Chancen für eine vollständige Heilung |
25.11.2016 14:29 Uhr |
Von Edith Schettler / Das Hodgkin-Lymphom ist eine bösartige Gewebeneubildung in den Lymphknoten. Da die Erkrankung anfangs oft beschwerdefrei verläuft, wird sie meist zufällig oder in einem späten Stadium entdeckt. Unbehandelt führt sie zum Tod. Aufgrund sehr effektiver Therapien können jedoch die meisten Patienten geheilt werden.
Der britische Arzt und Pathologe Thomas Hodgkin (1798–1866) beschrieb im Jahr 1832 erstmals die seltene Krankheit, die ihm zu Ehren auch als Morbus Hodgkin bezeichnet wird. Nachdem der Pathologe in seiner Funktion als Konservator am Guy’s Hospital in London entartete Lymphknoten untersucht hatte, hielt er seine Erkenntnisse schriftlich fest. Seine Präparate werden dort noch heute aufbewahrt.
Geschwollene Lymphknoten, die nach Alkoholgenuss schmerzen, sind ein typisches Merkmal der Krankheit.
Foto: Shutterstock/Adam Gregor
Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts liegt der Anteil der Hodgkin-Lymphome unter allen Krebsneuerkrankungen bei 0,4 Prozent. Daher zählt Morbus Hodgkin zu den eher seltenen Krankheiten. Im Jahr 2008 erkrankten in Deutschland rund 2000 Erwachsene daran, etwa doppelt so viele Männer wie Frauen. Im Kindesalter ist die Erkrankung noch seltener: Etwa 150 Kinder und Jugendliche erkranken hierzulande jährlich an Morbus Hodgkin.
Die Krankheit beginnt bei der Mehrzahl der Patienten im dritten Lebensjahrzehnt. Einige wenige Betroffene nehmen die ersten Symptome im Alter zwischen 60 und 70 Jahren wahr. Bei Kindern macht sich die Krankheit meist zwischen dem 10. und 14. Lebensjahr bemerkbar, jedoch erkranken sie in den Industriestaaten sehr viel seltener als Erwachsene. In den Entwicklungsländern hingegen sind die meisten Patienten Kleinkinder und auch dort stets deutlich mehr Jungen als Mädchen.
Das weiße Blut
Das lymphatische System wird in die lymphatischen Organe und die Lymphbahnen unterteilt. Die primären lymphatischen Organe sind der Thymus und das Knochenmark, deren Aufgabe die Bildung und Differenzierung der B- und T-Lymphozyten ist. Als sekundäre lymphatische Organe werden die Milz, die Lymphknoten und die Lymphfollikel der Schleimhäute bezeichnet. Dazu zählen die Peyer’schen Plaques, die Tonsillen und der Wurmfortsatz des Blinddarms. Sie sind für die Vermehrung der Lymphozyten und den Antigenkontakt im Verlauf der Immunantwort zuständig.
Zu den Lymphbahnen gehören die Lymphkapillaren und die Lymphgefäße. Sie sammeln die Lymphflüssigkeit im Gewebe und leiten sie zu den Blutgefäßen. Die Lymphknoten filtrieren die Lymphflüssigkeit, hier halten hauptsächlich Lymphozyten und Makrophagen Antigene zurück.
Bei einer Infektion spült der Lymphstrom aus dem Gewebe Antigene in das Innere des nächstliegenden Lymphknotens. Das Vorhandensein körperfremder Proteine regt dort die Differenzierung der Lymphozyten in T-, Plasma- und Gedächtniszellen an. Mit der Lymphflüssigkeit gelangen diese Immunzellen weiter zu den lymphatischen Organen und vermitteln die Abwehrreaktion des Körpers.
Lymphknoten sind im Ruhezustand 5 bis 10 Millimeter groß. Werden sie aktiviert, vergrößern sie sich etwa auf das Doppelte und nehmen eine kugelförmige Gestalt an. Liegen sie beispielsweise an Kopf und Hals, in der Achselhöhle, der Leiste oder in der Kniekehle, kann man sie ertasten. Lymphknoten im Bauchraum und in der Brusthöhle sind auch dann nicht tastbar.
