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Wahr oder falsch?

Ernährungsmythen auf der Spur

13.10.2017  14:47 Uhr

Von Inka Stonjek / Spinat hat einen herausragenden Eisengehalt: Ein klassischer Mythos, der durch stetes Weitergeben zur landläufigen Meinung wurde. Ob der Fehler an einer falschen Kommastelle lag, oder daran, dass die Trockenmasse analysiert wurde: Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass 3,4 mg Eisen pro 100 g Frischware zwar gut, aber nicht unschlagbar sind. PTA-Forum geht weiteren Ernährungs­weisheiten auf den Grund.

Eier sollte man bei erhöhtem Cholesterol­spiegel meiden.

In den 1950er-Jahren stellte der US-amerikanische Ernährungswissenschaftler Ancel Keys in einer Sieben-Länder-Studie eine Korrelation zwischen Nahrungsfetten und Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufgrund erhöhter Cholesterolspiegel fest. Daraus schlussfolgerte er, man solle besser auf Eier verzichten. In 100 g Hühnerei stecken rund 400 mg Cholesterol, in der gleichen Menge Eigelb sogar 1260 mg. Ein durchschnittliches Ei enthält rund 200 mg. Doch Cholesterol kommt nicht nur in Eiern vor, sondern in allen tierischen Geweben. Es verleiht den Zellmembranen Stabilität und ist ein wichtiger Ausgangsstoff für die Synthese von Vitamin D, Gallen­säuren und Hormonen.

Cholesterol ist also lebenswichtig. Damit es nicht zur Neige geht, bildet der Körper den Großteil selbst und wendet sogar Recycling-Mechanismen an, um nichts zu verschwenden. Dazu schleust er die Gallensäuren aus dem Darm in das Blut zurück, sodass sie dauerhaft im enterohepatischen Kreislauf zwischen Darm, Leber und Gallenblase zirkulieren. Nur ein kleiner Teil wird vom Cholesterol aus der Nahrung gespeist, dessen Resorption zudem begrenzt ist. Ab und zu ein Ei zu essen, hat auf den Cholesterolspiegel also nur einen sehr geringen Einfluss.

Trotzdem muss man irgendwo anfangen, wenn der Arzt den Cholesterolspiegel als behandlungsbedürftig einordnet. Die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung von Fettstoffwechselstörungen und ihren Folgeerkrankungen (DGFF, Lipid-Liga) empfiehlt dann, den gesamten Lebensstil zu ändern und dabei der Ernährung einen besonderen Stellenwert einzuräumen. Ziel ist nicht, Cholesterol zu meiden, sondern frischem Obst und Gemüse, mageren tierischen Lebensmitteln, pflanzlichen Ölen und Vollkornprodukten den Vorzug zu geben. Deren Ballaststoffe beispielsweise binden Gallensäuren im Darm und führen sie auf natürlichem Weg nach draußen. Auf diese Weise können sie helfen, den Cholesterolspiegel zu senken, denn der Körper zieht zum Nachschub Cholesterol aus dem Blut heran. Übrigens: Die Sieben-Länder-Studie steht heute auch wegen ihrer methodischen Mängel in der Kritik.

Zu viel Salz erhöht den Blutdruck.

Salz ist osmotisch wirksam, zieht also Wasser an. Wer sehr salzig isst, hat zeitweise also zu viel im Blut, wodurch das nachströmende Wasser das Volumen und damit den Blutdruck erhöhen kann. Zudem fördert Salz die Bildung bestimmter Botenstoffe in der Muskulatur der Blutgefäße, die bewirken, dass sich die Muskelzellen zusammenziehen.

Zur Regulierung des Blutdrucks stehen Gefäße, Botenstoffe, Organe und das Nervensystem miteinander in Wechselwirkung. Noch ist das feine Regelwerk nicht bis ins letzte Detail erforscht. Trotzdem bescheinigt das Bundesinstitut für Risikobewertung auf Basis der aktuellen Datenlage insgesamt eine überzeugende Evidenz beim Zusammenhang zwischen Salzkonsum und Bluthochdruck.

