PTA-Forum online
Das Lymphsystem

Kompetenter Entsorger

25.11.2016  14:29 Uhr

Von Gudrun Heyn / Das Lymphsystem lässt sich stark vereinfacht als körpereigenes Transportsystem beschreiben. Zugleich erfüllt es wichtige Aufgaben für das Immunsystem. Es nimmt überschüssige und mit Abbauprodukten angereicherte Gewebeflüssigkeit auf, filtert diese in speziellen Stationen und stellt Immunzellen bereit.

Gemessen an seiner Bedeutung für die Gesundheit, ist das Lymph­system recht unbekannt. Nur wenige Menschen kennen seine vielfältigen Funktionen. Nahezu unbemerkt entsorgt es den »Abfall« des Körpers, gefährliche Krankheits­erreger und Tumorzellen.

Ist dieser ­Abtransport gestört, können schmerzhafte und stark beeinträchtigende Lymphödeme entstehen. Andere ­Erkrankungen des Lymphsystems sind beispielsweise Mandelentzündung (Tonsillitis) und maligne Lymphome. Um seine vielfältigen Aufgaben erfüllen zu können, verfügt das Lymph­system über eigene Gefäße, eigene Organe und Gewebe. Dazu gehören Lymphknoten und Mandeln, aber auch Thymus und Milz. Die Lymphe selbst ist eine klare, leicht gelbliche Flüssigkeit. Sie entsteht in den Zellzwischenräumen und nimmt die Stoffwechselprodukte aus den Zellen auf. Das anfallende ­»Abwasser« kann darüber hinaus Zelltrümmer, entartete Zellen, Krankheitserreger und Schadstoffe enthalten.

Die Lymphgefäße sorgen für deren Abtransport und für die Entwässerung des Körpergewebes. Ähnlich wie die Venen sind die Lymphgefäße mit zahlreichen Klappen ausgestattet, sodass der Lymphtransport nur in eine Richtung erfolgt.

Transport mit System

Sobald sich die Gewebeflüssigkeit in einem Lymphgefäß befindet, heißt diese Lymphe. Bis zu 10 Liter fließen täglich durch das Gefäßsystem. Sammelt sich bei Entzündungen oder schweren Krank­­heiten viel Flüssigkeit in den Zellzwischenräumen an, ist diese Menge noch wesentlich größer.

Im Unterschied zu den Blutgefäßen bilden die Lymphgefäße kein geschlossenes System, sondern viele enden »blind« im Gewebe und nehmen die Gewebeflüssigkeit auf. Diese leiten sie dann über ein Netzwerk von Lymph­kapillaren in klappenhaltige Sammelgefäße, die sich zu immer größeren Lymphbahnen vereinigen. Dieser Vorgang geschieht in der Haut (subkutanes Sammelgefäßsystem), tiefer im Gewebe, um Gelenke, Nerven und Muskeln zu drainieren (subfazielles Sammelgefäßsystem), und auch parallel zu den Blutgefäßen der Organe (viszerales Lymphgefäßsystem).

Erst seit Kurzem ist bekannt, dass selbst im ­Gehirn Lymphgefäße existieren. In ­zwischengeschalteten Lymphknoten wird die Lymphe gefiltert und gereinigt, sodass am Ende nur etwa 2 bis 3 Liter Lymphe übrig bleiben. Über die großen Lymphstämme gelangt diese Menge in Herznähe in die Venen. Auf diese Weise erhält das Blut Nährstoffe wie Eiweiße wieder zurück.

Eine besondere Transportaufgabe erfüllen die Lymphgefäße des Dünndarms. An der Leber vorbei transportieren sie Nahrungsfette aus dem Darm zum größten Lymphgefäß des Körpers, dem sogenannten Ductus thoracicus. Von dort gelangt die fetthaltige Lymphe in den Blutkreislauf.

Gestörter Abfluss

Wenn Gefäße des Lymphsystems die anfallende Flüssigkeit nicht mehr abtransportieren können, bildet sich ein Lymphödem. Ursachen des gestörten Abflusses können angeborene Fehl­bildungen, das Wachstum von Tumoren aber auch die Folgen ärztlicher Eingriffe sein. So leidet beispielsweise ein Drittel aller Brustkrebspatientinnen nach einer Strahlentherapie, der Entfernung der Brust oder nach Ausräumung der Lymphknoten in der Achselhöhle unter den Folgen eines Lymphödems.

