PTA-Forum online
Temperatur-Therapie

Heilen mit Wärme und Kälte

30.10.2018  12:14 Uhr

Von Edith Schettler / Kalte Essigsocken, Quarkauflagen oder warme Kartoffelwickel haben seit jeher einen festen Platz in der Selbstbehandlung von leichten gesundheit­­l­ichen Beschwerden. Einfacher und mindestens so effektiv ist hier der Einsatz von Medizin­produkten.

Der Körper nimmt Umgebungstemperaturen über Thermo­rezeptoren in der Haut und den Schleimhäuten des Verdauungstraktes wahr. Axone, das sind Ausläufer von Nervenzellen, liegen nahe der Ober­fläche der Epidermis und bilden in Abhängigkeit­ von der Temperatur ­bestimmte Aktionspotenziale. Die zuge­hörigen Nervenfasern leiten diese elek­trischen Impulse weiter bis zu den ­Spinalganglien oder den Ganglien der Hirn­ner­ven. Dort erfolgt die entsprechende Antwort auf den Temperaturreiz, beispielsweise auch »Finger weg – heiß!«. 

Die Thermorezeptoren unterscheiden sich in Kalt-, Warm- und Hitze-Rezep­toren. Letztere bilden das Aktionspotenzial erst bei Temperaturen im schmerzhaften Bereich, in der Regel über 43 °C. Weil sie auch auf schmerzhaften Druck oder gewebsschädigende Reize antworten, tragen sie auch die Bezeichnung »polymodale Nozizeptoren«. Kalt- und Warmrezeptoren hingegen erzeugen ständig Impulse, solange die Temperatur konstant ist. Die Frequenz dieser Aktionspotenziale ändert sich aber sprunghaft, sobald die Temperatur einen Minimalwert unter- (Kaltrezep­toren) oder einen Maximalwert überschreitet (Warmrezeptoren). Dabei arbei­ten die Rezeptoren sehr sensibel und erkennen Temperaturunterschiede von wenigen Zehntelgraden.

 

Auf einem Quadratzentimeter Hautfläche befinden sich mehrere Kalt- und Warmrezeptoren. So ist die Nase mit zehn Kaltpunkten und einem Warmpunkt am empfindlichsten, während­ am Oberarm und am Oberschenkel nur halb so viele Thermo­rezeptoren pro cm2 liegen.

 

Als homöothermer Organismus hält der Körper seine Temperatur auf einem gleichbleibenden Niveau. Alle enzymatischen Reaktionen im Inneren des menschlichen Körpers können nur inner­halb eines optimalen Temperaturintervalls ungestört ablaufen. Deshalb bleibt die Körperkerntemperatur des Menschen relativ stabil bei 37 °C, während die Temperatur der Körper­peripherie abhängig von der Außentemperatur ist. Um eine Überhitzung oder eine Unterkühlung zu vermeiden, verfügt der Organismus über mehrere Regulationsmechanismen. Das Zen­trum der Thermoregulation befindet sich im Hypothalamus, der für die Aufrecht­erhaltung der Homöostase zustän­digen Hirnregion. Hier werden neben der Körpertemperatur auch der Blutdruck und die osmotische Konzen­tration der Körperflüssigkeiten überwacht.

 

Das Entstehen einer Gänsehaut bei Kälte ist noch ein Andenken an die Zeiten­, als ein Fell die Körperoberfläche bedeckte, dessen Haare sich bei Bedarf aufrichten konnten und mit der ein­geschlossenen Luft eine Isolierschicht bildeten. Seit die Bekleidung diese Funktion übernommen hat, benötigt der Mensch diesen Reflex eigentlich nicht mehr, er hat sich jedoch als Rudiment erhalten. Der zweite Regulationsmechanismus beruht auf einer Stei­gerung der Wärmeproduktion in den Muskeln. Durch das Kältezittern produziert die Muskulatur vermehrt Wärme, die jedoch erst dann im Körperinneren wirksam wird, wenn sich die Muskeln selbst erwärmt haben. Über eine Verengung der Blutgefäße in der Peripherie, den dritten Mechanismus, wird der Wärmeverlust des Körpers am wirkungs­vollsten herabgesetzt. Die inneren Organe bleiben gut durchblutet, während die äußere Körperschicht nur sparsam mit Blut versorgt wird. Somit gelangt die Kälte nur in geringem Ausmaß in tiefere Schichten.

