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Ernährungsstudie

Mehr Fett, weniger Kohlenhydrate?

18.10.2017  10:17 Uhr

Von Maria Pues / Die Frage, wie man sich wirklich gesund ernährt, bewegt viele Menschen. Eine große Ernährungsstudie sorgte kürzlich für Aufsehen: Die Studienautoren raten zu mehr Fett und weniger Kohlenhydraten. Doch die Ergebnisse und die daraus abgleiteten Empfehlungen sind umstritten.

Wer seine Ernährung zu einem großen Prozentsatz aus Kohlenhydraten zusammensetzt, hat ein höheres Sterberisiko als jemand, der weniger Kohlenhydrate und stattdessen mehr Fette – auch gesättigte Fette – zu sich nimmt. Dies ist ein Ergebnis der PURE-Studie (PURE = Prospective Urban Rural Epidemiology), einer prospektiven Kohortenstudie. Sie scheint den Freunden von Kostformen mit niedrigem Kohlenhydrat-Anteil Recht zu geben. Auch sonst klingen die Ergebnisse nur zu plausibel, denn schließlich kann der reichliche Verzehr von Kohlenhydraten zu einem Typ-2-Diabetes und seinen Folgeerkrankungen führen. Aber ist es wirklich so einfach? Wohl nicht, denn es regt sich auch Kritik an der Studie.

Die Studie beeindruckt bereits durch ihren Umfang: Mehr als 200 Wissenschaftler befragten über 135 000 Teilnehmer zwischen 35 und 70 Jahren aus fast 640 Städten und Dörfern in 18 Ländern auf fünf Kontinenten. Die Untersuchung begann im Jahr 2003. Damals fragten die Forscher die Teilnehmer ausführlich nach deren Er­nährungsgewohnheiten und untersuchten den Gesundheitszustand. Sie suchten dabei Antworten auf die Frage, inwieweit die Verteilung der Nährstoffe in der Ernährung die Sterblichkeit der Teilnehmer beziehungsweise das Auf­treten kardiovaskulärer Ereignisse beeinflusst, also die Häufigkeit von Herzschwäche, Herzinfarkten und Schlaganfällen.

Einfluss auf Mortalität

Über einen Zeitraum von bis zu neun Jahren wurden die Teilnehmer wiederholt nach dem Auftreten solcher Ereignisse gefragt. Dabei zeigte sich, dass mit steigendem Anteil von Kohlenhy­draten in der Nahrung auch die Sterblichkeit steigt: In der Gruppe mit dem höchsten Kohlenhydrat-Verzehr lag sie 28 Prozent höher als in der Gruppe mit dem geringsten. Beim Fettverzehr waren die Verhältnisse genau umgekehrt: Die Sterblichkeit lag in der Gruppe mit dem geringsten Fettverzehr um 23 Prozent höher als in der Gruppe mit dem höchsten Fettverzehr. Eine Assoziation zwischen Kohlen­hydrat-Anteil und kardiovaskulären Ereignissen fanden die Forscher hingegen nicht.

Empfehlungen anpassen?

Die Studienautoren fordern daher, die weltweit gültigen Ernährungsempfehlungen entsprechend anzupassen. Der Fettanteil, auch für gesättigte Fette, sollte erhöht, der Kohlenhydrat-Anteil dagegen vermindert werden. Derzeit raten Ernährungsexperten allgemein zu einer Nährstoff-Zusammensetzung von 50 bis 55 Prozent Kohlenhydrate, 15 Prozent Eiweiß und 30 bis 35 Prozent Fett, davon maximal 10 Prozent gesättigte Fettsäuren. In der PURE-Studie betrug der Kohlenhydrat-Anteil in der Gruppe mit der höchsten Aufnahme dieses Nährstoffs 60 Prozent. Bei den Fetten waren es 35 Prozent in der Gruppe mit der höchsten Fettaufnahme. Die Studienergebnisse rechtfertigen jedoch keine allgemeine Empfehlung für Low Carb: Je nach Konzept beträgt hier die Kohlenhydrat-Zufuhr unter 10 Prozent bis maximal 45 Prozent.

