Reset-Knopf für ein gesünderes Leben |
13.11.2018 10:30 Uhr |
Von Barbara Erbe / Magenoperationen erzielen bei der Behandlung von Adipositas große Erfolge – nicht nur beim Gewichtsverlust, sondern vor allem im Kampf gegen Folgeerkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck. Das betonen auch die Fachgesellschaften in der in diesem Jahr überarbeiteten Leitlinie zur Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen.
Weltweit sterben heute mehr Menschen an den Folgen von Übergewicht als an Hunger, berichtet Professor Dr. Jürgen Ordemann, Leiter des Zentrums für Adipositas und Metabolische Medizin am Helios Klinikum Berlin-Buch, im Gespräch mit PTA-Forum. Obwohl sich die Problematik in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch verschärft habe, würden noch immer viel zu oft die Betroffenen allein für ihre Krankheit verantwortlich gemacht. »Dabei ist Adipositas eine chronische Erkrankung, die gleichermaßen von der genetischen Disposition wie von einem weitverbreiteten, ungesunden Lebensstil befördert wird, den die wenigsten einfach so ablegen können.«
Zu dieser Unterschätzung des Krankheitscharakters von Adipositas gehörte lange Zeit auch die Geringschätzung der bariatrischen Chirurgie, betont das Beiratsmitglied der Deutschen Adipositas Gesellschaft (DAG). Deshalb hinke Deutschland hier international noch immer hinterher. »In Frankreich, der Schweiz oder Belgien etwa wird fünf Mal so häufig operiert wie bei uns, und das sehr erfolgreich.« Aufgrund der wachsenden Erfolge von Magenoperationen und dadurch, dass nun auch die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) in vielen Situationen ausdrücklich zur Operation rät, ist die bariatrische Chirurgie inzwischen aber auch hierzulande im Kommen.
Grundsätzlich kommen zur Behandlung von Adipositas vier verschiedene Magenoperationen infrage: das Magenband, der Schlauchmagen, der Magenbypass und der Omega-Bypass. Alle Operationen werden minimal invasiv durchgeführt. Das sogenannte Magenband ist die am wenigsten eingreifende Variante: Ein Band aus Silikon wird um den oberen Teil des Magens gelegt. So bildet sich ein kleiner Vormagen, der nur wenig Nahrung aufnehmen kann. Das führt dazu, dass Adipositas-Betroffene schneller satt werden. Da das Silikonband mit einer Kochsalzlösung gefüllt ist, kann es mithilfe einer Spritze und eines Ports auch nach der Operation enger oder weiter gestellt werden. Zudem lässt es sich auch wieder entfernen.
Die Magenband-OP sei ein Vorreiter unter den Magenoperationen gewesen, werde aber heute eher selten durchgeführt, sagt Professor Dr. Dieter Birk, Chefarzt an der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie im Krankenhaus Bietigheim und Präsidiumsmitglied der DGAV. Das liege daran, dass viele Betroffene aufgrund des Suchtcharakters der Adipositas die Einschränkungen des Magenbands unterlaufen hätten, beispielsweise, indem sie über den Tag verteilt sehr viele kleine Mahlzeiten oder kalorienreiche Getränke zu sich nahmen. »Außerdem ist das Magenband ein relativ großer Fremdkörper, der sich auch verschieben oder einwachsen kann.« Magenbänder eignen sich demnach hauptsächlich für junge, sehr motivierte Patienten, nicht zuletzt deshalb, weil sich sie ohne Weiteres wieder entfernen lassen.
Schlauchmagen und Bypass
Wirksamer als ein Magenband sind nach den Erkenntnissen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) der Schlauchmagen, der Magenbypass und der Omega-Bypass. Bei der Schlauchmagen-OP werden mehr als drei Viertel des Magens abgetrennt und entfernt – danach ähnelt seine Form einem Schlauch. Der Schlauchmagen kann nur noch zwischen 80 und 120 Milliliter Volumen aufnehmen, ein normaler Magen fasst ungefähr 1,2 bis 1,8 Liter. Ein weiterer Vorteil der Schlauchmagen-OP ist, dass dabei der Teil des Magens entfernt wird, in dem appetitanregende Hormone wie Ghrelin gebildet werden. Dank des verkleinerten Magens und einer Änderung der Hormonsekretion könnten die adipösen Patienten nach der Operation in den meisten Fällen das suchtartige Essverhalten durchbrechen, das sich bei ihnen aufgrund eines allgegenwärtigen Überangebots an hochkalorischen Lebensmitteln entwickelt hat, so Ordemann.