Sicher ist allerdings auch, dass nicht alle Menschen gleich reagieren. Während sich der Blutdruck bei »Salzresistenten« nur geringfügig verändert, reagieren »Salzsensitive« stärker. Zu letzterer Gruppe gehören nach Angaben der Deutschen Hochdruckliga zufolge etwa 30 bis 50 Prozent der Hypertoniker und 10 bis 20 Prozent der Durchschnittsbürger. Problematisch ist, dass sich nicht alle 80 Millionen Bundesbürger zuverlässig einer der beiden Gruppen zuordnen lassen. Daher wird empfohlen, den Konsum insgesamt zu senken. Davon profitieren die einen, die anderen haben keinen Nachteil.

Mit einer Beschränkung auf die empfohlene Dosis von 6 g am Tag lässt sich ein erhöhter Blutdruck um bis zu 8 mmHg senken, ein normaler Blutdruck um 1 bis 2 mmHg. Und reduzieren lässt sich einiges, denn die Deutschen mögen es pikant. Der DEGS-Studie zufolge überschreiten Frauen die Empfehlung zur Salzzufuhr im Schnitt um 2 g, Männer sogar um 4 g. Allerdings stammt nur ein Bruchteil dieser Menge aus dem heimischen Salzstreuer. Der Großteil ist in industriell verarbeiteten Lebensmitteln wie Brot, Käse und Wurst versteckt. Seit 2016 muss deshalb bei vielen Produkten der Salz­gehalt in der Nährwertkennzeichnung offenbart werden. Zudem erarbeitet das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft eine nationale Strategie für die Reformulierung von Lebensmitteln.

Kirschen gegessen, Wasser getrunken, Bauchweh bekommen.

In einem alten Spiel droht dieses Schicksal zumindest jedem Kind, das einen zugeworfenen Ball nicht fängt. Mit Bauchschmerzen hat die Leidensgeschichte im Spiel noch kein Ende: Den Ball seines Gegenübers weitere Male zu verpassen, führt unweigerlich zum Tod und damit zum Ausscheiden des Kindes aus dem Spiel.

Auch wenn die Konsequenzen übertrieben dargestellt sind, war diese Warnung zu früheren Zeiten durchaus berechtigt. Damals waren im Trinkwasser oft Keime enthalten, erklärt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Hefepilze beispielsweise setzen Gärprozesse in Gang. Die dabei entstehenden Gase blähen und können Schmerzen verursachen. Dank der heutigen Wasserqualität muss sich aber inzwischen niemand mehr das Trinken verkneifen, wenn er nach dem Naschen Durst bekommt.

Margarine ist gesünder als Butter.

Eins vorweg: Margarine mit Butter zu vergleichen, ist, als stellte man Äpfel und Birnen gegenüber. Bis auf die Tatsache, dass beide Streichfette sind, haben sie keine Gemeinsamkeiten. Butter ist ein Milch­produkt. Obwohl ihre industrielle Herstellung nicht mehr viel mit dem ursprünglichen Stampfen gemein hat, hat sich am Prinzip nichts verändert: Rahm wird solange geschlagen, bis sich die Fettkügelchen zu Butterkörnern verbunden haben. Als weitere Zutaten lässt die Zusatzstoffverordnung nur Wasser, Salz, gelb färbendes Beta-Carotin und Milchsäure­bakterien zu. Sauerrahmbutter darf noch Phosphate und Natriumcarbonat enthalten.

Margarine hingegen besteht aus Ölen, die raffiniert, gehärtet und mit Fetten vermischt werden. Diese sind heute überwiegend pflanzlichen Ursprungs, allerdings sind auch tierische Bestandteile wie Magermilch, Joghurt oder Rindertalg erlaubt. Aromen für einen buttertypischen Geschmack und Vitamine kommen extra dazu. Welches Streichfett besser ist, hängt auch davon ab, was gewünscht ist. Wer weitgehend naturbelassene Lebensmittel bevorzugt, kauft Butter. Veganer werden wohl die Zutatenliste checken und zur Margarine greifen, ebenso Menschen mit Lactoseintoleranz oder solche, die Cholesterol einschränken möchten.

