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Frieren

Sensibler Schutzmechanismus

30.10.2018  12:14 Uhr

Von Carina Steyer / Frieren ist ein Schutzmechanismus des Körpers, der mit einfachen Maßnahmen meist schnell behoben werden kann. Tritt das Kältegefühl wiederholt oder unge­wöhnlich stark auf, können Infekte, Durchblutungs­­störungen oder hormonelle Erkrankungen die Ursache sein.

Es gibt sie, die Menschen, die selbst bei einstelligen Temperaturen noch gemütlich im T-Shirt durch die Gegend spazieren. Anderen hingegen reicht schon der Blick aufs Thermometer, um ins Schaudern zu geraten. Das Empfinden von Kälte ist subjektiv und wird von zahlreichen Faktoren beeinflusst. Dazu gehören das Geschlecht, der Stoffwechsel, der Blutdruck und das Gewicht beziehungsweise die Dicke der Fettschicht sowie der aktuelle Gesundheitszustand und bestehende Müdigkeit. Darüber hinaus spielen auch die Gene eine Rolle. So sind Bewohner kalter Regionen oft wesentlich kälteresistenter als Mitteleuropäer.

Verantwortlich für den Wärmehaushalt des menschlichen Körpers und die Aufrechterhaltung einer weitgehend konstanten Körpertemperatur ist die Thermoregulation. Mit rund 30 000 Kälte- und 3000 Wärme­rezeptoren in der Haut, thermosen­sorischen Fasern im Bauchraum und thermosensitiven Neuronen im Rückenmark wird permanent der aktuelle Temperatur-Ist-Wert überprüft und mit dem Temperatur-Soll-Wert abgeglichen. Melden die Thermo­­re­zeptoren einen Abfall der Umgebungs­temperatur, reagiert der Körper sofort.

Das Temperaturzentrum liegt im Hypo­thalamus. Von hier aus werden alle reflex­artig verlaufenden physiologischen Anpassungsreaktionen ge­steuert. Dazu gehört als Erstes das Zusammenziehen und Verengen der Blutgefäße in Fingern, Händen, Füßen­, Zehen­, Nase und Ohren. Das Blut wird stattdessen vermehrt ins Körperinnere geleitet, wo es warm bleibt und die lebens­wichtigen Or­gane versorgt. Als nächstes erhöht sich die Muskelaktivität bis zum Zittern. Diese deutlich spürbare Maßnahme steigert die Wärme­produktion bis auf das Doppelte. Als Relikt aus Urzeiten bildet sich oft noch eine Gänsehaut. Sie stammt aus der Zeit als der Mensch noch Fell hatte und das Aufstellen der Haare vor einem weiteren Wärmeverlust schützen sollte.

Zu wenig Fettgewebe

Säuglinge haben ein ungünstiges Körper­oberfläche-Volumen-Verhältnis, wo­­durch viel Wärme abgegeben wird. Gleichzeitig besitzen sie wenig isolierendes Fettgewebe und nur wenig Muskelmasse, die für das wärme­erzeugende Zittern zudem noch viel zu schwach ist. Um dennoch nicht aus­zukühlen, nutzt der kindliche Organismus einen besonderen Mechanismus. Er produziert Wärme durch die Oxi­dation von Fettsäuren in den Zellen des braunen Fettgewebes. Lokalisiert ist diese spezielle Form des Fettgewebes hauptsächlich im Nacken, zwischen den Schulterblättern, über den Schlüsselbeinen, an den Achseln und um die Nieren. Kurz nach der Geburt macht sein Anteil noch bis zu 5 Prozent des Körpergewichts eines Neugeborenen aus und geht mit zunehmendem Alter sukzessive zurück. Bis vor wenigen Jahren gingen Wissenschaftler davon aus, dass Erwachsene kein braunes Fett­gewebe mehr besitzen würden. Inzwischen konnte jedoch das Gegenteil bewiesen­ werden. Auch bei Erwachsenen existieren noch braune Fettzellen. Deren Anzahl und Aktivität scheint aber ind­i­viduell sehr unterschiedlich zu sein.

Aktive Unterstützung

Das bewusste Empfinden von Kälte und das unangenehme Gefühl des Frierens­ treten erst ein, wenn das Signal­ über die Temperaturabweichung an die Hirn­rinde weitergeleitet wurde. Ziel ist es nun, die Minimierung der Wärme­abgabe und die Maximierung der Wärme­produktion aktiv durch das menschliche Verhalten zu unterstützen.