Weltweit am häufigsten wurde bisher der sogenannte Magenbypass durchgeführt. Hierbei wird ebenfalls ein kleiner Vormagen (Pouch) gebildet, der mit einer Dünndarmschlinge verbunden wird. Somit wird ein Großteil des Magens und ein Teil des Dünndarms aus der Nahrungspassage ausgeschlossen. »Dies führt zu erheblichen Veränderungen neuronaler und humoraler Sättigungs- und Appetitstrukturen«, erklärt Adipositas-Experte Ordemann. Die Patienten haben weniger Hunger und werden früher satt.
Ein weiteres OP-Verfahren ist das Legen eines Omega-Bypasses, auch Mini-Bypass genannt. Dabei wird wie beim Magenbypass ein Pouch gebildet, der etwas größer ausfällt als beim Standardbypass. An diesen Pouch wird eine Dünndarmschlinge fixiert. Eine weitere Verbindung wie beim Magenbypass ist beim Omega-Bypass nicht erforderlich.
Die hormonellen Veränderungen, die Schlauchmagen, Magen- und Omega-Bypass im Körper auslösen, zügeln nicht nur den Appetit, sondern beeinflussen auch den Stoffwechsel. »Wir sprechen von metabolischer Chirurgie: Sie wirkt nicht nur gegen Adipositas, sondern vor allem auch gegen Folgeerkrankungen wie Diabetes und Bluthochdruck, von denen viele Menschen mit Adipositas betroffen sind«, erklärt Ordemann. Die Patienten hätten nach der Operation ein neunmal geringeres Risiko, an Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu sterben als vorher. Sie bekämen durch die metabolische Chirurgie den Schlüssel für ein gesünderes Leben in die Hand, betont Ordemann. »Das ist wie ein Reset-Knopf.« Viele Menschen fänden nach der Operation und dem damit einhergehenden Gewichtsverlust wieder zu einem aktiveren Leben. Sie fühlten sich nicht nur körperlich fitter, sondern ließen auch phlegmatische Verhaltensweisen und depressive Stimmungen hinter sich, die zum Krankheitsbild der Adipositas dazugehören.
Es würden im deutschen Gesundheitssystem Milliarden zur Behandlung der über 60 Folgekrankheiten der Adipositas ausgegeben, darunter Diabetes, Arthrosen und Bluthochdruck, gibt Birk zu bedenken. »Aber die Genehmigung der zweifellos effektivsten Behandlung der starken Adipositas, nämlich der Operation, wird weiterhin durch die Kostenträger erschwert.« Das müsse sich ändern, fordert er: »Wir müssen handeln und dürfen nicht warten, bis Folgeschäden auftreten.«
Kleine Portionen
Mindestens ebenso wichtig wie die Operation ist die Nachbetreuung. In den ersten Wochen nach einer Magenverkleinerung kann zunächst nur flüssige und weiche Kost, etwa Brühe, Joghurt und Püriertes, gegessen werden. Allgemein empfiehlt es sich, nunmehr nur noch kleine Portionen langsam zu essen und gut zu kauen. Auch sollten die Patienten nicht gleichzeitig essen und trinken, um den Magen nicht zu überdehnen. Fette und zuckerreiche Lebensmittel können vor allem nach einem Magenbypass zu Verdauungsproblemen, Völlegefühl, Übelkeit, Herzrasen, Schwitzen oder Konzentrationsstörungen führen. Alkohol wird vom Körper schneller aufgenommen und sollte mit äußerster Vorsicht genossen werden.
Die Vitamin- und Nährstoffversorgung ist lebenswichtig. Vor allem nach einer Magenbypassoperation kann der Verdauungstrakt Vitamine und Nährstoffe nicht mehr so gut aufnehmen. Um Mangelerscheinungen vorzubeugen, ist es deshalb nötig, dauerhaft Nahrungsergänzungsmittel, beispielsweise mit Calcium, Vitamin D, Vitamin B12, Folsäure, Eisen, Selen und/oder Zink einzunehmen.
Im ersten Jahr nach einer Operation sollten die Patienten alle drei Monate zur Kontrolle und Nachsorge gehen und dort unter anderem ihr Blut untersuchen lassen. Im zweiten Jahr reiche in der Regel eine halbjährliche und ab dem dritten Jahr eine jährliche Kontrolle, rät Ordemann. Um zu verhindern, dass der Körper neben Fett- auch Muskelmasse abbaut, empfiehlt sich eine eiweißreiche Ernährung und regelmäßige Bewegung beziehungsweise Sport.
Starker Gewichtsverlust führt schließlich auch oft dazu, dass sich Hautfalten und hängende Hautlappen bilden, die von vielen Betroffenen als unschön und belastend empfunden werden. Eine Hautstraffung wird von den gesetzlichen Krankenkassen allerdings nur bei medizinischen Problemen wie Infektionen, Ausschlägen oder starker psychischer Belastung bezahlt. /
Wer profitiert von der Operation?
Gemäß der aktuellen Leitlinie zur Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen ist eine Magenoperation angezeigt, wenn: