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Impfkalender

Kleiner Piks für großen Schutz

10.10.2016  10:45 Uhr

Von Judith Schmitz / Ende August hat die Ständige Impf­kommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut (RKI) im Epidemiologischen Bulletin 34/2016 neue Empfehlungen zu Schutzimpfungen und den dazugehörigen Impfkalender veröffentlicht. Für Babys und Kleinkinder empfiehlt die Kommission aktuell die folgenden Impfungen.

Das Impfprogramm startet im Alter von sechs Wochen mit der Impfung gegen Rotaviren. Diese zählen zu den häufigsten Ursachen für Magen-Darm-Erkrankungen bei Kleinkindern. Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) sind bei ihnen schwere Krankheitsverläufe häufiger als bei Älteren. Die Impfung gegen Rotaviren erfolgt als Schluckimpfung mit einem oralen Lebendimpfstoff. Ab dem Alter von sechs Wochen erhält der Säugling in einem Mindestabstand von vier Wochen zwei (Rotarix®) oder drei Impfstoffdosen (RotaTeq®).

In der Woche nach der ersten Impfung besteht ein geringfügig erhöhtes Risiko für Darmeinstülpungen, die zu einem Darmverschluss führen können (circa ein bis zwei Fälle pro 100 000 geimpfte Kinder). Dieses Risiko nimmt mit dem Alter des Säuglings zu. Die STIKO ­empfiehlt daher, mit der Impfserie ­spätestens bis zum Alter von zwölf ­Wochen zu beginnen und diese vorzugsweise bis zur 16. (spätestens bis zur 24.) Lebenswoche des Impflings beziehungsweise – bei drei Dosen – zwischen der 20. und 22. (spätestens bis 32.) abzuschließen. Entwickelt das Kind nach der Impfung Krankheitszeichen einer Darmeinstülpung wie Bauchschmerzen, schrilles Schreien mit Anziehen der Beine, blutigen Stuhl oder Erbrechen, sollten Eltern umgehend einen Kinderarzt aufsuchen.

Die STIKO empfiehlt, Kombinationsimpfstoffe den monovalenten Impfstoffen vorzuziehen, wenn hierdurch die Anzahl der Injektionen reduziert, das Impfziel früher erreicht und die Impfakzeptanz gesteigert werden kann. Zudem sind gegen bestimmte Krankheiten derzeit keine monovalenten Impfstoffe in Deutschland ver­fügbar. In der Regel werden hexavalente Impfstoffe zur Immunisierung ­gegen die Infektionskrankheiten Poliomyelitis, Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Haemophilus influenzae Typ b und Hepatitis B eingesetzt. Ab dem zweiten Lebens­monat (neunte Woche) erhält der Impfling drei Dosen mit je einem Zeit­abstand von mindestens einem Monat. Zwischen dem 11. und 14. Lebensmonat erfolgt die letzte vierte Teilimpfung zur Grundimmunisierung. Die Immunisierungen gegen Diphtherie, Tetanus und Pertussis werden im Alter von 5 bis ­6 sowie zwischen 9 und 17 Jahren aufgefrischt, anschließend alle zehn Jahre. Eine Auffrischimpfung gegen Poliomyelitis erfolgt zwischen 9 und 17 Jahren.

Zeitgleich zur Sechsfachimpfung ­erhält das Kind drei Impfstoffdosen gegen Pneumokokken, und zwar im Alter von 2, 4 sowie zwischen 11 und 14 Monaten. Die STIKO weist auf einen ­Mindestabstand von zwei Monaten zwischen der ersten und zweiten Dosis hin, sechs Monate sollten zwischen der zweiten und dritten Dosis liegen. Frühgeborene erhalten eine zusätzliche Impfstoffdosis mit drei Monaten. Da Kinder unter zwei Jahren nach der ­Impfung mit dem 23-valentem Polysaccharidimpfstoff Pneumovax® 23 keine ausreichende Immunantwort ent­wickeln, gilt für sie weiterhin die Empfehlung für den Konjugatimpfstoff (Prevenar® 13).

