Weniger wund im Mund |
11.12.2017 12:09 Uhr |
Von Elke Wolf / Eine Mundschleimhautentzündung infolge einer Chemo- oder Strahlentherapie kann so schmerzhaft und belastend sein, dass die Krebspatienten die Behandlung unterbrechen müssen. Hier helfen vor allem komplementärmedizinische Ansätze, den Schmerz zu lindern, erklärte Apotheker Jörg Riedl auf einer Fortbildungsveranstaltung.
Eine Strahlentherapie oder eine Behandlung mit systemisch wirksamen Zytostatika kann die Mundschleimhaut großflächig schädigen. Da sich die Zellen der Schleimhaut häufig erneuern, reagieren sie besonders empfindlich auf eine solche Therapie. Je nach Art der Krebsbehandlung können neben den Schleimhäuten in Mund und Rachen auch die Schleimhäute im gesamten Verdauungstrakt bis zum After betroffen sein.
Eine schmerzhafte Mukositis kann Patienten mit Chemotherapie extrem belasten. Es gibt einige natürliche Ansätze, die die Beschwerden lindern können.
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Die Prävalenz einer oralen Mukositis liegt bei Krebspatienten unabhängig von der Tumorart bei mehr als 20 Prozent. Bei einer Bestrahlung des Kopf-Hals-Bereichs ist sie fast unvermeidbar. Es kann bis zu vier Wochen dauern, bis die Entzündung nach der letzten Einheit eines Chemo- oder Strahlentherapiezyklus abheilt.
Nur grober Rahmen
»Es gibt kein Patentrezept, wie diesem Krankheitsbild beizukommen ist«, informierte Jörg Riedl, Apotheker am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, auf einer Fortbildungsveranstaltung der Landesapothekerkammer Hessen in Gießen. »Klinische Studien zur Wirksamkeit der verschiedenen Ansätze sind spärlich gesät und methodisch schwierig durchzuführen.« Richtlinien, wie auf Basis der verfügbaren Daten einer Mukositis am besten vorzubeugen und wie sie zu behandeln ist, geben nur einen groben Rahmen vor. Ausgearbeitet wurden sie von der Europäischen Fachgesellschaft für Medizinische Onkologie, der Arbeitsgruppe Oral Care der Arbeitsgemeinschaft Supportive Maßnahmen in der Radioonkologie und der Multinationalen Gesellschaft zur supportiven Betreuung von Krebspatienten.
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Danach ist es Pflicht, Risikofaktoren wie schlechte Mundhygiene und Mundtrockenheit anzugehen, bevor eine potenziell schleimhautschädigende Therapie begonnen wird. Zudem ist die Mundschleimhaut täglich auf Veränderungen zu untersuchen. Eine lokale Kryotherapie, also die Kühlung der Mundhöhle mithilfe von Eiswasserspülungen oder Lutschen von Eiswürfeln, ist in der Lage, das Ausmaß und die Schwere der Mukositis zu begrenzen. Durch die Minderdurchblutung der Mundschleimhaut, so die Überlegung, verringere sich die Konzentration toxischer Substanzen in diesem Gewebe, und entzündliche Reaktionen werden unterdrückt, erklärte Riedl.
Das große Problem dabei: Aufgrund des langen und intensiven Kältereizes (die Kältetherapie sollte bereits vor der Infusion beginnen und bis etwa eine halbe Stunde nach deren Ende fortgesetzt werden) ist sie von vielen Patienten nur schwer durchführbar. Angenehmer als die Eiswürfel empfinden viele Patienten das Lutschen tiefgefrorener Fruchtwürfel, etwa aus Ananas, Papaya oder auch Salbeitee, informierte Riedl. »Fruchtkugeln werden noch besser akzeptiert als -würfel. Wir haben auch eine Slush-Ice- Maschine«, informierte Riedl die Anwesenden darüber, wie das Team seiner Krankenhausapotheke versucht, den Patienten entgegenzukommen. Riedl forderte die Anwesenden zu Phantasie im pharmazeutischen Know-how auf. Auch eisgekühlte Butterkügelchen oder gekühlte Aloe-vera-Mundspüllösungen fänden oft die Akzeptanz der Patienten.
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Hat sich die Mundschleimhaut dennoch entzündet, gilt die erste Maßnahme der Schmerzbekämpfung. Salbeimundspüllösung (wie Salviathymol®) oder Lindenblütentee können versucht werden. Eher prophylaktisch wirken Extrakte aus Tormentillwurzelstock, Ratanhia- und Rharbarberwurzel oder Myrrhe (wie Repha®-OS, Pyralvex®, Ratiosept®). Mundgele und Lösungen, die Lokalanästhetika (wie Dynexan® Gel, Kamistad® Gel) oder Benzydamin (wie Tantum® Verde) enthalten, können versucht werden, dürften aber ab einem bestimmten Schweregrad zu schwach wirksam sein.
Gute Erfahrungen hat Apotheker Riedl mit Heilerde innerlich und Leinsamen gemacht, vor allem wenn auch der übrige Verdauungstrakt in Mitleidenschaft gezogen ist. Vom Leinsamen können sowohl der Schleim als auch der Überstand verwendet werden. »Der Überstand eignet sich zum Trinken bei Beschwerden im Mund. Der Schleim wird erwärmt; Patienten mit Parästhesien an Hand und Fuß baden darin ihre Gliedmaßen und empfinden es als angenehm«, berichtete Riedl.
Bewährte Rezepturen
Eine weitere Möglichkeit: Riedl und sein Team verarbeiten selbst Sanddorn, denn »Sanddornfurchtfleischöl wirkt antibakteriell, schmerz- und reizlindernd und beschleunigt die Granulation von beschädigter Haut und Schleimhaut«. Dazu werden zwei bis drei Tropfen Sanddornfruchtfleischöl etwa in Naturjoghurt eingerührt oder mit einem halben Löffel Leitungswasser oder Aloe-vera-Bio-Ursaft verdünnt, stellte Riedl seine Rezepturen vor.
Alles, was beruhigt: Aloe-vera-Spülungen, Sanddornfruchtfleischöl und Salbeitee (von oben nach unten).
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Auch mit Manuka- oder Kanukaöl hat der Experte gute Erfahrungen gemacht, wenn es mit warmem Leitungswasser gemischt wird. Die Mischung eigne sich mehrmals täglich zum Schlucken oder Gurgeln.
Auf schulmedizinischem Weg fährt man gegen den Schmerz im Mund stärkere Geschütze auf. Weil nicht steroidale Antiphlogistika die Schmerzintensität einer oralen Mukositis nicht signifikant lindern können, kommen Opiatanalgetika wie Tramadol, Tilidin/Naloxon, Fentanyl oder Morphin zum Einsatz. Um die starken Nebenwirkungen infolge der systemischen Gabe zu umgehen, geht man an einigen Kliniken dazu über, die entzündete Schleimhaut mit verdünnten Morphinlösungen zu spülen oder mit Rezepturen von Opiaten in mukoadhäsiven Grundlagen zu versorgen. Möglich ist dieser Therapieansatz, weil Opiate nicht nur zentral wirksam sind, sondern auch in peripheren Geweben an Rezeptoren binden. Ob die topische Opiatgabe die Schmerzlinderung einer systemischen Anwendung erreicht, ist aber nicht untersucht. Ebenso fehlen verbindliche Empfehlungen, was die einzusetzenden Konzentrationen betrifft. /