Im Winter Mangelware |
13.10.2017 14:46 Uhr |
Von Annette Immel-Sehr / Kein anderes Vitamin steht aktuell so im Rampenlicht der Forschung wie Vitamin D. Dabei geht es sowohl um die Frage der ausreichenden Versorgung als auch um das präventive Potenzial des Vitamins.
Vitamin D spielt im Körper eine zentrale Rolle bei der Steuerung des Calcium- und Phosphatgleichgewichts. Zum einen fördert es die Aufnahme von Calcium aus dem Darm und seinen Einbau in die Knochen. Des Weiteren steigert Vitamin D die Aufnahme von Phosphat aus dem Darm und erhöht die tubuläre Rückresorption von Calcium in der Niere.
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Darüber hinaus ist das Vitamin an einer Vielzahl weiterer Stoffwechselvorgänge beteiligt und hat Einfluss auf die Muskelkraft. Nach neueren Erkenntnissen soll Vitamin D die Proteinsynthese in der Muskulatur fördern und den Calciumeinstrom in die Muskelfasern begünstigen. Weiterhin moduliert das fettlösliche Vitamin die Aktivität von Zellen des Immunsystems. So ist Vitamin D an der Differenzierung von Monozyten zu Makrophagen beteiligt. Es erhöht damit indirekt die Phagozytoserate und senkt die Infektanfälligkeit.
Es gibt außerdem Hinweise, dass Vitamin D bei der Prävention verschiedener Erkrankungen eine Rolle spielen könnte. Forscher halten es für möglich, dass Vitamin D eine protektive Wirkung auf kardiovaskuläre Ereignisse hat. Eine ausreichende Versorgung könnte also beispielsweise vor einem Herzinfarkt schützen, wenngleich dies noch nicht mit harten Fakten abgesichert ist. Darüber hinaus gibt es Vermutungen über einen schützenden Effekt von Vitamin D vor allergischen Erkrankungen. Ähnlich sieht die Situation beim Schutz vor Krebs und Diabetes mellitus Typ 2 aus – Hypothesen stehen im Raum, aber es fehlen bislang die eindeutigen Belege.
Vitamin D hat eine Sonderstellung unter den Vitaminen. Denn der menschliche Körper kann es mit Unterstützung des Sonnenlichts selbst herstellen. Unter dem Einfluss von UVB-Strahlung der Wellenlänge 280 bis 320 nm entsteht in der menschlichen Haut aus 7-Dehydrocholesterol Vitamin D3. Für die Aktivierung des Vitamins sind dann noch zwei Hydroxylierungsschritte erforderlich: Der erste erfolgt in der Leber zu 25-Hydroxyvitamin-D, der zweite in der Niere zu 1,25-Dihydroxyvitamin-D, welches auch als Calcitriol bezeichnet wird. Dies ist die biologisch aktive Form von Vitamin D.
Die körpereigene Vitamin-D-Bildung in der Haut wird von vielen Faktoren beeinflusst: Jahres- und Tageszeit, Witterung, Breitengrad, Kleidung, Aufenthaltsdauer im Freien, Hauttyp und Verwendung von Sonnenschutzmitteln. Wissenschaftler haben errechnet, dass Erwachsene in Deutschland in den Monaten April bis September ausreichend Vitamin D in ihrer Haut bilden, wenn sie sich täglich zwischen 12 und 15 Uhr je nach Hauttyp 5 bis 25 Minuten im Freien aufhalten und ein Viertel der Körperoberfläche der Sonne aussetzen. In den Monaten Oktober bis März ist die Sonnenbestrahlung in Deutschland nicht stark genug, um auf diese Weise ausreichend Vitamin D zu bilden. Dann greift der Organismus auf seine Vorräte zurück, die im Fettgewebe gespeichert sind.
Besondere Gefahr eines Vitamin-D-Mangels besteht bei:
Achtung: Die tägliche Anwendung von Tagescremes oder anderen Pflegeprodukten mit Lichtschutzfaktoren über 10 kann den Vitamin-D-Bedarf erhöhen.
In der Regel synthetisiert der Körper 80 bis 90 Prozent der benötigten Vitamin-D-Dosis selbst. Die Zufuhr über die Ernährung spielt demnach nur eine untergeordnete Rolle. Ernährungswissenschaftler unterscheiden dabei zwischen dem in tierischen Lebensmitteln enthaltenen Colecalciferol (Vitamin D3) und dem chemisch leicht anders aufgebauten pflanzlichen Ergocalciferol (Vitamin D2). Beide wirken erst, nachdem sie in Calcitriol umgewandelt wurden. Die tierische Vitamin-Variante entspricht im Übrigen der, die der Mensch in der Haut synthetisiert.
Die wichtigste Vitamin-D-Quelle in der Ernährung ist fetter Fisch, beispielsweise Hering, Lachs, Aal, Sprotten und Bückling. Ebenso enthalten Eier, rotes Fleisch und Leber viel Vitamin D. Ansonsten sind es vor allem die Speisepilze, die nennenswerte Mengen Vitamin D liefern. Das Vitamin zählt zu den fettlöslichen Vitaminen, es wird also mit dem Nahrungsfett zusammen resorbiert.
Wenn ein Arzt prüfen möchte, ob ein Patient ausreichend mit Vitamin D versorgt ist, bestimmt er die Konzentration von 25-Hydroxyvitamin-D, abgekürzt 25(OH)D, im Blutserum. Als gut für die Knochengesundheit gilt ein Wert von mindestens 50 Nanomol 25(OH)D pro Liter Serum. Liegt die Serumkonzentration unter 30 nmol/l 25(OH)D, bewerten Ärzte dies als Mangelzustand.