Lymphödeme entstehen häufig an Armen oder Beinen. Doch auch andere Körperteile können betroffen sein, wie die Genitalien oder Kopf und Hals. Bleibt ein Lymphödem un­behandelt, sammelt sich eiweißreiche und mit Stoffwechselprodukten an­gereicherte Flüssigkeit nach und nach im Gewebe an. Auf diese Weise schwillt das Ödem mit der Zeit monströs an.

Zudem lösen Proteine und Stoffwechselprodukte chronisch entzünd­liche Prozesse aus, die zu Umbauvorgängen im Gewebe führen. Aufgrund von neu gebildetem, überschüssigem Bindege­webe verhärtet und verdickt sich die Haut irreversibel. Die Folge sind starke Bewegungseinschränkungen, manchmal auch schlecht heilende Wunden.

Entstauungstherapie

Suchen Menschen mit einer unförmigen Schwellung Rat und Hilfe in der Apotheke, sollten PTA oder Apotheker zum Arztbesuch raten, damit dieser die genaue Ursache des Ödems abklärt. Lymphödem-Kranke benötigen dann möglichst früh eine spezielle Behandlung durch einen Physiotherapeuten. Die komplexe physikalische Entstauungstherapie (KPE) ist die Behandlung der Wahl. Sie besteht aus einer manuellen Lymphdrainage, die nur speziell ausgebildete Therapeuten durch­führen dürfen, einer Kompressions­therapie und gezielter Bewegung. Die Kompressionsbehandlung beginnt in der Regel mit Kompressionsbinden. Nach Rückgang der Schwellung verordnen Ärzte den Patienten dann häufig andere Kompressionsmateri­alien nach Maß, wie Kompressionsstrümpfe, -handschuhe oder -ärmel.

Entwässernde Arzneimittel sind bei Lymphödem dagegen kontraindiziert. Denn die Gabe eines Diuretikums kann die Eiweißkonzentrationen im Gewebe erhöhen und dadurch chronische Entzündungen fördern. Auch pflanzliche Venentherapeutika eignen sich nicht zur Behandlung von Lymphödemen.

Die Hautpflege hat einen wichtigen Stellenwert in der Therapie von Lymphödemen, da die betroffene Haut zu Entzündungen und Infektionen neigt. Durch die gestörte Hautbarriere ist sie häufig trocken, rissig und dünn, die Kompressionsmaterialien belasten sie noch zusätzlich.

Die Hautbarriere schützen

Zur Körperhygiene sollten die Kranken milde Reinigungsprodukte mit hautfreundlichem pH-Wert verwenden. Badezusätze und Duschöle mit rückfettender Wirkung schützen die Haut vor dem Austrocknen. Patienten mit Lymphödemen sollten mit den entsprechenden Produkten möglichst zweimal wöchentlich duschen oder baden, rät Dr. Nora Wroblewski von der Charité Berlin. Sorgfältiges Abtrocknen, insbesondere in den Hautfalten, verringert die Gefahr, dass sich Bakterien oder Pilze ansiedeln. Zur Pflege der trockenen Haut am Ödem sind W/O-Emulsionen mit natürlichen Feuchthaltefaktoren wie Urea (5 bis 10 Prozent) und barrierebildenden Lipiden wie Cholesterol oder Ceramide geeignet.

Bei der Empfehlung eines Pflegeproduktes sollten PTA oder Apotheker berücksichtigen, dass Lymphödem-Kranke mit chronischen Wunden zu 60 bis 80 Prozent eine Kontaktsensibilisierung entwickeln. Diese tritt beispielsweise häufig auf nach Anwendung von Produkten, die Perubalsam oder Wollwachs­alkohole enthalten. Aber auch Präparate mit Arnika oder Ringelblume können in Frage kommen. Die Kranken sollten ihre Haut am besten zweimal täglich ein­cremen und dabei die Produkte in Richtung Körpermitte streichen, um den Lymphabfluss zu unterstützen.

Immunabwehr

An vielen hundert Stellen im Netzwerk der Lymphgefäße verlangsamen kleine bohnenförmige Lymphknoten den Lymphfluss. Diese befinden sich vor allem in der Leisten- und Achselgegend, im Bauch- und Brustraum und in Hals und Kopf, wo sich Lymphgefäße vereinigen (siehe auch Grafik). In den Lymph­knoten ändert sich die Zusammensetzung der Lymphe. Einen Teil des Lymphwassers nehmen die benachbarten Blutgefäße auf, und Immunzellen sorgen für die Rei­nigung der zurück­gebliebenen Flüssigkeit. Anschließend transportieren immer größer werdende Gefäße die so gereinigte Lymphe weiter ab.