Unklare Ursachen
Morbus Hodgkin entsteht, wenn bestimmte Zellen des lymphatischen Gewebes entarten, insbesondere die B-Lymphozyten. Das Lymphom beginnt meist mit einer Vergrößerung der Lymphknoten am Hals, in den Achseln oder in der Leiste, aber auch im Brust- oder Bauchraum. Da sie keine Schmerzen verursachen, bemerken die Patienten diese Schwellungen nicht. Nach Alkoholgenuss jedoch schmerzen die geschwollenen Lymphknoten häufig. Das ist ein wichtiges diagnostisches Merkmal, weil der sogenannte Alkoholschmerz nur beim Hodgkin-Lymphom auftritt und nicht bei anderen Krankheiten, bei denen die Lymphknoten anschwellen.
Nach Thomas Hodgkin, der im 19. Jahrhundert die seltene Erkrankung beschrieb, wurde das Hodgkin- Lymphon benannt.
Foto: akg-images/ Science Photo Library/National Library of Medicine
Wie alle Tumorerkrankungen beeinträchtigt auch der Morbus Hodgkin die Leistungsfähigkeit der Patienten: Sie sind häufig müde und nehmen ohne erkennbare Ursache ab. Fieber, Nachtschweiß und Juckreiz können ebenso auftreten, sowie Leber oder Milz sich vergrößern.
Zur Diagnostik zieht der Arzt zunächst das Blutbild heran, das sich im Falle eines Hodgkin-Lymphoms deutlich verändert: Die Zahl der eosinophilen Granulozyten ist erhöht, die der Thrombozyten, Erythrozyten und Leukozyten jedoch mehr oder weniger stark vermindert. Bei der Untersuchung einer Gewebeprobe aus den Lymphknoten fallen vor allem die sogenannten einkernigen Hodgkin-Zellen und die mehrkernigen Reed-Sternberg-Riesenzellen auf. Diese Zellen sind die eigentlichen Krebszellen. Es sind entartete B-Lymphozyten, die sich rasch vermehren und somit das Volumen der Lymphknoten vergrößern.
Was zur Entartung der Lymphozyten führt, ist bislang nicht vollständig erforscht. Wissenschaftler haben einen Zusammenhang zwischen einer Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus und dem Hodgkin-Lymphom gefunden: Das Pfeiffersche Drüsenfieber erhöht das Risiko, später an einem Hodgkin-Lymphom zu erkranken, um den Faktor 3. Allerdings infiziert sich fast jeder Mensch im Laufe seines Lebens mit dem als onkogen geltenden Epstein-Barr-Virus, ohne jedoch zwangsläufig am Pfeifferschen Drüsenfieber zu erkranken. Auch das HI-Virus und verschiedene Chemikalien wie diverse Holzschutzmittel, aber vor allem Tabakrauch, stehen im Verdacht, Morbus Hodgkin zu begünstigen oder auszulösen. Statt auf die Erforschung der Ursachen konzentrieren sich Wissenschaftler zurzeit darauf, die Therapie dieser seltenen Erkrankung zu verbessern.
Effektive Therapie
Der Verlauf wird nach der Ann-Arbor-Klassifikation in die vier Stadien I bis IV unterteilt. Als Grundlage dient der Grad der Ausbreitung der befallenen Lymphknoten über die einzelnen Körperregionen. Anhand verschiedener Diagnoseverfahren wie Ultraschall, Röntgen, Computertomographie und Knochenmarkpunktionen können Ärzte das Erkrankungsstadium des jeweiligen Patienten feststellen. Diese Kenntnis ist wichtig für die Therapie.
Unabhängig vom Krankheitsstadium besteht die Basis der Behandlung aus Chemotherapie und Bestrahlung. Die Zusammensetzung der Chemotherapie und die Strahlendosis sind jeweils abhängig vom Stadium der Erkrankung, dem Alter des Patienten sowie vorliegenden Risikofaktoren. Zu diesen zählen beispielsweise eine bestimmte Tumorgröße oder das Wachstum von Tumorzellen außerhalb der Lymphknoten. Doch Chemo- und Strahlentherapie schädigen nicht nur die Lymphomzellen, sondern unter anderem auch die empfindlichen Keimzellen, also Spermien und Eizellen. Daher besteht für Männer im fortpflanzungsfähigen Alter vor Therapiebeginn die Möglichkeit, Spermien einfrieren zu lassen. So können sie nach erfolgreicher Therapie einen Kinderwunsch realisieren.