Impfreaktionen meist mild

Der Sechsfachimpfstoff ist in der Regel gut verträglich. Wie bei ­anderen Impfstoffen kann es zu typischen Impfreaktionen kommen: ­Rötung oder Schwellung an der Einstichstelle, weil die körpereigene ­Abwehr angeregt wurde, geschwollene Lymphknoten, Frösteln, Müdigkeit, Kopf- und Gliederschmerzen, Reizbarkeit sowie Magen-Darm-Beschwerden. Häufig sind laut BZgA Fieber über 39° C und Bronchitis. Bei weniger als einem von 10 000 Geimpften kann ein Fieberkrampf (in der Regel ohne Folgen) ­auftreten. Auch kurzzeitige schockähnliche Zustände wurden beo­bachtet. Auf Impfstoffbestandteile sind allergische Reaktionen möglich.

Um den ersten Geburtstag beginnt die Impfserie gegen Masern, Mumps, Röteln und Windpocken. Auch die einmalige Impfung gegen Meningo­kokken C steht an. Die STIKO empfiehlt einen Kombinationsimpfstoff gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR-Impfstoff; M-M-RvaxPro®, Priorix®). Die Impfung sollte im Alter von 11 bis 14 Monaten erfolgen, die zweite Impfung bis zum Ende des zweiten Lebensjahres. Bereits ab neun ­Monaten ist die Gabe der ersten MMR-Impfdosis möglich, wenn das Kind eine Gemeinschaftseinrichtung besuchen soll oder Kontakt zu an Masern Erkrankten hat. Die zweite Dosis erhält es dann zu Beginn des zweiten Lebens­jahres. Da hier mit einem abgeschwächten Lebendimpfstoff geimpft wird, können in bis zu 5 Prozent der Fälle ein bis vier Wochen nach der Impfung abgeschwächte Symptome der drei Infektionskrankheiten entstehen, vor allem die sogenannten nicht übertragbaren Impf-Masern: ein schwacher masernähnlicher Ausschlag mit Fieber. Eine leichte Schwellung der Ohrspeicheldrüse ist möglich, selten auch eine leichte Hodenschwellung.

Die erste Impfdosis gegen Varizellen sollte der Impfling laut STIKO entweder simultan mit der ersten MMR-Impfung im Alter von 11 bis 14 Monaten erhalten oder vier Wochen danach. Auf dem Markt ist auch ein vierfacher MMRV-Impfstoff (Priorix-Tetra®). Da nach der Gabe des kombinierten MMRV-Impfstoffs das Risiko von Fieberkrämpfen höher ist als nach simultaner Impfung mit Varizellen- und MMR-Impfstoff an verschiedenen Körperstellen, empfiehlt die STIKO ­letztere Impfvariante für die erste ­Impfung. Die zweite Impfung gegen Varizellen kann dann auch mit dem MMRV-Kombinationsimpfstoff erfolgen.

Die Impfung gegen Meningokokken der Serogruppe C empfiehlt die STIKO möglichst früh im zweiten Lebensjahr, ab zwölf Monate (bis 23 Monate) mit einer Impfstoffdosis ­eines konjugierten Meningokokken-­C-Impfstoffs.

Die Impfung gegen humane Papillomaviren wird seit zwei Jahren für Mädchen von 9 bis 14 Jahren empfohlen (anstatt von 12 bis 17 Jahren). Hauptübertragungsweg der humanen Papillomaviren ist Sexualkontakt. Mindestens 15 der mehr als 100 Papillomavirus-Typen können bei infizierten Frauen zu Gebärmutterhalskrebs führen. In circa 70 Prozent der Fälle sind dies die Hochrisikotypen HPV 16 und 18.

Die Impfserie sollte vor dem ersten Geschlechtsverkehr abgeschlossen sein. Seit 2006 ist in Deutschland der Zweifach-Impfstoff Cervarix® gegen die beiden Hochrisikotypen HPV 16 und 18 erhältlich sowie der Vierfach-­Impfstoff Gardasil®, der zusätzlich vor den HPV-Typen 6 und 11 schützt, die Genital­warzen verursachen können. Seit April dieses Jahres ist zusätzlich ein Neunfachimpfstoff (Gardasil® 9) ­erhältlich, der sich auch gegen HPV 31,33,45,52 und 58 richtet.

HPV-Impfschema

Die STIKO empfiehlt, eine begonnene Impfserie mit dem gleichen HPV-Impfstoff zu vervollständigen. Im Alter von 9 bis 13 beziehungsweise je nach Impfstoff 14 Jahren kann die Impfung mit zwei Impfdosen erfolgen, vor­ausgesetzt der empfohlene Abstand zwischen den Impfungen wird eingehalten. Mindestens fünf oder (je nach Impfstoff) sechs Monate nach der ­ersten Impfung folgt die zweite Impfung. Auf einen maximalen Abstand von 13 Monaten ist zu achten. Wichtig: Nach der Impfung ist eine Infektion mit anderen HPV-Typen möglich.