Der Lymphtransport durch die Lymphknoten hat für die Immunabwehr enorme Bedeutung, denn in den Lymphknoten trifft die Lymphe mit ihrer Fracht an Zelltrümmern, Krankheitserregern, gif­tigen Abbauprodukten und anderen Schadstoffen auf Makrophagen, die die ankommenden Fremdstoffe zerlegen. Erkennen die Fresszellen eine Gefahr, weil ihre Rezeptoren auf Antigene der Fremdstoffe reagieren, schütten sie entzündungsfördernde Botenstoffe aus und präsentieren die fremden Antigene auf ihrer Zellober­fläche. Dies führt zur Aktivierung von Zellen der spezifischen ­Immunabwehr, den Lymphozyten, die daraufhin reifen und sich vermehren, ­sowie zur Bildung von Antikörpern. Mit der abfließenden Lymphe gelangen Lymphozyten und Antikörper in die Venen und darüber in den gesamten Körper.

Lymphozyten

Die Lymphozyten gehören zum spezi­fischen Immunsystem. Im Gegensatz zu den Zellen des angeborenen Immunsystems richten sich Lymphozyten ganz spezifisch nur gegen ein ihnen ­bekanntes Antigen. Ihre Reaktionen erfolgen schnell und sehr effektiv. Wenn sie sich nach Kontakt mit einem Erreger zu spezifischen Immunzellen ent­wickeln, ist der Mensch gegen diesen meist ein Leben lang immun. Gebildet werden die B- und ­T-Lympho­zyten in Form sogenannter Vor­läuferzellen im Knochenmark. Als ­naive, also noch Antigen-unerfahrene Zellen wandern sie im Lauf ihrer Entwicklung zu den Lymphknoten und ­anderen lymphatischen Organen wie der Milz, den Mandeln oder den Payerschen Plaques. Dort verharren sie, bis Immunzellen wie die Makrophagen ­ihnen neue Antigene präsentieren. ­Sobald dies geschieht, vermehren und spezialisieren sie sich.

Noch unreife B-Lymphozyten ­entwickeln sich zu Plasmazellen oder Gedächtniszellen weiter. Während sich die Gedächtniszellen über lange Zeit merken, welche Antigene in den Körper eingedrungen sind, übernehmen die Plasmazellen die humorale (Körper­flüssigkeit betreffende) Immunantwort: Sie sind die Produzenten der Immunglobuline. Diese Glykoproteine heißen auch Antiköper, da sie an Antigene binden und dadurch Fremdsubstanzen unschädlich machen oder weitere Abwehrmechanismen auslösen. Viele Jahre nach einem Infekt oder einer Impfung ist Immunglobulin G (IgG) noch im Blut nachweisbar und schützt vor einer erneuten Infektion. Das Immunglobulin A (IgA) nehmen Säuglingen bereits mit der Muttermilch auf.

T-Lymphozyten entwickeln sich zu zyto­tox­ischen T-Zellen, die infizierte Körper­zellen und entartete Zellen erkennen und eliminieren. Andere T-Lympho­zyten wirken als Gedächtniszellen oder übernehmen als T-Helfer­zellen wichtige Aufgaben. Sie beauftragen beispielsweise Fresszellen damit, infizierte Zellen mit Hilfe von Enzymen oder ­oxidativen Prozessen abzubauen (zu phagozytieren), oder regen B-Lymphozyten dazu an, sich in Plasmazellen umzuwandeln.

Thymus und Milz

Bevor naive T-Zellen in Lymphknoten oder Milz einwandern, machen sie noch einen Zwischenstopp im Thymus, auch Bries genannt. In dem kleinen Organ direkt ­hinter dem Brustbein lernen die naiven Zellen, zwischen körpereigenen und körperfremden Zellen zu unterscheiden. Der Thymus ist hauptsächlich bei jungen Menschen aktiv, nach der ­Pubertät bildet er sich kontinuier­lich zurück. In der Folge produzieren Menschen nach dem 50. Lebensjahr kaum noch neue, immunkompetente T-Zellen. Aus diesem Grund ist das Immunsystem älterer Menschen nicht mehr so effektiv. Es kann auf unbekannte ­Antigene nicht mehr wirkungsvoll reagieren. Und auch auf Impfungen sprechen Ältere daher wesentlich schlechter an.

