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Antidiabetika

Achtung, Unterzuckerung!

09.11.2015  13:37 Uhr

Von Verena Arzbach / Eine schwere akute Unterzuckerung ist der Albtraum vieler ­Diabetiker. Denn eine Hypoglykämie, die zum ­Beispiel durch eine Überdosis Insulin oder unter Einnahme ­insulinotroper Antidiabetika entstehen kann, hat im Extremfall schwerwiegende Folgen. Auch andere Arzneistoffe, die der ­Diabetiker zusätzlich ­einnimmt, können das Risiko einer Stoffwechselentgleisung beeinflussen.

Bei einer Unterzuckerung wird der sympathische Teil des Nervensystems aktiviert. Sinkt der Blutzuckerspiegel zu stark ab, schüttet der Körper die Botenstoffe Adrenalin und Noradrenalin aus. Diese binden an β2-Rezeptoren in der Leber und fördern dort die Freisetzung und Neubildung von Glucose, um den Blutzuckerspiegel wieder anzuheben. Die Botenstoffe binden allerdings auch an β1-Rezeptoren, die vor allem im Herz vorkommen. Das sorgt für Warnzeichen wie Unruhe, Zittern und Herzklopfen. Für Schwitzen, Hunger und Gefühlsstörungen wie Kribbeln ist dagegen der Neurotransmitter Acetylcholin verantwortlich.

Üblicherweise sprechen Mediziner bei Blutzuckerwerten von weniger als 50 mg/dl beziehungsweise 2,8 mmol/l von einer Hypoglykämie. Die Sympathikus-bedingten Symptome treten vor allem zutage, wenn der Blutzuckerspiegel schnell abfällt. Sie sollen den Betroffenen warnen: Der Körper be­nötigt jetzt dringend Glucose. Bei einem langsameren Abfall des Blut­zuckerspiegels treten vor allem Symptome für die Unterzuckerung des ­Gehirns auf, etwa Schwächegefühl, Denk- und Sehstörungen. Bei Blutzuckerwerten unter 30 mg/dl (1,7 mmol/l) kommt es zu Krämpfen und Bewusstlosigkeit, der Patient benötigt dann sofort ärztliche Hilfe.

Diabetiker, die insulinotrope Antidia­betika wie Sulfonylharnstoffe oder ­Glinide einnehmen oder die Insulin spritzen, haben ein erhöhtes Risiko für Hypoglykämien. Bekommen sie zusätzlich einen Betablocker verordnet, zum Beispiel gegen ihre arterielle Hyper­tonie, kann das eine fatale Kombina­tion sein. Die Betablocker können die Warnsignale einer Unterzuckerung maskieren. Die Wirkstoffe blockieren β1-Rezeptoren, und so bleiben Zittern, Nervosität, Herzklopfen oder ein schneller Pulsschlag bei niedrigem Blutzuckerspiegel aus. Die Hemmung von β2-Rezeptoren verzögert den Blutzuckeranstieg außerdem. So können Hypoglykämien stärker verlaufen und länger andauern. Das Warnsymptom Schwitzen, das über Acetylcholin vermittelt wird, kann sich allerdings verstärken. Darauf sollten PTA oder Apotheker Patienten, die Arzneistoffe aus diesen beiden Gruppen einnehmen, im Beratungsgespräch unbedingt hinweisen.

Bevorzugt selektive Betablocker

Die beschriebene Wechselwirkung tritt vor allem bei der Einnahme nicht-selektiver Betablocker auf, die gleichermaßen an beide β-Rezeptortypen binden. Beispiele sind etwa Propranolol und Timolol. Letzteres kommt vor allem in Augentropfen zur Senkung des Augen­innendrucks zum Einsatz und kann auch über diesen Applikationsweg eine Wechselwirkung hervorrufen. Sogenannte kardioselektive Betablocker, zum Beispiel Metoprolol, Atenolol und Bisoprolol, binden selektiver an β1-Rezeptoren, weshalb das Risiko einer Wechselwirkung deutlich reduziert ist. Sie sollten deshalb bevorzugt bei Diabetikern zum Einsatz kommen.

