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Pruritus

Wen juckt’s?

21.09.2015  10:29 Uhr

Von Susanne Poth / Sich ständig kratzen zu müssen, kann einen an den Rand des Wahnsinns treiben. Nicht nur das Kratzen mit den Fingernägeln, auch starkes Scheuern, Reiben oder Rubbeln schädigt die Haut. Daraus ergibt sich die Frage: Welche Funktion hat eigentlich der Juckreiz? Was sind die Auslöser und wie lässt er sich stoppen?

Juckreiz, in der Fachsprache Pruritus genannt, hat ähnlich wie Schmerz eine Alarmfunktion. Er warnt vor schädigenden Noxen und löst reflexartig das Kratzen aus. So werden beispielsweise Parasiten von der Haut entfernt.

Erst in den letzten Jahrzehnten haben sich Wissenschaftler mit diesem Phänomen näher beschäftigt. Sie haben herausgefunden, dass Juckreiz eine eigenständige Sinneswahrnehmung ist. Damit widerlegen sie die frühere Annahme, Juckreiz sei nur eine abgeschwächte Form des Schmerzes. Wie heute bekannt ist, werden beide Empfindungen über unterschiedliche Nervenbahnen weitergeleitet.

Juckreiz entsteht durch die Erregung freier Nervenenden von mark­losen C-Fasern in der Haut. Die Stimulation geschieht chemisch, zum Beispiel durch den Botenstoff Histamin, oder mechanisch wie beim Krabbeln von Ungeziefer auf der Haut. Die Weiter­leitung des Reizes erfolgt dann im Vergleich zu den Myelin-ummantelten Schmerzfasern relativ langsam.

Der Schmerz hat Vorfahrt

Trotz getrennter Wege scheint sich das Duo Schmerz und Juckreiz gegenseitig zu beeinflussen. Ein Experiment an Mäusen lässt vermuten, dass die beiden Sinneseindrücke im Rückenmark aufeinander stoßen. Dabei erhält das Schmerzsignal die Vorfahrt: Der Schmerzreiz regt die Neuronen im Rückenmark dazu an, den Botenstoff Dynorphin auszuschütten, der die Weiterleitung des Juckreizes hemmt. Die Botschaft lautet: Hör’ auf zu kratzen, eine ernste Gefahr droht!

Dies scheint auch eine Erklärung dafür zu sein, warum wir uns solange kratzen, bis die Haut schmerzt: Der Schmerzreiz ist stärker als der Juckreiz und kann ihn daher ausschalten – zumindest vorübergehend. Ein Tierexperiment bestätigt diese These: Als Wissenschaftler bei Mäusen die Neuronen ausschalteten, die die beiden Sinnes­reize koppeln, hörte der Juckreiz nicht mehr auf und die Tiere kratzten sich blutig. Auch bei Menschen enden Kratzattacken oft blutig, besonders bei chronischem Pruritus.

Viele Auslöser denkbar

Die Ursache des Juckreizes ist nicht immer so offensichtlich wie beim Mückenstich. Sowohl systemische als auch dermatologische Erkrankungen sind mit der Symptomatik verbunden. So können allergische oder pseudoaller­gische Reaktionen, ausgelöst durch Nahrungsmittel, Medikamente, Hautkontakt mit Allergenen oder durch Sonneneinstrahlung, zu Juckreiz führen. Außerdem regen chronische Hauterkrankungen wie Neurodermitis oder Schuppenflechte sowie Pilzinfektionen zum Kratzen an. Nicht selten ist aber auch einfach »nur« Hauttrockenheit die Ursache.

Bei den systemischen Erkrankungen kommen als Pruritus-Ursache Stoffwechsel-, Blut-, Leber-, Gallen-, Schilddrüsen- oder Krebserkrankungen in Frage, beispielsweise Diabetes mellitus, primäre biliäre Zirrhose, Cholestase, Hyperthyreose, Urämie, Eisenmangel, Leukämie oder neuroendokrine Tumoren. Um den Auslöser zu finden, muss der Arzt Laboruntersuchungen heranziehen und manchmal mit bildgebenden Verfahren kombinieren. Bei der Therapie steht die Grunderkrankung im Vordergrund. Sie kann um eine topische Juckreiz-stillende Behandlung ergänzt werden (siehe Kasten).

Therapie des chronischen Juckreizes

  • Grunderkrankung behandeln
  • Schlüsselreize beseitigen
  • Akutbehandlung von Kratzläsionen
  • Symptomatische Behandlung des Juckreizes

Völlig unabhängig vom Auslöser der Qualen ist Kratzen in jedem Fall die schlechteste Maßnahme. Es verbessert die Situation allenfalls kurzfristig, führt aber zu Hautläsionen und dadurch oft zu Infektionen, die ihrerseits wiederum jucken. So entsteht ein Teufelskreis, der selbst bei einem relativ harmlosen Mückenstich zu Komplikationen führen kann. Diesen Kreis gilt es, mit verschiedenen allgemeinen und medikamentösen Maßnahmen zu durchbrechen.