Die Stiftung Warentest hat dazu eine klare Meinung: »Margarine ist oft die gesündere Wahl als Butter«, titelte sie, nachdem sie im Juli dieses Jahres 19 Produkte untersucht und bewertet hatte. Zudem lobt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung das Fettsäureprofil der Margarine, das im Vergleich zu Butter weniger gesättigte Fettsäuren, mehr ungesättigte Fettsäuren und durch veränderte Herstellungsverfahren so gut wie keine Transfettsäuren mehr enthält.

Kaffee ist ein Flüssigkeitsräuber.

Anfang der 2000er-Jahre war dies noch die gängige Lehrmeinung. Diese ging auf eine Untersuchung zurück, bei der die Probanden ihre Kaffeeabstinenz mit sechs Tassen brachen und danach mehr Urin und Natrium ausschieden. Auf der Waage machte sich das mit durchschnittlich 0,7 kg weniger bemerkbar. Das interpretierten die Studienautoren als eine Verschlechterung der Flüssigkeitsversorgung. Tatsächlich hatte nur die Gesamtkörperwassermenge abgenommen, denn das enthaltene Koffein wirkt harntreibend.

Neuere Studien mit realistischen Koffeindosen ohne vorherigen Verzicht zeigen, dass der Effekt nur vorübergehend ist; innerhalb eines Tages ist der Flüssigkeitshaushalt wieder ausgeglichen. Zudem entwickeln Kaffeetrinker Kompensationsmechanismen. Für viele Menschen leistet Kaffee deshalb sogar einen wesentlichen Beitrag zur täglichen Flüssigkeitszufuhr. Er wird in die Bilanz ebenso einberechnet wie ein Glas Saft oder eine Tasse Tee. Wegen seiner anregenden Wirkung auf Herz und Kreislauf empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung allerdings, ihn nicht als Durstlöscher zu verwenden.

Obst ist gesund. Je mehr man isst, desto besser.

In Obst steckt viel Wertvolles. Vitamine sind Cofaktoren für Enzyme und in dieser Funktion für deren Aktivität verantwortlich. Mineralstoffe wie Calcium und Magnesium wandern als Bausubstanz in Knochen und Zähne und sind am Erregungspotenzial von Nerven und Muskeln beteiligt. Lösliche Ballaststoffe wie Pektin quellen, sättigen und regulieren die Verdauung. Zuletzt entfaltet die große Gruppe an sekundären Pflanzenstoffen neurologische, entzündungshemmende und antibakterielle Wirkungen und senkt wahrscheinlich das Risiko für bestimmte Krankheiten.

Der Fruchtzucker Fructose aber, der Früchten ihre Süße verleiht, hat sein positives Image verloren. Die Europä­ische Behörde für Lebensmittelsicherheit warnt, dass ein hoher Konsum Fettstoffwechselstörungen, Insulinresistenz und Fettleibigkeit begünstigen kann. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass große Mengen an Fructose den Harnsäurespiegel und damit das Gichtrisiko erhöhen können. Wer sich bei seinem täglichen Obst-Genuss von der Fünf-am-Tag-Regel leiten lässt, ist auf der sicheren Seite. Die Kampagne des gleichnamigen Vereins hat sich zum Ziel gemacht, den Obst- und Gemüseverzehr auf mindestens 650 Gramm am Tag zu erhöhen. Das entspricht ungefähr zwei Portionen Obst und drei Portionen Gemüse, von denen jede etwa in eine Hand passt: ein Apfel, eine Banane oder zwei Handvoll Beeren zum Beispiel.

Gefahr, über das Ziel hinauszuschießen, läuft, wer seinen Bedarf mit Säften oder Smoothies deckt oder sich im Zuge einer Radikaldiät ausschließlich von Früchten ernährt. Bevor allerdings mit langfristigen Nebenwirkungen zu rechnen ist, wird es zunächst nur unangenehm. Denn der menschliche Verdauungsapparat ist für die Verarbeitung von so viel Fructose nicht geschaffen. Selbst bei gesunden Menschen kommt der in der Darmwand sitzende Transporter GLUT-5 irgendwann an seine Grenzen. Er befördert Fructose aus dem Darmlumen ins Blut, streikt aber bei etwa 30 bis 35 g Fructose pro Mahlzeit. Dann verbleibt sie im Darm, wo sich die Darmflora über sie hermacht. Blähungen und Durchfall sind die Folge.