Auf einen Blick

  • Unselektive Betablocker können Warnsymptome einer Hypo­glykämie maskieren und ihre Dauer ver­längern.
  • Relevant ist die Wechselwirkung für Diabetiker, die Insulin spritzen oder insulinotrope orale Anti­diabetika einnehmen.
  • Glucocorticoide lassen den Blut­zuckerspiegel ansteigen. Aus einer Glucosetoleranzstörung kann ein manifester Diabetes entstehen.
  • Bei Diabetikern muss die Dosis der Antidiabetika eventuell angepasst werden. Patienten sollten ­ihren Blutzuckerspiegel unter Glucocorticoiden eng­maschig kontrollieren.

Einen Hinweis sollten PTA und ­Apotheker im Beratungsgespräch nicht vergessen: Der Diabetiker muss für den Fall der Fälle schnell verfügbare Kohlenhydrate zur Hand ­haben, zum Beispiel Traubenzucker, eine Zuckerlösung aus der Tube oder zuckerhaltige Getränke. Mit länger wirksamen Kohlenhydraten, zum Beispiel aus Brot, kann er die Speicher wieder auffüllen. Häufige Blutzuckerkontrollen helfen Patienten dabei, niedrige Glucosewerte recht­zeitig zu bemerken.

Glucocorticoide beeinflussen den Glucosestoffwechsel auf andere Weise: Sie verschlechtern die Glucoseverwertung, stimulieren die Produktion von Glucose in der Leber und senken die Empfindlichkeit peripherer Gewebe wie der Muskulatur gegenüber Insulin. Daher steigt der Blutzuckerspiegel bei einer Therapie mit Glucocorticoiden an. Diabetiker, egal ob sie mit oralen Antidiabetika oder Insulin behandelt werden, müssen deshalb vorsichtig sein: Die Glucocorticoide wirken entgegengesetzt und verschlechtern die blutzuckersenkende Wirkung der Medikamente. Hier muss der Arzt eventuell eine Dosisanpassung vornehmen. In einigen Fällen kann es auch nötig sein, dass prädiabetische Patienten eine antidiabetische Behandlung jetzt beginnen müssen, um die erhöhten Blutzuckerwerte zu kompensieren. In jedem Fall sollten Diabetiker oder Patienten mit einer Glucosetoleranzstörung ihren Blutzucker während der Corticoid-Therapie bestenfalls täglich überprüfen.

Unterschiedliche Wirkung

Bei den Glucocorticoiden gibt es Unterschiede bezüglich ihrer Wirkung auf den Blutzuckerspiegel: 9α-fluo­rierte Corticoide wie Triamcinolon, Betamethason und Dexamethason steigern den Blutzuckerspiegel am stärksten. Bei der topischen Applikation gibt es in der Regel keine Auswirkungen auf den Blutzuckerspiegel zu befürchten. Bei der inhalativen Anwendung von Glucocorticoiden ist ein Blutzuckermonitoring nur erforderlich, wenn die Glucocorticoide sehr hoch dosiert werden. /

Im Notfall schnell handeln

Im Falle einer milden Hypoglykämie, bei der der Patient leichte Symptome verspürt, aber noch selbst reagieren kann, reicht meist die Zufuhr von rund 20 g Kohlenhydraten aus. Bei einer schweren Unterzuckerung, bei der der Patient zwar noch bei Bewusstsein ist, aber nicht mehr selbstständig Gegenmaßnahmen ergreifen kann, braucht der Betroffene zügig 30 g schnell verfügbare Kohlenhydrate.

Eine Broteinheit (BE) entspricht 12 g Glucose und erhöht den Blutzuckerspiegel um etwa 40 mg/dl. Bei einer akuten Hypoglykämie sollten Diabetiker 2 bis 3 BE zu sich nehmen; zum Beispiel fünf Plättchen Dextro-Energen, zwölf Gummibärchen, eine Tube Zuckerlösung (zum Beispiel Jubin®) oder 240 ml Cola.

Bei einer schweren Hypoglykämie mit Bewusstlosigkeit benötigt der Patient umgehend ärztliche Hilfe. Begleiter sollten daher unverzüglich den Notarzt rufen. Falls vorhanden, sollten sie Glucagon subkutan oder intramuskulär verabreichen. Als Gegenspieler von Insulin sorgt das Hormon Glucagon für einen schnellen, kurzfristigen Blutzuckeranstieg. Ist der Patient danach wieder ansprechbar, sollte er zügig etwa 30 g Glucose und später eine kleine kohlenhydratreiche Mahlzeit zu sich nehmen.