Kleine Herde

Oft sind PTA und Apotheker die ersten Ansprechpartner der Betroffenen. Sie können empfehlen, die juckenden Bereiche zu kühlen, beispielsweise durch Kühlkompressen oder Umschläge mit essigsaurer Tonerde. Dies lindert den Juckreiz. Denn wenn sich die Hautge­fäße in der Kälte zusammenziehen, können sich mögliche Giftstoffe schlechter ausbreiten und die Entzündungsreaktion wird eingedämmt. Andererseits aktivieren niedrige Temperaturen die Kälterezeptoren und unterdrücken so direkt die Reizweiterleitung. Punktuell kann aber auch eine örtliche Hyperthermie helfen: In Studien linderte ein elektronisches Gerät, das die Haut kurzzeitig Temperaturen von etwa 50 °C ausgesetzt, erfolgreich den Juckreiz bei Mückenstichen. Als Wirkmechanismus vermuten Wissenschaftler, dass die Hitze die Hautrezeptoren blockiert, an denen die blutgerinnungshemmenden Substanzen aus dem Insektenspeichel andocken.

Da bei Stichen und Quaddeln der Juckreiz in erster Linie entsteht, weil Hautzellen Histamin ausschütten, bringen auch Antihistaminika-haltige Gele Linderung.

An zu trockene Haut (Xerosis cutis) als Auslöser des Juckreizes denken nur die wenigsten Betroffenen. Diesen Aspekt sollten PTA oder Apotheke daher in der Beratung ansprechen, insbesondere bei älteren Menschen, da der Fettgehalt der Haut mit zunehmendem Lebensalter abnimmt. Von Neurodermitis hingegen sind überwiegend Kinder betroffen, hier sind es einzelne sehr trockene Hautstellen, die besonders stark jucken.

Nicht provozieren

Ganz unabhängig vom Auslöser gilt: Sobald der Juckreiz beginnt, sollten Betroffene – anstatt zu kratzen – sofort Gegenmaßnahmen ergreifen. Neben Harnstoff-haltigen Präparaten können Externa mit einem Lokalanästhetikum, zum Beispiel Polidocanol oder Lidocain, sowie Menthol- und Campher-haltige Emulsionen den Reiz lindern. Da der Juckreiz während der Nacht meist besonders quälend ist, sollte ein solches Präparat griffbereit auf dem Nachttisch stehen.

Für die vorübergehende Therapie des akuten Juckreizes eignen sich auch topische Steroide. Die Behandlung chronischer Beschwerden sollte allerdings nur durch den Arzt erfolgen, da die längere Anwendung von Corticosteroiden zu Nebenwirkungen führen kann. Auch die topische Capsaicin-Anwendung hat sich bei chronischem Juckreiz als hilfreich herausgestellt. Das Alkaloid desensibilisiert die sensorischen Nervenfasern und verhindert nach mehrmaliger Anwendung die Weiterleitung des Reizes. PTA und Apotheker sollten bei der Abgabe eines solchen Präparats den Patienten darauf hinweisen, dass er die Salbe drei- bis sechsmal täglich auftragen muss und dass die Juckreiz-stillende Wirkung verzögert eintritt, da die Desensibilisierung einige Zeit benötigt. Die Therapie beginnt mit einer niedrigen Dosierung (0,025 %) und wird wöchentlich um 0,025 % auf maximal 0,1 % gesteigert. Im NRF gibt es dazu zwei Vorschriften: Hydrophile Capsaicinoid-Creme 0,025 %/0,05 %/0,1 % (NRF 11.125.) und Lipophile Capsaicinoid-Creme 0,025 %/0,05 %/0,075 %/0,1 %/0,25 % (NRF 11.146.)

Schlüsselreize beseitigen

Mit einigen allgemeinen Maßnahmen lässt sich Juckreiz oft verhindern. Dazu gehören luftige Kleidung, möglichst aus Baumwolle, und eine niedrige Raumtemperatur. Trockene Hitze, Sauna sowie heiße, scharfe Speisen und größere Mengen Alkohol sind zu meiden, da sie Juckreiz provozieren können. Menschen mit trockener Haut sollten kalt duschen und pH-neutrale Syndets zur Reinigung verwenden. Besonders trockene Stellen sollten sie beim »Einseifen« nach Möglichkeit aussparen und nur mit Wasser ab­spülen. Konsequentes Eincremen, am besten zweimal täglich mit W/O-Emulsionen, sorgt für die nötige Rückfettung der Haut. Der Zusatz von Harnstoff erhöht die Fähigkeit der Haut, Feuchtigkeit zu binden und verhindert so, dass sie juckt.

Topisch angewendete Calcineurin-Inhibitoren regulieren die Aktivität bestimmter Immunzellen in der Haut und lindern dadurch die Entzündung sowie den Juckreiz. Die Behandlung mit Pimecrolimus und Tacrolimus zeigte sich in Untersuchungen als sehr effizient bei Pruritus. Wegen möglicher Nebenwirkungen muss der Einsatz dieser Externa allerdings ärztlich überwacht werden, sie sind daher verschreibungspflichtig.

Großflächigen Juckreiz können systemische Antihistaminika lindern. Zur Nacht ist es sinnvoll, sedierende Wirkstoffe der ersten Antihistaminika- Generation einzusetzen. Gerade bei Kindern mit Windpocken ist der beruhigende Effekt durchaus erwünscht. Chronischer Pruritus erfordert bisweilen auch den Einsatz von Tranquilizern, Antidepressiva oder Neuroleptika, um die zentrale Empfindung des Juckreizes zu beeinflussen.

Bei Pruritus verschiedener Ursache, unter anderem bei atopischer Dermatitis, Psoriasis, Diabetes oder Leberschäden wird die Juckreiz-lindernde Wirkung von UV-Strahlen ohne und mit Lichtsensibilisatoren (PUVA) genutzt. Hierbei wirkt die Strahlung auf oberflächlich gelegene Nozizeptoren ein. Vermutlich stabilisiert dies die Mastzellen und inaktiviert Juckreiz-fördernde Faktoren. /