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Masernimpfung

Informieren, nicht überreden

13.10.2017  14:47 Uhr

Von Barbara Erbe/ Wann immer hierzulande Kinder an Masern erkranken, entzünden sich die Gemüter schnell am Thema Impfung: Während einige Impfgegner mit Verschwörungstheorien aufwarten, fordern vehemente Befürworter sogar eine Impfpflicht. In Fachkreisen steht der Nutzen der Impfung außer Frage, aber man setzt lieber auf Überzeugung als auf Zwang.

»Die Masern sind keine harmlose Kinderkrankheit«, stellt Susanne Glasmacher vom Robert-Koch-Institut (RKI) im Gespräch mit PTA-Forum klar. Bis zu einem Drittel der gemeldeten Fälle werde im Durchschnitt im Krankenhaus behandelt, in einem von 1000 stirbt die oder der Betroffene an der Krankheit. »Das würden wir beim Lotto als eine gute Chance bezeichnen.«

Dass die Masern immer wieder als Kinderkrankheit bezeichnet werden, liege vor allem daran, dass sie hoch ansteckend sind, erklärt Glasmacher. Deshalb sind früher die meisten Menschen bereits als Kind daran erkrankt. »Prinzipiell können sich Jugendliche und Erwachsene aber genauso anstecken und tun das auch.« 2015 wurden dem RKI 2400 Fälle von Masern bekannt, 2016 waren es nur noch 325. Im laufenden Jahr sind es allerdings bis August schon wieder 866 gewesen.

Komplikationen gefährlich

Typische Kennzeichen von Masern sind Fieber, Kopfschmerzen, Lichtscheue, Husten und Bindehautentzündung. Nach zwei bis drei Tagen erscheinen auf der Wangenschleimhaut weiße ­Flecken, etwas später breitet sich vom Gesicht aus der bekannte Hautausschlag über den ganzen Körper aus. Es sind aber nicht die Flecken, die die ­Masern so gefährlich machen, sondern die Komplikationen, die oft mit der Krankheit einhergehen. Dazu gehören Bronchitis und Lungenentzündung, Mittelohrentzündung sowie in seltenen Fällen Gehirnentzündung oder sklerosierende Panencephalitis, eine Erkrankung des Zentralnervensystems.

Ob die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut (STIKO) eine Impfung empfiehlt oder nicht, hängt von zwei Faktoren ab. Erstens: Wie bedrohlich ist die Krankheit? Zweitens: Wie verträglich ist die Impfung? Im Fall Masern sprechen beide Faktoren eindeutig für den schützenden Piks, erklärt Glasmacher. »Die Krankheit birgt große gesundheitliche Risiken, und der Impfstoff ist seit den 1970er-Jahren erprobt und gut verträglich.«

Um die Zahl der Injektionen möglichst gering zu halten, empfiehlt die STIKO für Kleinkinder einen Mumps-Masern-Röteln-Kombinationsimpstoff, der idealerweise erstmals im Alter zwischen 11 und 14 Monaten und dann noch einmal im Alter zwischen 15 und 23 Monaten appliziert wird. Ein Kombinationsimpfstoff, so die STIKO, sei nicht schlechter verträglich als ein Einzelimpfstoff. Zudem sei das Immunsystem eines gesunden Kindes in diesem Alter schon sehr gut in der Lage, auf den Impfstoff zu reagieren. Kinder, die nicht geimpft wurden, können die zweistufige Impfung bis zum Alter von 18 Jahren nachholen – auch und gerade wenn eine Masernwelle »grassiert«.

Ungeimpften Erwachsenen, die nach 1970 geboren sind und die Masern deshalb vermutlich als Kind nicht hatten, rät die STIKO ebenfalls zu einer MMR-Impfung, die bei ihnen jedoch nur einmal gespritzt wird. Zum Einsatz kommen abgeschwächte, lebende Masern­viren, die die Krankheit nicht auslösen können, aber die Bildung von Antikörpern anregen. Schwangere dürfen allerdings trotzdem nicht geimpft werden. Deshalb sollten Frauen mit Kinderwunsch möglichst frühzeitig prüfen, ob ihr Impfschutz komplett ist. Sind sie gegen Masern immun, schützen sie automatisch auch ihr Kind in den ersten Lebensmonaten.

Milde Nebenwirkungen

Nach der Impfung kann die Haut an der Einstichstelle ein paar Tage lang ge­rötet sein, etwas warm und dick werden und leicht brennen. Da der Impfstoff die Infektion gewissermaßen nachahmt, kann etwa eine Woche nach der Impfung auch ein Unwohlsein, zum Beispiel mit Fieber und Kopfschmerzen, auftreten – die sogenannten Impfmasern. Sie verlaufen nach Informationen der Bundeszentrale für gesundheitlich Aufklärung »milde und gehen nach wenigen Tagen von selbst wieder weg. Sie sind nicht ansteckend«. Schwerwiegende Nebenwirkungen wie etwa schwere allergische Reak­tionen sind sehr selten, wie die Bundesärztekammer in ihren Informationsschriften betont. So sei eine Gehirnentzündung nach einer Masernimpfung in der Literatur nur in sehr seltenen Einzelfällen beschrieben.