Die Milz übernimmt die Reinigung des Blutes. Ihre Struktur ähnelt den Lymphknoten. In ihrem schwammar­tigen Gewebe bauen Fresszellen übe­r­alterte und geschädigte Blutzellen, Gerinnungsprodukte, verunreinigende Par­tikel und Mikroorganismen ab. Im Bedarfsfall vermehren sich auch in der Milz B- und T-Lymphozyten und differenzieren aus.

Zum Schutz vor Krankheitserregern und Schadstoffen, die mit der einge­atmeten Luft und mit der Nahrung in den Körper gelangen könnten, befindet sich gut ein Drittel der insgesamt mehr als 600 Lymphknoten des Körpers in Hals,­ Nase und Ohren, zum Beispiel die Gaumen-, Rachen- und Zungenmandeln. Im Rachen bilden sie den lympha­tischen oder Waldeyerschen Rachenring.

Durch den permanenten Kontakt mit Antigenen finden in den Lymphknoten und Mandeln (Tonsillae) ­ständig Immunreaktionen statt, sodass das lympha­tische Gewebe immer leicht entzündet ist. Von einer Erkrankung sprechen die Autoren der Leitlinie ­Tonsillitis aber erst bei lokalen Symptomen wie Schluck­beschwerden und Schmerzen und bei systemischen Entzündungszeichen wie Fieber. Auslöser einer akuten Mandelentzündung sind zumeist Viren, gelegentlich aber auch Bakterien.

Typische Zeichen einer Tonsillitis sind neben Halsschmerzen geschwollene Lymphknoten, die bei Druck schmerzen, und weiße stippchenartige Beläge auf den Rachenmandeln. Bevor die Kranken Präparate in der Selbstmedikation anwenden, sollten sie einen Arzt aufsuchen, denn es gilt, eine bakterielle Tonsillitis auszuschließen. Zur Selbstmedikation eignen sich aufgrund ihrer schmerzlindernden und entzündungshemmenden Wirkung nicht steroidale Antiphlogistika wie Paracetamol oder Ibuprofen. Die Autoren der Leitlinie Tonsillitis sprechen dagegen Lokalanästhetika und lokalen Antiseptika in Form von Rachensprays, Lutschtabletten und Gurgellösungen einen gesicherten Effekt ab. In der Leitlinie nicht erwähnt sind Hyaluronsäure und Phytopharmaka wie Isländisches Moos und Eibisch­wurzel, die bei gereizter Schleimhaut lindernd wirken.

Maligne Lymphome

Bösartige Erkrankungen, die von lymphatischen Organen oder lymphatischen Zellen ausgehen, bezeichnen Mediziner als maligne Lymphome. In Deutschland erkranken daran jährlich rund 30 000 Menschen neu. Da sich lymphatische Gewebe und Lympho­zyten mit diversen Entwicklungs­stufen voneinander unterscheiden, unterteilt die WHO die malignen Lymphome in mehr als 40 Erkrankungen. Zu den bekanntesten gehören die chronisch lymphatische Leukämie (CLL), das multiple Myelom und das klassische ­Hodgkin-Lymphom. Der Begriff Non-Hodgkin-Lymphom als Überbegriff für alle Lymphome, die kein Hodgkin-­Lymphom sind, wird heute kaum noch verwendet, da er zu ungenau ist. Denn die einzelnen Erkrankungen unterscheiden sich erheblich in ihrem Verlauf und ihrer Therapie.

Eine andauernde schmerzlose Lymphknotenschwellung kann auf ein Lymphom hinweisen. Typischerweise sind die Symptome vieler Lymphome unspezifisch und können beispielsweise auch bei einem grippalen Infekt auftreten, wie Müdigkeit und allgemeine Abgeschlagenheit.

Manche Lymphome schreiten sehr langsam voran, andere sind hingegen sehr aggressiv. Daher werden einige Kranken nur ärztlich überwacht, andere erhalten schnellstmöglich eine Therapie. Bei aggressiv verlaufenden Lymphomerkrankungen gehören die Chemotherapie und die Stammzelltransplantation zu den wichtigsten Behandlungsoptionen. Zunehmend setzen Mediziner zur Therapie jedoch auch zielgerichtete Substanzen ein, wie beispielsweise Rituximab oder Lenalidomid. /