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Windpocken

Nicht nur eine Kinderkrankheit

11.09.2018  12:09 Uhr

Von Verena Arzbach / Die typischen juckenden Pusteln sind zwar lästig, doch Windpocken gelten als relativ harmlose Kinder­krankheit. Erwachsene, die sich neu mit dem Virus infizieren, müssen allerdings mit einem komplizierten Krankheitsverlauf rechnen.

Varizellen sind hochinfektiös und weitverbreitet, daher auch ihre umgangssprachliche Bezeichnung: Die Erreger können ohne direkten Körperkontakt übertragen werden, verbreiten sich also auch über weite Wege, quasi »über den Wind«. Eine Tröpfcheninfektion mit dem Varizella-zoster-Virus aus der Familie der Herpes-Viren ist beim Sprechen­, Husten oder Niesen möglich, aber auch über eine Schmierinfektion. Die Viren sind in allen Körpersekreten der Erkrankten enthalten, auch in der Flüssigkeit, die die typischen Haut­bläschen absondern. Und auch außerhalb des Körpers bleiben die Viren über Tage ansteckend. Möglich ist eine Infektion also zum Beispiel auch über Türgriffe, Treppengeländer oder Wasser­hähne. Die Patienten sind hochansteckend, sogar schon etwa zwei Tage, bevor sie die ersten Symptome bemerken.

Meist beginnt die Infektion mit leichtem Fieber, Unwohlsein und Kopf- und Gliederschmerzen. Ein paar Tage später zeigen sich die typischen stark juckenden linsengroßen Bläschen, die sich ausgehend von Gesicht­ und Rumpf am ganzen Körper ausbreiten. Sie platzen einige Tage später­ auf, trocknen und heilen schließlich­ unter Schorfbildung ab. Typisch­ für die Windpocken-Erkrankung ist, dass alle Bläschen-Stadien gleichzeitig auftreten und das soge­nannte Sternenhimmel-Muster bilden.

Wie stark die Haut mit juckenden Papeln reagiert, ist unterschiedlich. Bei kleinen Kindern bilden sich meist weniger Bläschen als bei erwachsenen Patienten. Ohnehin nimmt die Erkrankung bei ansonsten gesunden Kindern­ in der Regel einen komplikationslosen Verlauf, die Hautläsionen heilen im Normalfall innerhalb von drei bis fünf Tagen ab. Doch Achtung: Bei starkem Kratzen beziehungsweise wenn eine bakterielle Superinfektion entsteht, bei der zusätzlich Bakterien in die offenen Hautläsionen eindringen und Ent­zündungen hervorrufen, können sich bleibende Narben bilden.

Sind die Windpocken abgeheilt, bleiben die Viren in einer Art Schlafzustand im Körper. Viele Jahre oder Jahrzehnte später – wenn das Immunsystem schwächelt – können sie wieder aktiv werden und eine Gürtelrose (Herpes zoster) auslösen. Die Viren vermehren sich in den Spinal- und Hirnnervenganglien, in denen sie sich eingenistet hatten, und wandern am Nerv entlang zur Haut, wo sie einen schmerzhaften roten Ausschlag hervorrufen. Typisch ist eine Manifestation am Rumpf, teils auch im Gesicht.

Rund 20 Prozent aller Erwachsenen erkranken im Laufe ihres Lebens mindestens einmal an Herpes zoster, vor allem Ältere über 50 Jahre. Voraussetzung für eine Gürtelrose ist eine zuvor durchgemachte Windpocken-Erkrankung beziehungsweise eine Impfung gegen Windpocken – wobei die Gürtelrose bei Windpocken-Geimpften deutlich seltener auftritt. Erwachsene, die sich erstmals mit dem Varizella-zoster-Virus anstecken und nicht geimpft sind, erkranken zunächst an Windpocken.

Anders als bei Kindern verläuft eine solche Erstinfektion mit Varizellen bei Erwachsenen häufiger schwerwiegend. Besonders anfällig sind Personen mit geschwächtem Immun­system, Patienten mit immunsupprimierender Thera­pie, Krebs oder HIV sowie schwangere Frauen. Besonders eine Lungenentzündung gilt als gefürchtete Komplikation, die bei etwa 20 Prozent der erwachsenen Windpocken-Patienten auftritt. Auch Gleichgewichtsstörungen und eine Reizung der Hirnhäute können infolge der Windpocken-Infektion auftreten.