Wer friert, greift automatisch zu zusätzlicher Kleidung. Eine einfache Maßnahme, die bereits vorbeugend effektiv vor Wärmeverlust schützen kann. Ideal ist es, wenn mehrere dünne Kleidungsschichten übereinander angezogen werden. Die Luft zwischen den einzelnen Lagen isoliert und speichert die Wärme. Dasselbe Prinzip kommt auch bei grob gestrickten Wollpullovern zum Tragen. Bei sportlichen Aktivitäten im Freien raten Experten, für die äußerste Schicht ein winddichtes und wasser­abweisendes Material zu wählen. Die unteren Schichten sollten atmungs­aktiv und schweißabsorbierend sein. Um dem Wärmeverlust über den Kopf entgegenzuwirken, wird das Tragen einer­ Mütze empfohlen. An den Füßen isoliert und wärmt eine Luftschicht am besten, Winterschuhe sollten deshalb nicht zu eng sitzen. Zusätzliche Wärme spenden dicke Socken oder Einlagen aus Lammfell. Wer trotz aller Tipps immer­ noch friert, kann auf Hightech-Funktionskleidung setzen. Beheizbare Socken wärmen kalte Füße, aufblas­bare Jacken können in Abhängigkeit von Körper- und Umgebungstemperatur reguliert und so jederzeit individuellen Bedürfnissen angepasst werden.

Braunes Fett aktivieren

Im Winter gilt zudem: Wer in Bewegung bleibt, friert weniger schnell. Statt bei eisigen Temperaturen starr vor Kälte auf den nächsten Bus zu warten, ist es besser, mit den Füßen auf und ab zu wippen. Kalte Hände kann man aufwärmen, indem man die Arme in großen Kreisen schwingt. Auch sitzende­ Tätigkeiten führen eher zum Frieren. Ein flotter Spaziergang in der Mittagspause regt die Durch­blutung an und wärmt dadurch. Experten raten außerdem zu Sport, Wechselbädern, Saunagängen und Kalt-Warm-Duschen. Sie alle trainieren das Gefäß­system, wodurch die Durchblutungsregulation verbessert und die Haut anpassungsfähiger wird. Zudem wird das braune Fettgewebe stärker aktiviert, wenn man sich öfter in der Kälte aufhält. In der traditionellen chinesischen Me­dizin (TCM) spielt das Temperaturempfinden eine wichtige Rolle, und ein stärkeres Kälteempfinden wird oft durch bestimmte­ Ernährungsgewohnheiten erklärt. Demnach frieren Menschen, die viel Salat, Obst und Milchprodukte essen­, stärker, da diese als kühlende Lebens­mittel gelten. Laut der TCM helfen in diesem­ Fall Speisen mit Ingwer, Pfeffer und Knoblauch. Auch heiße Getränke oder Gerichte mit Chili spenden bekanntlich Wärme. Das liegt vor allem daran, dass im Bereich von Mund, Nase und Lippen­ besonders viele Thermo­rezeptoren liegen, die sowohl durch heiße­ Getränke als auch durch scharfe Gewürze aktiviert werden und ein Wärmegefühl erzeugen. Dass Alkohol wärmt, ist hingegen ein Trugschluss. Zwar erzeugt er ebenfalls kurzfristig ein Wärmegefühl, erweitert dann aber die Blut­gefäße und kühlt den Körper dadurch ab.

Auch wenn sich das Kälteempfinden von Mensch zu Mensch unterscheidet, raten Mediziner, bei permanentem oder übermäßigem Frieren ohne erkenn­bare Ursache einen Arzt zu konsultieren. Eine ausgeprägte Kälteempfindlichkeit gilt zwar nicht als patho­logisch, kann aber durchaus das Symptom­ einer Erkrankung sein. So verlangsamt sich bei einer Schild­drüsenunterfunktion der gesamte Stoffwechsel, was dazu führt, dass Betroffene­ ständig frieren. Abhilfe schafft dann nur die Substitution von Schilddrüsenhormonen. Essstörungen können­ dazu führen, dass dem Körper zu wenig Energie zur Verfügung steht, um ausreichend Wärme zu produ­zieren. Im Fall der Anorexie haben Betroffene häufig kaum noch Unterhautfettgewebe. Ihnen fehlt die Isolationsschicht nach außen.

Ein auf­steigendes Kältegefühl, das von Zittern oder einer Gänsehaut begleitet werden kann, tritt in seltenen Fällen auch als Symptom eines epileptischen Anfalls auf. Ein örtlich begrenztes Kältegefühl, das nur im Bereich der Füße oder Hände auftritt, weist oft auf eine Durch­blutungsstörung hin.

Infektionserreger, Im­munreaktio­nen und Tumoren produzieren sogenannte pyrogene Mediatoren. Diese Signalstoffe verschieben den Sollwert der Körpertemperatur nach oben. Der Körper reagiert wie bei einem Abfall der Umgebungstemperatur, der Betroffene beginnt zu frieren und entwickelt Fieber. Nicht zuletzt kann auch Stress das Temperaturzentrum beeinflussen. So werden Angst und Aufregung häufig auch von Frieren begleitet. /