Keinerlei Zusammenhang gibt es – trotz immer wieder geäußerter Vorwürfe – zwischen der MMR-Impfung und autistischen Störungen, das belegen zahlreiche wissenschaftliche Studien. Dies betont auch RKI-Sprecherin Glasmacher im Gespräch mit PTA-Forum. Grundlage dieses Verdachts war ein Artikel des britischen Arztes Andrew Wakefield aus dem Jahr 1998, der einen Zusammenhang zwischen der Masernimpfung und Autismus nahelegte. Er hatte allerdings lediglich zwölf Kinder untersucht und diese auch nicht nach dem Zufallsprinzip ausgewählt.

Überdies wurden Daten über den zeitlichen Abstand zwischen der Impfung und dem Auftreten von Anzeichen von Autismus gefälscht. Der Arzt war für seine Untersuchung von einem Anwalt beauftragt und bezahlt worden, der Eltern von Kindern mit Autismus vertrat. Wakefields Artikel wurde 2010 vollständig widerrufen, seine ärztliche Zulassung in Großbritannien wurde ihm aberkannt. Im Nachgang belegten diverse, qualitativ hochwertige internationale Studien, dass kein bedeutender Unterschied in der Häufigkeit des Auftretens von Autismus zwischen geimpften und un­geimpften Kindern besteht.

Ängste ernst nehmen

Auch wenn die Vorwürfe von Impf­gegnern einer wissenschaftlichen Prüfung nicht standhalten, lassen sich doch ­viele Menschen von zum Teil sehr emotional und manipulativ gestalteten Internetseiten radikaler Impfgegner verunsichern, meint die Psychologin Dr. Cornelia Betsch, die an der Universität Erfurt die Motive von Impf­skeptikern untersucht hat. Dazu kommt, dass die Masernimpfung teilweise auch ihrem eigenen Erfolg zum Opfer gefallen ist: Wer nie miterlebt hat, was diese Krankheit anrichten kann, nimmt die Gefahr, die von ihr ausgeht, auch weniger ernst – und konzentriert seine Skepsis eher auf die Folgen der Impfung als die der Krankheit.

Dennoch: »Wir müssen die Ängste und Gefühle, die das Thema Impfung auslösen kann, ernst nehmen«, betont Betsch. »Eltern sollen nicht das Gefühl haben, überredet zu werden. Sie haben ein Recht auf umfassende Informa­tionen und wünschen sich eben auch Informationen zu Risiken – nicht nur zur Sicherheit von Impfungen.« Sie rät, den wissenschaftlichen Konsens zu betonen, der im Bereich der Effektivität und Risikoabwägung zwischen Krankheit und Impfung herrsche. Schließlich hat Betsch noch einen wichtigen Hinweis: »Erklären Sie Ihrem Gegenüber das Prinzip des Gemeinschaftsschutzes, denn viele Menschen wissen nicht, dass sie dazu beitragen können, auch andere zu schützen.« Wenn der Großteil der Bevölkerung geimpft ist, sind auch diejenigen geschützt, die aus gesundheitlichen Gründen keine Impfung erhalten können, wie Krebspatienten, Schwangere oder wenige Wochen alte Säuglinge.

Verbindliche Impfberatung

Seit der endgültigen Ausrottung der Pocken im Jahr 1982 sind Schutz­impfungen in Deutschland grundsätzlich eine freiwillige Angelegenheit. Dahinter steckt der Gedanke, dass es jedem Bürger – im Sinne der grundgesetzlich garantierten körperlichen Unversehrtheit – selbst überlassen bleiben muss, was er mit seinem Leib und seiner Gesundheit anstellt.

Allerdings darf der Staat, um Leben und Gesundheit anderer Menschen vor einer schweren Gefährdung durch übertragbare Krankheiten zu schützen, durchaus in die körperliche Unversehrtheit Einzelner eingreifen – soweit die Maßnahmen verhältnismäßig sind, erklärt Oliver Ewald vom Bundesministerium für Gesundheit im Gespräch mit diesem Magazin.

In diesem Sinne ist auch das Präventionsgesetz von 2015 zu verstehen. Es schreibt unter anderem vor, dass Ärzte bei Routine-Gesundheitsuntersuchungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene und auch bei Jugendarbeitsschutzuntersuchungen besonders auf den Impfschutz hinweisen. Deshalb können seither auch Betriebsärzte allgemeine Schutzimpfungen vornehmen. Treten in einer Gemeinschaftseinrichtung wie einer Kita oder einer Schule die Masern auf, können die zuständigen Behörden ungeimpfte Kinder, Betreuer oder Lehrer vorüber­gehend ausschließen.

Beratung verpflichtend

Medizinische Einrichtungen dürfen die Einstellung von Beschäftigten vom Bestehen eines erforderlichen Impf- und Immunschutzes abhängig machen. Schließlich müssen sich alle Eltern, die ihr Kind in einer Tageseinrichtung betreuen lassen möchten, zuvor ärztlich zum Thema Impfen beraten lassen. »Diese Pflicht ist mit dem Gesetz zur Modernisierung der epidemiologischen Überwachung übertragbarer Krankheiten vom 17. Juli 2017 aktuell noch um eine Verpflichtung der Kindertageseinrichtungen ergänzt worden«, informiert Ewald. Sie sollen dem Gesundheitsamt diejenigen Eltern melden, die die geforderte ärztliche Beratung nicht nachweisen. »Das Gesundheitsamt kann sie so zu einer Beratung laden oder ein Bußgeldverfahren veranlassen.« Bei Notlagen, in denen eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und sich epidemisch auszubreiten droht, ermächtigt das Infektionsschutzgesetz das Bundesministerium für Gesundheit ohnehin, auch kurzfristig durch Rechtsverordnung zeitnah eine Impfpflicht zu regeln. /