Empfehlungen für die Therapie gibt unter anderem die Deutsche Hodgkin-Studiengruppe (DHSG). Seit 1978 sammelt die DHSG Daten aus mehr als 400 Zentren, in denen mehrere tausend freiwillige Patienten an Studien zur Optimierung der Therapie teilnahmen und -nehmen. Derzeit liegt der Fokus der Forschung vor allem auf einer Minimierung der Nebenwirkungen.
Zur Behandlung des Morbus Hodgkin kombinieren Ärzte meist Chemo- und Strahlentherapie.
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Als besonders wirksam hat sich die Kombination verschiedener Zytostatika erwiesen. Erwachsene erhalten in den Stadien I und II der Krankheit die Kombination aus Adriamycin, Bleomycin, Vinblastin und Dacarbazin. In den Stadien III und IV verabreichen Ärzte zusätzlich Cyclophosphamid, Etoposid, Procarbazin und Prednison, Dacarbazin entfällt. Bei Kindern passen Ärzte die Therapie an das Alter an und im Gegensatz zur Behandlung Erwachsener erfolgt die Therapie geschlechtsspezifisch. Dafür stehen Adriamycin, Dacarbazin, Cyclophosphamid, Procarbazin, Prednison und Vincristin zur Verfügung.
An die Chemotherapie schließt sich eine Strahlentherapie an. Auch hier legen die Ärzte die Dosis individuell für jeden Patienten fest. In manchen Fällen genügen ausschließlich Bestrahlungen.
Gute Heilungschancen
Spricht der Patient gut auf die Behandlung an und erleidet innerhalb von 12 Monaten keinen Rückfall, sind seine Aussichten auf vollständige Heilung sehr gut. Laut DHSG liegt die Fünf- Jahres-Überlebensrate bei 90 Prozent. Dabei ist es unerheblich, in welchem Stadium die Krankheit diagnostiziert wurde, selbst für Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung ist die Prognose gut, für Kinder sogar noch besser. Nach Angaben der DHSG lebten 95 Prozent der kleinen Patienten, die ihre Diagnose 1994 erhielten, noch im Jahr 2003. Die Aussicht auf Heilung ist für keine andere Krebserkrankung so gut.
Trotz der stadiengerechten Therapie erleiden manche Patienten ein Rezidiv. Dann ist als Ergänzung zur Chemo- und Strahlentherapie die Transplantation von Stammzellen möglich. Bleibt auch diese erfolglos, können Ärzte Brentuximab Vedotin (Adcetris®) einsetzen. Dieser Wirkstoff gehört zu den modernen Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten, die ein Zytostatikum mit Antikörpern gezielt in den Tumor transportieren. Adcetris® kam 2012 im vereinfachten Zulassungsverfahren als Orphan Drug in der Europäischen Union auf den Markt. In ersten Studien führte diese Therapie für 34 Prozent der Patienten zu einem vollständigen Verschwinden der Tumorzellen. Deshalb fand der Arzneistoff im Jahr 2013 Eingang in die Therapieleitlinien der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) zur Behandlung und Nachsorge von Erwachsenen mit Hodgkin-Lymphom.
Manche Patienten fragen in der Apotheke nach komplementären Behandlungsmethoden. Während der Chemotherapie sollten PTA und Apotheker von der Einnahme von Ginkgo-, Ginseng- oder Echinacea-Präparaten abraten, weil diese die Behandlung ungünstig beeinflussen. Zudem rät die ärztliche Leitlinie von einer Misteltherapie ab. Alle alternativen Verfahren zur Immunstärkung bergen bei Tumoren des Lymphsystems das theoretische Risiko, auch das Wachstum der Krebszellen anzuregen. /