 

Gut versorgtes Gewebe

Liegt nun die Umgebungstemperatur oberhalb unserer peripheren Körper­temperatur, muss sich der Organismus vor Überhitzung schützen. Diesem Ziel dient in erster Linie die Arbeit der Schweißdrüsen. Der Schweiß verdunstet auf der Haut und erzielt so einen wirksamen Kälte­effekt. Durch eine gesteigerte Hautdurchblutung wird vermehrt Wärme nach außen geführt­, sämtliche Blut­gefäße in der Peripherie werden zu diesem Zweck erweitert.

Mit Hilfe von gezielt lokal auf­gebrachter Kälte oder Wärme können diese Regulationsmechanismen bewusst für einen gewünschten therapeutischen Effekt genutzt werden. Ziel der Anwendung von Wärme ist es, die Blutgefäße zu erweitern. Das be­han­delte Gewebe wird so besser mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt und der Abtransport von Stoffwechselendprodukten gefördert. Alle Er­krankungen, die mit einer Anreicherung saurer Stoffwechselendprodukte einhergehen, sprechen deshalb be­sonders gut auf eine Behandlung mit Wärme von außen an. Dazu zählen vor allem chronische Entzündungen, aber auch der akute Muskelkater.

 

Kälteanwendungen hingegen ver­ringern den Querschnitt der Blutge­fäße. Dabei dichten die Gefäßwände besser ab, und aus dem Blut kann kein Gewebswasser mehr austreten, was der Ent­stehung von Ödemen ent­gegenwirkt. Die Anwendung von Kälte nach Ver­letzungen hilft deshalb am meisten, bevor sich Ödeme bilden. Ist der Knöchel erst einmal dick, ist es besser­, ihn hochzulegen und die Durchblutung nicht zu behindern, denn im Blut zirkulieren für die Heilung wich­tige Enzyme. Erst wenn sich der verletzte Körperteil zunehmend erhitzt, ist vorsichtiges Intervallkühlen angebracht.

 

Produkte zum Kühlen

Neben der Verengung der Blutgefäße hat eine Kühlung noch weitere Effekte. Sie blockiert die Schmerzrezeptoren der Haut, setzt die schmerzauslösenden Nervenimpulse herab, und in der Folge lässt der Schmerz nach. Eine Absenkung der Temperatur um zehn Grad bremst zudem biochemische Reaktionen auf die halbe Geschwindigkeit ab, zum Beispiel die Bildung von Entzündungs- und Schmerzmediatoren wie Prostaglandinen, aber auch die Produktion von Wundheilungsfaktoren und Immunzellen.

Eine Kälteanwendung ist aus diesen Gründen besonders wirksam bei Entzündungen und Verbrennungen, nach Insektenstichen, Operationen und Sportverletzungen. Experten raten dazu, in Intervallen zu kühlen. Wenn sich die Haut kühl, aber nicht eiskalt anfühlt, sollte eine Pause eingelegt werden. Erst wenn sich die Haut wieder erwärmt hat, wird weiter gekühlt. Soweit möglich, sollte der behandelte Körperteil in der Kühlpause schonend bewegt werden, um Gewebeflüssigkeit abzutransportieren. So verringern sich Ödeme, und die für die Heilung wichtige Durchblutung gerät nicht ins Stocken. Pro Tag werden zwei Kälteanwendungszyklen mit jeweils zwei bis vier Kühl­intervallen empfohlen. Für Patienten mit arteriellen Durchblutungs­störungen, offenen Wunden oder Haut­erkrankungen, schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Sensibilitätsstörungen eignen sich Kälteanwendungen nicht.