Bei einem unkomplizierten Verlauf werden die Wind­pocken symptomorientiert behandelt. Ziel ist es, den Juckreiz zu lindern und eine bakterielle Infek­tion über aufgekratzte Bläschen zu verhindern. Bewährt hat sich etwa, die Hautbläschen mit austrocknender Zinkoxidschüttelmixtur zu behandeln. Lotionen oder Gele mit Gerbstoffen, Menthol oder Polidocanol helfen bei Juckreiz, gegebenenfalls auch die Einnahme oraler Antihistaminika. Bei Fieber­ und Schmerzen sind Paracetamol oder Ibuprofen probate Mittel. Bei einem schwierigeren Verlauf bei erwachsenen Patienten kann der Arzt analog zur Behandlung der Gürtelrose auch ein Virustatikum wie Aciclovir oder Valaciclovir verordnen.

Impfung empfohlen

Vorbeugen lässt sich mit einer Impfung: Die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut empfiehlt seit 2004 die Varizellen-Impfung für Kinder im Alter von 11 bis 14 Mo­naten. Es wird zweimal geimpft mit einem­ Abstand von mindestens vier Wochen. Verfügbar sind monovalente Lebend-Impfstoffe mit abgeschwächten Varizella-zoster-Viren (Varilrix®, Varivax­®). Es kann aber auch eine Kombinations­vakzine gegen Masern, Mumps, Röteln und Windpocken (Priorix-Tetra®, ProQuad®) verwendet werden.

Ungeimpfte Kinder und Jugendliche sollen die Impfung so schnell wie möglich mit zwei Impfdosen nachholen. Auch für nicht geimpfte Erwachsene, die in der Kindheit nicht an Wind­pocken erkrankt waren, wird eine Impfung­ mit zwei Dosen empfohlen, besonders für Frauen mit Kinderwunsch sowie vor einer immun­suppressiven Behandlung oder einer Organtransplantation und auch für Patien­ten mit starker Neurodermitis. Für Menschen ab 50 Jahre gibt es außer­dem eine Impfung gegen Gürtelrose, entweder mit dem Lebend­impfstoff Zostavax® oder dem Totimpfstoff Shingrix®.

Was sollten Erkrankte beziehungsweise ihre Eltern beachten? Wichtig ist, dass der Patient Bettruhe einhält, bis die Bläschen ab­geheilt sind. Die Fingernägel sollten bei Kindern kurz geschnitten werden, damit­ sie die Bläschen nicht so leicht aufkratzen können. Bei Wind­pocken gelten außerdem die Regelungen des Infektionsschutzgesetzes. Das heißt, Erkrankte dürfen­ Gemeinschaftseinrichtungen wie Schulen oder Kindergärten vorüber­gehend nicht besuchen oder dort arbeiten. Betroffene beziehungsweise deren Eltern müssen die Ein­richtung zudem über die Erkrankung informieren. Besonders wichtig ist der Schutz von Schwangeren: Sie sollten auf jeden Fall vermeiden, mit an Wind­pocken oder Gürtelrose Erkrankten in Kontakt zu kommen. /

Mehr Windpocken-Fälle

Die Fallzahlen der Windpocken- Erkrankungen scheinen in den vergangenen Jahren leicht anzusteigen. 2016 wurden in Deutschland laut Robert­-Koch-Institut (RKI) rund 25 000 Varizellen-Erkrankungen gemeldet, in den beiden Jahren zuvor waren es etwa 22 000 beziehungsweise 23 000 Fälle. Die erhöhte Fallzahl­ könnte aber auch mit einer erhöhten Meldebereitschaft zu­sammenhängen, vermutet das RKI. Eine Meldepflicht für Windpocken gibt es erst seit 2013.

72 Prozent der gemeldeten Fälle im Jahr 2016 betrafen laut des vom RKI herausgegebenen »Infektionsepidemiologischen Jahrbuch meldepflichtiger Krankheiten« Kinder von 0 bis 9 Jahren. Bei den 25- bis 39-Jährigen lag die Inzidenz bei 0,01 Prozent, bei den älteren Erwachsenen noch niedriger. Dass die Erkrankung bei Erwach­senen häu­figer schwerer verläuft als bei Kindern, belegt auch die Zahl der Todesfälle: 2014 und 2015 beispielsweise waren laut RKI jeweils drei Erwachsene nach einer Wind­pocken-Erkrankung verstorben, bei den Kindern wurden noch keine Todes­fälle gemeldet.