Das Design der Studie lasse nicht zu, die Ernährungsempfehlungen zu ändern, kritisieren Experten der Society of Nutrition and Food Science und der Universität Hohenheim in einem ausführlichen wissenschaftlichen Kommentar und nennen eine ganze Reihe von Gründen. So seien etwa die Ernährungsgewohnheiten der Teilnehmer nur zu Beginn der Studie abgefragt worden, danach nicht mehr. Mögliche Änderungen konnten so nicht erfasst werden. Trends und Diäten (in reichen Ländern), aber auch die wechselnde Verfügbarkeit von Lebensmitteln (in armen Ländern) sind verschiedene Gründe, aus denen sich die Ernährungsgewohnheiten über die lange Dauer der Studie geändert haben könnten.

Auch das breite Spektrum der Länder lohnt eine nähere Betrachtung. So gehören zu den 18 Ländern in der Studie nur drei reiche Länder (Kanada, Schweden, Vereinigte Arabische Emirate). Zu den Ländern mit mittleren Einkommen gehörten unter anderem Argentinien, Iran und Polen, und zu den armen Ländern Bangladesch, Pakis­tan und Simbabwe. Der Grund für einen hohen Kohlenhydrat-Anteil und auch die Art der Kohlenhydrate sei jedoch in den verschiedenen Ländern unterschiedlich, so die Kritiker. In armen Ländern ist vor allem der Mangel an ande­ren Lebensmitteln dafür ver­antwortlich, dass Menschen viel Reis, Kartoffeln oder Getreide zu sich nehmen. In reichen Ländern spielen hingegen Nahrungsmittel mit hohem Zuckeranteil oder Zuckerzusatz eine wesentliche Rolle. Dabei muss es sich nicht unbedingt nur um Schokolade oder Gummibärchen handeln. Auch Fertigmüslis, Fruchtjoghurts und nicht zuletzt Fruchtsäfte und Limonaden haben einen nicht unwesent­lichen Anteil an der Ernährung in Industrieländern.

Darüber hinaus lasse die Konzen­tration auf nur drei Makronährstoffe zu viele Aspekte unberücksichtigt, kritisieren die Wissenschaftler weiter. So trügen auch Mikronährstoffe wie Vitamine­, Mineralien und Ballaststoffe wesentlich zur Gesundheit bei. Die Ernährung ärmerer Länder zeichne sich nicht nur durch einen hohen Anteil an Kohlenhydraten aus, sondern auch durch das Fehlen wichtiger anderer Lebens­mittel, die für ein funktions­fähiges Immunsystem wichtig sind. So stehen etwa in afrikanischen Ländern Infektionskrankheiten und Erkrankungen der Atemwege an erster Stelle der Liste der häufigsten Todesursachen, nicht jedoch kardiovaskuläre Ereig­nisse. Eine Abnahme der Sterblichkeit sei daher nur scheinbar durch einen gesteigerten Fettverzehr bedingt; dieser sei vielmehr Anzeichen für einen erhöhten Fleischverzehr, mit dem auch mehr Proteine und Mikronährstoffe aufgenommen werden.

Die zehn Ernährungs­regeln der DGE

  • Die Lebensmittelvielfalt genießen und dabei überwiegend pflanzliche Lebensmittel wählen
  • Obst und Gemüse – »5 am Tag«, das heißt mindestens drei Portionen Gemüse und zwei Portionen Obst
  • Vollkorn wählen
  • Die Auswahl mit tierischen Lebensmitteln ergänzen: Joghurt­ und Käse, dazu ein- bis zweimal die Woche Fisch und nicht mehr als 300 bis 600 g Fleisch wöchentlich
  • Gesundheitsfördernde Fette nutzen, zum Beispiel Rapsöl, verarbeitete Fette (etwa in Wurst, aber auch in vielen Süßwaren und Gebäck) vermei­den
  • Zucker und Salz einsparen
  • Am besten Wasser trinken (rund 1,5 Liter am Tag)
  • Nahrungsmittel schonend zubereiten
  • Achtsam essen und genießen
  • Auf das Gewicht achten und in Bewegung bleiben: 30 bis 60 Minuten moderate Bewegung täglich

Die vollständigen Empfehlungen: www.dge-ernaehrungskreis.de.

Auch weitere Auswertungen regionaler Ergebnisse zeigten laut des Kommentars ein interessantes Ergebnis, nämlich der Vergleich von asiatischen und nicht-asiatischen Ländern. So sei in den asiatischen Ländern entgegen dem Studien-Durchschnitt die Kohlenhy­drat-Zufuhr höher als in nicht-­asiatischen Ländern, die Sterblichkeit jedoch trotzdem niedriger.

