Akzeptanz und Lösung |
10.10.2016 10:45 Uhr |
Von Britta Odenthal / Der Arbeitsalltag in der Apotheke fordert täglich hohe Konzentration und Reaktionen auf viele unterschiedliche Anforderungen. Wer resilient ist, kann diesen Herausforderungen souverän begegnen. Und auch in der Beratung lässt sich diese Fähigkeit nutzen.
Resilienz (von lateinisch resilire: zurückprallen, abspringen) bezeichnet die Kunst, mit den Widrigkeiten des Lebens gut umzugehen. Diese seelische Widerstandskraft erlernt der Mensch – unter guten Umständen – in der Kindheit. Aber auch wenn diese Fähigkeit damals nicht optimal ausgebildet wurde, lässt sich Resilienz im Erwachsenenalter weiterentwickeln.
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Die US-amerikanische Entwicklungspsychologin Emmy Werner prägte den Begriff Resilienz. In einer Langzeitstudie beobachtete sie rund 700 Hawaianer des Jahrgangs 1955 über 40 Jahre hinweg. Die Wissenschaftlerin interessierte sich besonders dafür, wie Menschen, die in schwierigen Lebensumständen, zum Beispiel in Armut oder mit Gewalt, aufwachsen, trotz allem eine gute psychische Widerstandskraft entwickeln können.
Auf Grundlage der Studie entwickelten Forscher sieben Schlüsselfaktoren, die darüber entscheiden, wie Menschen Krisen verkraften oder sogar gestärkt aus ihnen herausgehen (siehe Kasten).
Der erste Resilienzfaktor Akzeptanz bedeutet, das Unabwendbare anzunehmen. Sätze wie: »Ach, hätte ich doch…« oder »Warum habe ich nur…?«, denkt jeder einmal. In diesen Gedanken jedoch zu verharren, raubt unnötig Kraft. Es ist ineffizient, den Fokus auf Dinge zu richten, die nicht mehr zu ändern sind. Vielen Menschen fällt es jedoch gerade mit zunehmendem Alter schwerer, Veränderungen anzunehmen.
Unvermeidbares annehmen
Ein Beispiel aus der Apotheke: Eine Kundin kommt mit einem Rezept für ein Schilddrüsenmedikament in die Offizin und beklagt sich: »Jetzt hab ich auch noch Schilddrüsenunterfunktion!« Was Sie aus den beiden Worten »auch noch« heraushören können: Zu anderen Belastungen ist nun eine (weitere) Krankheit dazugekommen. Wenn Sie das Gefühl der Kundin mit Ihren eigenen Worten spiegeln, kann es für sie leichter werden, die Situation zu akzeptieren: »Manchmal kommt aber auch alles auf einmal.« Das soll ihr helfen, das Gefühl ihrer eigenen Überforderung zu erkennen.
»Ach, eine Schilddrüsenunterfunktion ist doch nicht schlimm« – würden Sie so antworten, würden Sie die Gefühle der Kundin herunterspielen. Tatsächlich leben natürlich viele Menschen gut mit einer Hypothyreose und auf rationaler Ebene ist der Kundin das vielleicht sogar bewusst. Aber das Gefühl der Überforderung oder einer Ungerechtigkeit ist vorhanden, ob es in diesem Moment angemessen ist oder nicht. Wenn dieses Gefühl nicht angenommen wird, bleibt es womöglich weiter in der Kundin aktiv.
Sie können der Kundin weiterhelfen, indem Sie gezielt Fragen stellen und Mitgefühl zeigen. So kann der Prozess, der gerade stattfindet, weiter geführt werden. Die Kundin kann im Idealfall ihre Erkrankung besser verstehen, sie annehmen und in eine andere Stufe des Prozesses kommen, um die Lösung des Problems zu finden.
Sie nehmen die Überforderung ihres Gegenübers wahr. Diesen Eindruck können Sie mithilfe einer Frage überprüfen: »Es ist gerade recht viel bei Ihnen los?« Wenn Sie offen für die Gefühle und Antworten der Kundin sind, hat sie die Möglichkeit, auszusprechen, was sie gerade bewegt. »Ach, erst wird meine Mutter krank, täglich muss ich jetzt da hinfahren und mich um sie kümmern. Dann mein eigener Haushalt und jetzt auch das noch!«
»Was bedeutet das für Sie?« Das ist eine wichtige Frage, die darauf folgen sollte. Für die Kundin sollten Sie diese allgemeine Frage aber etwas konkreter formulieren: »Macht Ihnen die Schilddrüsenunterfunktion Sorgen?« könnten Sie zum Beispiel fragen. Die Kundin überlegt kurz und bemerkt: »Nein, das ist es gar nicht. Es ist ja nicht lebensbedrohlich, man kann ja gut mit der Krankheit leben. Aber ich muss jetzt jeden Morgen daran denken, vor dem Frühstück diese blöde Tablette einzunehmen. Ich muss sowieso schon an so vieles denken.« Für eine andere Person wäre vielleicht die Krankheit selbst bedrohlich und schwer zu akzeptieren. Der Kundin im Beispiel geht es jedoch augenscheinlich vor allem darum, dass sie es als anstrengend erlebt, an die regelmäßige Einnahme des Medikaments zu denken.
Weiter im Prozess
Ein weiterer Schlüsselfaktor der Resilienz ist die Lösungsorientierung. Helfen Sie der Kundin hier also mit einer Frage weiter: »Würde Ihnen ein Medikamentendosierer helfen?« Sie können die Kundin auch motivieren, selbst an der Lösung zu arbeiten. »Gibt es etwas, das Sie jeden Morgen vor dem Frühstück machen? Zum Beispiel ein Glas warmes Wasser trinken, um den Kreislauf in Schwung zu bringen?« »Nein, das mache ich nicht, aber daran könnte ich denken, ich bin nämlich morgens sehr müde. Das will ich gerne ausprobieren.« Ihr Rat könnte dann so lauten: »Dann können Sie ein Glas bereit stellen und die Tabletten daneben legen.« »Oder, wenn Sie Ihre Zähne vor dem Frühstück putzen, können Sie sich auch an die Zahnbürste ein Zeichen machen.«
Sie haben so mit wenigen geschickten Fragen und Mitgefühl dabei geholfen, dass die Kundin in dem Prozess nicht stecken bleibt und ihr bei der Akzeptanz der Situation und der Lösungsfindung geholfen. /