch für hormonelle Verhütungsmethoden wie Hormonpflaster, Vaginalring und Implantat. Wie hoch das Risiko ist, ungewollt schwanger zu werden, ist unklar. Es gibt allerdings Einzelfallberichte über Schwangerschaften unter Johanniskrauttherapie trotz hormoneller Verhütung. Um sicher zu gehen, sollten Frauen, die Johanniskraut einnehmen, ein nicht hormonelles Verhütungsmittel verwenden. /

Tabelle: Einteilung depressiver Erkrankungen

Schweregrad Charakteristika
leichtgradig zwei Haupt- und zwei Neben­symptome
mittelgradig zwei Haupt- und drei bis vier Nebensymptome
schwer drei Haupt- und mindestens vier Nebensymptome

Quelle: Leitlinie (siehe Text)