Die jährliche Grippeimpfung wird zwar standardmäßig ab 60 Jahren empfohlen, sie ist aber auch bei ­Kindern sinnvoll, die aufgrund einer chronischen Erkrankung wie Asthma ­bronchiale oder Diabetes mellitus anfälliger für Komplikationen sind. Die STIKO empfiehlt, in der Saison 2016/2017 für die Altersgruppe von ­­2 bis 17 Jahren entweder den nasalen Lebendimpfstoff oder einen inaktivierten Impfstoff zu verwenden.

STIKO-Impfkalender (Standardimpfungen) für Säuglinge, Kinder (Auszug)

Impfung Alter
(Wochen)
Alter
(Monate)
6 2 3 4 11–14 15–23
Tetanus G1 G2 G3 G4 N
Diphtherie G1 G2 G3 G4 N
Pertussis G1 G2 G3 G4 N
Hib G1 G2 G3 G4 N
Polymyelitis G1 G2 G3 G4 N
Hepatits B G1 G2 G3 G4 N
Pneumokokken G1 G3 G4 N
Rotaviren G1 G2 G3 G3
Meningokokken C G1
(ab 12 Mon.)
Masern G1 G2
Mumps, Röteln G1 G2
Varizellen G1 G2

G: Grundimmunisierung, N: Nachholimpfung (Grundimmunisierung noch nicht Geimpfter bzw. Komplettierung unvollständiger Impfserien)

Stress- und schmerzfrei

Damit Impfen sowohl für Kinder als auch für Eltern nicht zu einer traumatischen Erfahrung wird und die Akzeptanz von Impfungen ein Leben lang negativ beeinflusst, hat die STIKO erstmals im Epidemiologischen Bulletin 34/2016 verschiedene evidenzbasierte Empfehlungen für schmerz- und stressreduziertes Impfen zusammengestellt.

  • Der Arzt sollte mit den Eltern vor dem ersten Impftermin des Kindes ein Gespräch über die Impfungen führen, in dem er auch über die Möglichkeiten der Schmerzreduktion aufklärt, zum Beispiel im Rahmen der U3.
  • Altersabhängig stehen verschie­dene schmerzstillende Medikamente zur Verfügung, wie lidocainhaltige Schmerzpflaster oder Cremes. Achtung: Die empfohlene Mindesteinwirkzeit von 30 bis 60 Minuten muss bei der Planung berücksichtigt werden. Die Kosten der Pflaster müssen die Eltern selbst übernehmen. Auch die Verwendung von Eisspray ist möglich. Hier kann nach der Aufsprühzeit von wenigen Sekunden und anschließender Desinfektion direkt geimpft werden.
  • Bei Neugeborenen sorgt das Nuckeln an einem Schnuller für weniger Schmerzen. Außerdem können Säuglinge während der Impfung gestillt werden (gilt nicht für die Impfung gegen Rotaviren). Unter Zweijährige können bis zu zwei Minuten vor der Impfung 2 ml einer 25-prozentigen Glucoselösung oder eine andere süße Flüssigkeit erhalten.
  • Zur Schmerzreduktion wird nicht empfohlen, den Impfstoff zu er­wärmen, die Injektionsstelle manuell durch Reiben oder Kneifen zu stimulieren sowie orale Analgetika vor oder während der Impfung zu verab­reichen.
  • Eltern von Unter-Zehnjährigen sollten bei der Immunisierung dabei sein.
  • Kinder ab drei Jahren sollten die Eltern direkt vor der Injektion darüber aufklären, was beim Impfen passieren wird und wie sie mögliche Schmerzen oder Angst am besten bewältigen können: das Drücken der elterlichen Hand während der Injektion, das Aufblasen eines Ballons, ein Gespräch oder Musik können vor und nach dem Piks ablenken.
  • Die intramuskuläre Injektion sollte altersunabhängig ohne Aspiration durchgeführt und die schmerzhafteste Impfung bei mehreren Impfungen zuletzt verabreicht werden. Die Injektionen der Pneumokokken- und MMR-Impfung können besonders schmerzhaft sein. Je nach Alter auf die passende Nadellänge achten.
  • Wichtig ist auch, dass das Gesundheitspersonal kooperativ ist, Ruhe ausstrahlt und das Impfprozedere neutral beschreibt, um nicht die Angst des Kindes oder sein Misstrauen zu fördern. Beruhigende, aber unehrliche Phrasen wie »Das tut überhaupt nicht weh!« sind tabu.
  • Kleinkinder sollten die Eltern während der Impfung auf dem Arm ­oder Schoß halten, danach leicht schaukeln und liebkosen.
  • Kam es in der Vergangenheit zu Ohnmacht, sollte das Kind im Liegen geimpft werden. /