Neue Regeln

Fast zeitgleich mit der PURE-Studie hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) neue überarbeitete Ernährungsregeln veröffentlicht (siehe Kasten). Auffallend ist, dass man explizite Empfehlungen für die prozentualen Anteile der Nährstoffe hier vergeblich sucht. Auch findet man einige Regeln, die mit der Ernährung an sich auf den ersten Blick gar nichts zu tun haben, etwa achtsam zu essen und sich regelmäßig zu bewegen. Diese Maßnahmen unterstützen aber das Ziel einer gesunden Ernährung: sich wohlzufühlen, leistungs­fähig zu sein und sich vital und voller Energie zu fühlen. Umgekehrt gesagt: Eine Mahlzeit, nach der man sich schlapp, lustlos und müde fühlt, kann nicht geeignet sein, den Körper auf Dauer gesund zu halten.

Rat für Patienten

Was sollen PTA und Apotheker Kunden und Patienten raten, die mög­licherweise über die Medien von den Ergebnissen dieser oder anderer Stu­dien erfahren haben und in der Apotheke um Rat fragen? Denn nicht zuletzt bei gesundheitlichen Problemen wollen Patienten in der Hoffnung auf Besserung ihrer Beschwerden ihre Ernährung umstellen und ihre Erkrankung so positiv beeinflussen. Handelt es sich dabei um Ernährungsempfehlungen, die aus einer Studie abgeleitet wurden, gilt der erste prüfende Blick der Zusammensetzung der Studienteilnehmer. Bei diesen handelt es sich häufig um Gesunde. Empfehlungen aus solchen Unter­suchungen lassen sich daher selten auf Patienten, insbesondere solche mit Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 2 oder Fettstoffwechselstörungen, übertragen.

Besonders für Patienten mit Grunderkrankungen und Menschen mit einer Veranlagung für bestimmte Erkrankungen ist es wichtig, langfristig nicht nur mit den Makronährstoffen, sondern auch mit allen Mikronährstoffen versorgt zu sein. Dabei muss auch bedacht werden, dass manche Erkrankungen, aber auch Pharmakotherapien zu Resorptions- oder Verarbeitungsstörungen von Nährstoffen führen können. Ein Beispiel ist etwa die Eisenaufnahme bei Patienten mit chronischer Gastritis.

Dass für Patienten mit Typ-2-Diabetes nicht nur die Menge der Kohlen­hydrate, sondern auch ihre Art eine wichtige Rolle spielt, ist allgemein bekannt. Aber welcher Patient hat schon etwas von resistenter Stärke gehört (siehe Kasten)? Interessant ist vor allem die retrogradierte Stärke, die sich beim Abkühlen stärkehaltiger Lebensmittel bildet. Sie wird zu einem gewissen Teil nicht verdaut und liefert dem Körper weniger Kilokalorien. Es macht zum Beispiel einen Unterschied, ob man Kartoffeln heiß verzehrt oder erst nach dem Abkühlen, etwa als Kartoffelsalat – aber ohne Mayonnaise. Generell gilt auch: Nur was Pflanzen und Tiere im Wachstum aufnehmen, kann später im Salat und im Schnitzel auch enthalten sein. Auf »Klasse statt Masse« zu achten und wertzuschätzen, was auf den Teller kommt, zahlt sich daher langfristig aus.

In der Apotheke reicht eine Empfehlung, die allein die Anteile der Makronährstoffe umfasst, nicht aus. Apothekenkunden und Patienten benötigen meist eine individuelle Beratung, die die Besonderheiten ihrer Erkrankung und/oder ihrer Therapie berücksichtigt. /

Resistente Stärke

Man unterscheidet drei Formen der resistenten Stärke:

  • Physikalisch resistente Stärke (RS1): Stärke, die für die Verdauungs­enzyme unangreifbar ist, da sie in in­takten Pflanzenzellen eingeschlossen ist (zum Beispiel in ganzen oder grob geschroteten Getreide­körnern)
  • Resistente Stärkegranula (RS2): Amylose­reiche, native Stärke, die aufgrund der Anordnung ihrer Stärkeketten und Stärke­körner nicht abgebaut werden kann (zum Beispiel in rohen Kartoffeln, rohem Mais oder grünen Bananen)
  • Retrogradierte Stärke (RS3): Stärke, die beim Abkühlen nach dem Er­hitzen durch Kristallisation der Stärkekomponenten Amylose und Amylopektin in stärkehaltigen Lebens­mitteln entsteht (zum Beispiel in Kartoffeln, Reis, Nudeln oder Brotkruste)

Quelle: www.eatsmarter.de