 

Am praktischsten für den Einsatz zu Hause sind Gelkompressen, beispielsweise aponorm® Kalt & Warm Kompresse­ oder Dahlhausen Kalt-/Warm-Kompressen. Sie enthalten in einem­ Polyamid- oder Polyethylen­beutel ein Spezialgel aus Wasser, Propylen­glykol, einem Gelbildner, Natrium­hydroxid, einem Konser­vierungs- und einem Farbstoff. Sie können sowohl im Kühlschrank oder im Gefrierfach gekühlt oder in heißem Wasser oder der Mikrowelle erwärmt werden und lassen sich bis zu 100-mal wiederverwenden. Gelkompressen, die im Gefrierschrank vorgekühlt wurden, sollen entweder im mitgelieferten Vliesstoffbeutel oder mit einem Tuch umhüllt auf die Haut gelegt werden, um keine Kälteschäden zu riskieren. Nach Gebrauch können sie mit Wasser und Spülmittel gereinigt und am besten gleich wieder im Kühl- oder Gefrierschrank aufbewahrt werden, damit sie stets einsatzbereit sind.

Für unterwegs haben sich Kälte­kissen bewährt wie die WEPA® Kälte- Sofort-Kompresse oder die Sofort-Kälte­-Kompresse von Holthaus Medical. In diesen Produkten sind zwei durch eine Membran getrennte Kammern­ vereint, von denen die eine Wasser und die andere eine Substanz enthält, die sich endotherm in Wasser löst wie beispielsweise Ammonium­nitrat oder Harnstoff. Wird die Trennwand zwischen beiden Kammern durch Kneten des Beutels zerstört, vermischen sich die Substanzen und die (Salz-)Kristalle lösen sich unter Energieverbrauch. Die Lösung bleibt bis zu 20 Minuten kalt, der Vorgang ist irreversibel.

 

Zur Anwendung bei Zahnungsbeschwerden von Babys und Kleinkindern sind Eis-Beißringe, zum Beispiel NUK® Extra Cool Beißring oder Baby-Frank® Eisbeißerle vorgesehen. Sie bestehen aus einem Ringkörper aus Polyethylen oder Silikon, der mit sterilem Wasser gefüllt ist. Die Beißringe werden im Kühlschrank vorgekühlt und nach Gebrauch nur feucht gereinigt, Auskochen ist nicht möglich.

 

Etwas aus der Mode gekommen ist die Anwendung von Eisbeuteln und Eiskrawatten, beispielsweise von Dr. Junghans. Diese Hohlbehälter aus Gummi werden mit einer Eis-Wasser-Mischung gefüllt und sind entsprechend den anatomischen Gegebenheiten des vorgesehenen Anwendungsortes in verschiedenen Formen erhältlich.

Sich warm halten

Die Anwendung von Wärme ist bei chronischen Schmerzen infolge von rheumatischen Erkrankungen oder Arthro­se, bei Muskelverspannungen oder Muskelkater zu empfehlen. Die aufgebrachte Wärme fördert die lokale Durchblutung und bedingt einen schnelleren Abtransport von sauren Stoffwechselendprodukten. So wird der Stoffwechsel angeregt, die Bildung von Abwehrzellen angekurbelt und damit das Immunsystem gestärkt. Muskeln und Sehnen entspannen sich, die Empfindsamkeit der Nerven nimmt ab, was Schmerzen lindert und oft auch gänzlich be­seitigt.