Kinderkrankheiten: Gar nicht harmlos

Kinderkrankheiten wie Masern, Mumps, Röteln, Windpocken oder Poliomyelitis sind nicht harmlos, sondern hoch ansteckend. Ohne Impfschutz erkrankten früher bereits viele Menschen im Kindesalter an ihnen, daher der Name. Auch heute sind die meisten Kinderkrankheiten nur schlecht oder gar nicht behandelbar. Oft können Medikamente nur die Symptome unterdrücken.

  • Tetanus (Wundstarrkrampf): Über kleine Wunden oder Stiche gelangt das Bakterium Clostridium tetani in den Körper und kann – trotz frühzeitiger Behandlung – tödlich sein. Die Erkrankung ist bei uns äußerst selten, die meisten Menschen sind geimpft.
  • Bei der Diphtherie kann es zu einer Schwellung der Atemwege kommen, der Patient erstickt. Das Diphtherietoxin kann Organschäden verursachen. Bei Krankheitsverdacht wird sofort mit Antiserum und Antibiotikum behandelt. Trotz intensivmedizinischer Behandlung sterben heutzutage laut BZgA 5 bis 10 Prozent der Erkrankten. Durch eine hohe Impfrate erkranken bei uns aber kaum noch Kinder.
  • Pertussis (Keuchhusten) ist hochansteckend. Vor allem bei Säuglingen treten Komplikationen auf: Circa 15 bis 20 Prozent der überwiegend ungeimpften Säuglingspatienten im Krankenhaus entwickeln eine Mittelohr- oder Lungenentzündung. Etwa ein Prozent aller erkrankten Kinder unter sechs Monaten erliegt der Erkrankung. Da in 80 Prozent der Fälle die Ansteckung durch Tröpfchen­infektion über enge Kontaktpersonen erfolgt, sollten sich diese vor der Geburt des Babys impfen lassen.
  • Die bakterielle Infektion mit Haemophilus influenzae Typ b durch Tröpfchen kann zu Entzündung von Hirnhaut, Kehldeckel und Lunge sowie Sepsis führen. Trotz antibiotischer Behandlung können sich innerhalb kürzester Zeit lebensgefährliche Komplikationen entwickeln, insbesondere bei Babys.
  • Hepatitis B ist nur eingeschränkt behandelbar. Hauptübertragungsweg ist der Geschlechtsverkehr, Säuglinge sollten dennoch geimpft werden, da die Gefahr einer chronischen Verlaufsform bei 90 Prozent liegt. Infizierte Mütter können das Virus während Schwangerschaft und Geburt auf ihr Kind übertragen.
  • Pneumokokken sind Hauptverursacher bakterieller Lungenentzündungen in Europa. Kinder unter zwei Jahren sind besonders gefährdet.
  • In Deutschland kommen Meningokokken-Infektionen mit Neisseria meningitidis-Bakterien der Serogruppe B und C vor. Erkrankungen durch die Serogruppe B sind häufiger und verlaufen meist milder als durch die Gruppe C. Eine Infektion kann innerhalb weniger Stunden lebensbedrohlich werden (Hirnhautentzündung und/oder Sepsis). Schon bei Verdacht müssen potenziell Erkrankte sofort ins Krankenhaus.

Lieferengpässe

Auf der Internetseite www.pei.de/lieferengpaesse-impfstoffe-human informiert das Paul-Ehrlich-Institut, ob und wie lange Lieferengpässe von Impfstoffen vorliegen sowie – in Absprache mit dem RKI und der STIKO – welche alternativen Impfstoffe mit derselben Zusammensetzung verfügbar sind. Die STIKO gibt darüber hi­naus Handlungsempfehlungen, wie die erforder­liche Impfung mit anderen Impfstoffen erfolgen kann, falls kein Impfstoff mit gleicher Antigenzusammensetzung verfügbar ist (www.rki.de/impfstoffknappheit).