Versorgung in Deutschland
Das Robert-Koch-Institut ermittelte bei Kindern und Jugendlichen eine durchschnittliche 25(OH)D-Serumkonzentration von 42 nmol/l, bei Erwachsenen (18 bis 64 Jahre) 46 nmol/l und in der Altersgruppe der 65- bis 79-Jährigen 39 nmol/l. Der Anteil der Menschen mit einer 25(OH)D-Serumkonzentration von unter 25 nmol/l und damit einem moderaten bis schweren Mangel ist allerdings erheblich: 16 Prozent der Kinder und Jugendlichen und 14 Prozent der 18- bis 79-Jährigen weisen demnach einen deutlichen Vitamin-D-Mangel auf.
Vitamin D ist vor allem in fettreichen Fischsorten, Pilzen und Eiern enthalten.
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Ein Vitamin-D-Mangel führt zur Störung des Knochenstoffwechsels. Es kommt zu einer Demineralisation und damit zur Erweichung der Knochen. Ärzte bezeichnen dieses Krankheitsbild als Osteomalazie. Es kann einer Osteoporose Vorschub leisten. Bei Säuglingen und Kindern sprechen Mediziner von Rachitis, wenn die Knochen aufgrund eines Vitamin-D- Mangels weich und verformbar bleiben, weil sie nicht ausreichend mineralisiert sind.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) nennt 20 Mikrogramm pro Tag als Schätzwert für eine ausreichende Vitamin-D-Versorgung. Diese Angabe gilt ab dem zweiten Lebensjahr bis ins Erwachsenenalter, einschließlich Schwangere und Stillende. Etwa 1 bis 2 Mikrogramm Vitamin D nehmen Kinder und Jugendliche pro Tag über die Ernährung auf, Erwachsene 2 bis 4 Mikrogramm. Die Differenz zum Schätzwert von 20 Mikrogramm muss der Körper demzufolge selbst synthetisieren.
Menschen, die kaum draußen sind, haben ein erhöhtes Risiko für eine unzureichende Vitamin-D-Versorgung. Ihnen wird eine Supplementierung empfohlen. Das beginnt schon bei den ganz Kleinen: Sowohl gestillte als auch nicht gestillte Säuglinge sollten zur Rachitisprophylaxe täglich eine Tablette mit 12,5 Mikrogramm Vitamin D (500 I.E.) bekommen. Die Anwendung erfolgt ab dem Ende der ersten Lebenswoche bis zum Ende des ersten Lebensjahres und kann im zweiten Lebensjahr in den Wintermonaten fortgeführt werden.
Senioren sollten substituieren
Zu den weiteren Risikogruppen zählen insbesondere chronisch Kranke und pflegebedürftige ältere Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind (siehe auch Kasten auf Seite 19). Erschwerend kommt hinzu, dass die Fähigkeit der Haut zur Vitamin-D-Produktion im Alter abnimmt. Mediziner empfehlen, bei begründetem Verdacht auf eine Mangelsituation den Blutspiegel bestimmen zu lassen und bei Bedarf zu supplementieren. Nachweislich senkt eine Vitamin-D-Supplementation bei alten Menschen mit Vitamin-D-Mangel das Risiko für Stürze und Knochenbrüche. Sogar das Risiko für einen vorzeitigen Tod, das Mortalitätsrisiko, sinkt mit großer Wahrscheinlichkeit durch die Supplementation.
Lebensmittel | µg Vitamin D / 100 g |
---|---|
Hering | 25,0 |
Lachs | 16,0 |
Thunfisch | 4,5 |
Makrele | 4,0 |
Schmelzkäse 45 % F.i.Tr. | 3,1 |
Hühnerei | 2,9 |
Rinderleber | 1,7 |
Steinpilze | 3,1 |
Champignons | 1,9 |
Butter | 1,2 |
Die Wissenschaftler diskutieren aktuell darüber, ob es ausreicht, bei alten Menschen einen nachgewiesenen Mangel zu beheben, oder ob nicht das präventive Potenzial von Vitamin D für die Knochengesundheit ausgeschöpft werden sollte. Dies würde bedeuten, grundsätzlich statt 25 nmol/l wie bislang einen Serum-Wert von mindestens 50 nmol/l 25(OH)D anzustreben. Viele Geriater empfehlen dazu, dass über 65-Jährige täglich mindestens 20 Mikrogramm (800 I.E.) Vitamin D supplementieren sollten. Für eine optimale Vitamin-D-Wirkung auf die Knochengesundheit ist zusätzlich eine adäquate Calciumzufuhr notwendig.
Manche Wissenschaftler diskutieren auch über eine Vitamin-D-Supplementation bei jüngeren Erwachsenen in den Wintermonaten. Doch ist ein Nutzen einer solchen Maßnahme bislang nicht belegt. /
Zu viel Vitamin D ist auch nicht sinnvoll: Bei einer Überdosierung kann es zu Calciumablagerungen, Übelkeit, Erbrechen, einem gesteigerten Durstgefühl, erhöhtem Harndrang, Schwäche und Nierenversagen kommen. Darauf weist die Apothekerkammer Niedersachsen in einer Pressemeldung hin. Hoch dosierte Präparate, zum Beispiel Weichgelatinekapseln mit bis zu 20 000 I.E., dürfen nur einmal die Woche eingenommen werden.