 

Das klassische Produkt zur Anwendung von trockener Wärme ist die Wärmflasche, die vermutlich in keinem Haushalt fehlt. Den Gummihohlbehälter gibt es mit glatter Oberfläche, einseitig oder zweiseitig lamelliert. Die Lamellen dienen als Isolierschicht und schützen die Haut vor zu großer Hitze. Den gleichen Zweck erfüllen Hüllen aus textilem Material in den verschiedensten Farben und Formen. Die Hersteller empfehlen, die Wärmflasche in der Mitte zu falten und 60 bis 70 °C heißes Wasser bis zum Verschluss einzufüllen. So ist die Wärmflasche mit der richtigen Menge und ohne Luftpolster gefüllt. Schöne und umweltfreundliche Wärmflaschen aus nachwachsenden Rohstoffen und ohne Weichmacher gibt es zum Beispiel von Hugo Frosch (Made in Germany) und von der Fashy GmbH.

Naturmoor und Bienenwachs

Mindestens genauso beliebt, vor allem bei Kindern, sind die mit den unterschiedlichsten Körnern gefüllten Kissen. Das älteste von ihnen ist vermutlich das Kirschkernkissen, das Ausgrabungen in Münster zufolge bereits im Mittelalter verwendet worden sein soll. Für die Neuzeit wiederentdeckt haben es wohl Schweizer Frauen in einer Spirituosen­fabrik, denen die bei der Produktion von Kirschlikör übrig gebliebenen Kerne zu schade zum Wegwerfen waren. Heute sind die Kissen mit Getreidekörnern (Dinkel, Roggen, Weizen) oder Obstkernen (Traubenkerne, Kirschsteine) gefüllt und in vielen verschiedenen Formen und Größen­ zu haben. Sie können im Backofen bei 100 °C oder mit einem Glas ­Wasser zusammen in der Mikrowelle ­erwärmt oder aber auch im Kühlschrank oder Gefrierfach gekühlt werden. Körnerkissen, deren Heilwirkung ausgelobt wird, müssen als Medizinprodukte zertifiziert sein, wie Dr. Junghans® Kirschkernkissen.

 

Moor- und Fangopackungen (zum Beispiel Sachsenfango Kompresse) ent­halten Naturmoor oder mineralischen Vulkanschlamm in einer textilen Kompresse, die in heißem Wasser erwärmt, ausgedrückt und aufgelegt wird. Diese Produkte haben den Vorteil, dass sie die Wärme sehr lange speichern und nach Trocknung wieder verwendbar sind. Gegen die Anwendung von Naturmoor spricht die Tatsache, dass dessen Gewinnung einen groben Eingriff in die Natur bedeutet. Für die Behandlung von Nervenschmerzen, zum Beispiel durch Trigeminus-Neuralgie, Lymphdrüsenschwellungen oder Mumps sind sie jedoch sehr gut geeignet. Sie können aber auch zur Kältebehandlung von Gichtanfällen und Venenentzündungen oder als fiebersenkender ­Wickel verwendet werden. Dazu temperiert der Anwender die feuchte Kompresse im Kühlschrank.

 

Ein Produkt zur Vertiefung der eigenen Körperwärme ist der Bienenwachswickel (beispielsweise Wickel & Co® von der Bahnhofapotheke Kempten). Die Auflage trägt zur Muskelent­spannung bei und lindert fest sitzenden Husten. Die Bienenwachsplatte wird vor der Anwendung weich geföhnt, direkt auf die Haut gelegt und hält die ganze Nacht warm.

 

Wärmeauflagen wie beispielsweise ThermaCare® erzeugen eine konstante, lang anhaltende therapeutische Tiefenwärme von etwa 40 °C über einen Zeitraum von acht Stunden. Ihre Wärmezellen enthalten Eisen, Salz, Aktivkohle und Wasser. Nach dem Öffnen der Verpackung verbinden sich diese Inhaltsstoffe mit dem Sauerstoff, der einen exothermen Oxidationsprozess in Gang setzt. Wärmepflaster hingegen (zum Beispiel Gotha­plast Capsi-med Wärme­pflaster) enthalten durchblutungs­fördernde Wirkstoffe wie Nonivamid oder Cayennepfeffer-Extrakt und gehören damit, wie auch die Wärme­salben, zu den Arzneimitteln. /