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Seelische Widerstandskraft

»Das macht mich stark!«

13.10.2017  14:46 Uhr

Von Narimaan Nikbakht / Haben Sie sich schon mal gefragt, warum manche Menschen sich einfach nicht unterkriegen lassen? Wie sie es schaffen, Krisen zu meistern und sogar an ihnen zu wachsen? Ihr Geheimnis ist eine starke innere Widerstands­kraft. Psychologen nennen das Resilienz. Wir stellen drei Frauen vor, die Mut machen.

Multiple Sklerose – seit 12 Jahren gehört die Krankheit zum Leben von Christiane Andree. »Sie hat mir Einsichten eröffnet, zu denen ich sonst nicht gekommen wäre. Zum Beispiel, das zu schätzen, was ich habe, und ganz im Augenblick zu leben«, so die Hamburgerin.

Alles begann im Dezember 2008. »Diesen Morgen vergesse ich nie: Ich war gerade aufgewacht und wunderte mich, dass sich meine Beine taub anfühlten«, erinnert sich Christiane. Dennoch fuhr sie zur Schule, um zu arbeiten. Während des Unterrichts fühlte sie sich zunehmend schlechter. Und dann ging es nicht mehr. Sie brach die Stunde ab und fuhr direkt zum Arzt. Der überwies sie ins Krankenhaus und dort erhielt sie die Diagnose: Multiple Sklerose. »Zuerst stürzte eine Welt für mich zusammen. Von einem auf den anderen Tag schien ich nicht mehr die gleichen Chancen zu haben, die ein gesunder Mensch hat. Sicher würde ich mich bald nicht mehr bewegen können und im Rollstuhl sitzen, war meine Befürchtung«, so Christiane. Doch die Ärzte beruhigten sie. Mittlerweile seien Medikamente und Therapien so weit ent­wickelt, dass ein Rollstuhl längst nicht mehr sein müsse.

»Ich entspannte mich etwas und entschied mich dazu, nach vorne zu schauen. Zwar brauchte ich Wochen, um die Diagnose wirklich zu verarbeiten und zu akzeptieren. Aber mir war klar, dass ich sie nicht ändern konnte. So beschloss ich, das Beste aus meiner Situation zu machen.«

Natürlich erlebt Christiane immer mal wieder Tage, an denen sie ein Tief hat. Aber die lässt sie dann einfach zu. »Nach einer Weile gehen sie ohnehin von selbst. Lediglich die Frage: Warum ausgerechnet ich, die vermeide ich. Denn die lässt sich nicht beantworten. Es ist, wie es ist. Ich glaube, eine Krise zu bewältigen, hat auch etwas mit dem eigenen Willen zu tun. Ich frage mich darum lieber: Was tut mir gut? Wer stärkt mich jetzt?«, reflektiert Christiane.

Hass, Trauer und Selbstmitleid bringen einen nicht weiter, davon ist Christiane überzeugt. Das Belastendste sei die latente Angst vor dem nächsten Krankheitsschub. Nicht zu wissen, wann und wie stark dieser sein wird. Seit dem Ausbruch der Krankheit hatte sie bisher nur einen weiteren Schub. »Mir wurde dadurch erneut bewusst, dass ich die Krankheit wirklich habe und ich umso intensiver mein Leben genießen will.« Christiane schränkt sich dabei so wenig wie möglich ein: macht Sport, genießt gutes Essen, trifft sich mit Freunden, die sie unterstützen, und reist viel. »Ich möchte unbedingt noch mal nach New York, Miami, Hawaii und Sri Lanka. Ich bin mir sicher, das Schicksal meint es am Ende gut mit mir. Meine Krankheit ist kein Pech, sondern eine Herausforderung.«

Sich selbst wieder finden

Shahla Schreiber war fast 30 Jahre mit einem Architekten verheiratet. Doch dann zerbrach die Ehe. »Wir hatten uns auseinandergelebt«, sagt sie. Im selben Jahr starben kurz hintereinander ihre beiden Brüder an Herzleiden. »Sie standen mir sehr nahe und ihr plötzlicher Tod war ein Schock für mich.« Zugleich zog der jüngste Sohn aus. Klassisches Leeres-Nest-Syndrom: Das Haus war wie ausgestorben, jegliche Lebendigkeit verflogen.

»Ich fühlte mich wie amputiert, konnte meine Situation nicht akzeptieren. Alle Menschen, die mir nahe gestanden hatten, waren plötzlich weit weg oder ganz fort, und das innerhalb eines Jahres. Ich musste mich erst wieder selbst finden. Dann las ich in einem Buch den Satz: Wenn du loslässt, hast du zwei Hände frei. Er berührte mich. Mehr und mehr nahm ich meine Situation an und hörte auf, mich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Stattdessen wurde das Jetzt und die Gegenwart immer wichtiger für mich.«

Shahla Schreiber traf Freundinnen, ging schwimmen und kümmerte sich viel um ihren Garten. »Das war wirklich therapeutisch für mich. Welke Blätter und Blüten abzupfen, in der Erde wühlen, pflanzen und gießen. Ich liebe die entspannte Atmosphäre zwischen den Pflanzen, den Geruch der Erde und dem Grün. Etwas selbst zu sähen und zu sehen, wie es wächst und gedeiht, ist ein erhebendes Gefühl.« Richtig aufwärts ging es aber erst, als ihre Enkelin Mina vor sieben Jahren geboren wurde. »Sie bringt neue Farbe, Glück und Freude in mein Leben. Am Wochenende schläft sie oft bei mir. Und wenn sie nachts neben mir liegt, denke ich manchmal lächelnd: Wie gut, dass ich so eine süße liebenswerte Knospe neben mir habe, statt eines schnarchenden Mannes.«