Obst und Gemüse enthalten heute weniger Vitamine und Mineralstoffe als früher.

Glaubt man diversen Internetseiten, ist der Gehalt an »Vitalstoffen« seit den 1970er-Jahren rapide gefallen. Deshalb müsse man ein Vielfaches davon essen, um die gleiche Nährstoffmenge wie damals aufzunehmen. Die DGE kommt im Ernährungsbericht 2004 allerdings zu dem Ergebnis, dass der Mineralstoff- und Vitamingehalt ausgewählter pflanzlicher Lebensmittel über einen Zeitraum von 50 Jahren keine Abnahme zeigt. Sie vermutet mit Blick auf die Absender solcher Aussagen einen Interessenskonflikt.

Um Verbraucher vor irreführenden Aussagen zu schützen, dürfen Nahrungsergänzungsmittel nicht mit Hinweisen werben, die behaupten, dass bei einer ausgewogenen, abwechslungsreichen Ernährung die Zufuhr angemessener Nährstoffmengen nicht möglich sei. Allerdings ist der Vitamin- und Mineralstoffgehalt natürlichen Schwankungen unterworfen, auf die interne Parameter wie Sorte, Wachstumszeitpunkt und Reifegrad sowie externe Parameter wie Klima, Witterung, Anbauform, Boden, Transport und Lagerung Einfluss haben.

Ein Verdauungsschnaps reduziert das Völle­gefühl und beschleunigt die Verdauung.

Ja, ein Schnäpschen nach einer üppigen und fettreichen Mahlzeit bringt Erleichterung. Doch dieser Effekt ist trügerisch. Tatsächlich entspannt sich nur die Magenmuskulatur, denn Alkohol wirkt durchblutungsfördernd. Auf die Verdauung hat er keine Wirkung, wie Schweizer Forscher zeigten. Sie gaben ihren Probanden C-13-markiertes Käsefondue mit Brot zu essen und ließen die eine Hälfte Weißwein dazu trinken, die andere Schwarztee. Anderthalb Stunden nach der fettreichen Mahlzeit bekamen die Weintrinker zusätzlich einen Kirschgeist, die Teetrinker Wasser. Die Menge des ausgeatmeten Isotops brachte ans Licht, dass der Alkohol die Magenentleerung rapide verlangsamt. Bei den Tee-/Wassertrinkern dauerte es sechs Stunden, bis zumindest die Hälfte des Fondues den Magen wieder verlassen hatte, bei den Wein-/Schnapstrinkern neun Stunden.

Ursache ist, dass die Leber dem Alkohol Priorität einräumt und diesen zuerst abbaut, bevor sie die Fette aufzuspalten beginnt. Ein schweres Essen liegt uns also nach einem Schnäpschen länger im Magen – es tut nur weniger weh. Etwas anders sieht es aus, wenn ein alkoholischer Kräuterauszug aus Bitterstoffdrogen wie Enzian, Artischocke, Scharfgarbe oder Wermut als Digestiv gereicht würde. Anders als bei einem klassischen Destillat gehen die Wirkstoffe bei einem Auszug in den Alkohol über und setzen reflektorisch eine Kaskade an verdauungsfördernden Prozessen in Gang: der Speichelfluss wird angeregt, es wird mehr Magensäure und mehr Gastrin gebildet. Zudem regen sie den Gallenfluss an. Viele der handelsüblichen (Magen-)Bitter sind aufgrund ihres hohen Zuckergehaltes trotzdem nicht als Verdauungshilfe empfehlenswert. Und da die Wirkung auf den Bitterstoffen beruht, kann man einen ähnlichen Effekt auch mit einem Arzneitee erzielen. /