Falscher Stolz machts nur noch schlimmer

»Ich habe nie aufgegeben in meinem Leben«, sagt Martina Holleitner aus Herzogenrath. Acht Jahre war die 42-Jährige von einer Dialyse-Maschine abhängig – und träumte von einem ganz normalen Alltag. Bevor es aber aufwärts ging, musste sie erst einmal aufhören, die Heldin zu spielen. »Ich wollte stets die sein, die alles allein schafft«, erzählt Martina. Aber falscher Stolz in einer Krisenzeit macht alles nur noch schwerer.

Martina weiß, wovon sie redet, denn sie hatte eine seltene Erkrankung der Blutzellen, die mit der Schädigung der Nieren einherging. »Die ersten 14 Jahre brauchte ich keine Dialyse, später dann schon. Am liebsten hätte ich mir manchmal die Schläuche abgeschnitten und wäre gegangen. Stundenlang floss das Blut aus meinen Adern in die Dialyse-Maschine und wieder zurück. Ich dachte dann an meine Tochter Kim, die bei meinen Eltern wartete und wurde ungeduldig. Als alleinerziehende Mutter hätte ich viel lieber etwas mit Kim unternommen, als stundenlang mein Blut waschen zu lassen.«

Dann besann sich Martina: Diese lästige und unangenehme Prozedur rettete schließlich ihr Leben. Und sie verschaffte ihr Zeit, für die sie dankbar war. »Ohne meine Eltern hätte ich diese Kraft aber sicher nicht aufgebracht. Sie haben mir viel abgenommen. Und das weit über das normale Maß hinaus. Eines Tages arbeiteten beide Nieren nur noch so schwach, dass eine Organspende her musste. Mein Vater war sofort bereit zu helfen.«

Die Operation verlief gut. Alle waren erleichtert. Nach zwei friedlichen Jahren kam jedoch der Rückschlag: »Mein Körper stieß die neue Niere ab. Also musste ich wieder dreimal die Woche zur Dialyse.«

Martina aber blieb optimistisch. Und wollte stark sein – für ihre Tochter und für sich selbst. Und auf einmal wendete sich Blatt. »Ich stand endlich auf der Sonnenseite des Lebens und lernte meine große Liebe Andreas kennen. Sein Humor gefiel mir auf Anhieb, und wenn wir zusammen lachten, wurde das Leben leichter«, so Martina. Zu keinem Moment ließ er sich von den Schläuchen und Medikamenten abschrecken, die zum Leben seiner Freundin gehörten. Das Paar zog zusammen, und kurz darauf erhielt Martina den ersehnten Anruf: eine neue Spender-Niere stand bereit. Am selben Tag kurz vor der Operation machte ihr Andreas einen Heiratsantrag. »Bis heute verträgt mein Körper die Niere gut. Und heute habe ich das Gefühl, für meinen unerschütterlichen Optimismus belohnt worden zu sein.« /

Krisen meistern

Krisen und Konflikte gehören zum Leben. Einige Menschen zerbrechen daran, andere wiederum meistern schwierige Phasen recht gut und gehen gestärkt aus ihnen hervor. Die Basis dafür ist die seelische Widerstandskraft, auch Resilienz (von lateinisch resilire: zurückprallen, abspringen) genannt – die Kunst, mit den Widrigkeiten des Lebens gut umzugehen.

Geprägt wurde der Resilienz-Begriff von der US-amerikanischen Entwicklungspsychologin Emmy Werner. In einer Langzeitstudie beobachtete sie rund 700 Hawaianer des Jahrgangs 1955 über 40 Jahre hinweg. Die Wissenschaft­lerin interessierte sich besonders dafür, wie Menschen, die in schwierigen Lebensumständen, etwa in Armut oder mit Gewalt, aufwachsen, trotz allem eine gesunde psychische Widerstandskraft entwickeln können.

Die American Psychological Association (APA) listet wichtige Resilienz-­Faktoren auf, unter anderem diese:

  • Kontakte knüpfen (Netzwerken): Kontakte knüpfen und pflegen zur Familie, zu Freunden, zu Menschen in sozialen Gruppen oder Gemeinden. Hilfe annehmen und geben.
  • Akzeptanz: Wandel gehört zum Leben. Situationen, die sich nicht ändern lassen, so akzeptieren, wie sie sind. Sich auf Dinge konzentrieren, die man ändern kann.
  • Optimismus, dass das Problem zeitlich begrenzt ist und einer besseren Zukunft weicht.
  • Realistische Ziele: Realistische Pläne schmieden, statt sich auf unerreichbare Ziele zu konzentrieren.
  • Eigeninitiative: Selbst handeln, wenn es möglich ist, statt in der Situation zu verharren.
  • Lösungsorientierung: Überlegen, was man selbst tun kann, damit das Problem nicht zur dauerhaften Beeinträchtigung führt.
  • Selbstvertrauen: Zuversicht, dass man das Problem überwinden kann.