Enzymmangel mit Folgen |
10.12.2018 12:22 Uhr |
Von Carina Steyer / Als lysosomale Speicherkrankheiten bezeichnen Mediziner eine Gruppe von Stoffwechselerkrankungen, bei denen den Patienten wichtige Enzyme im Lysosom der Zelle fehlen. Eine von ihnen ist Morbus Gaucher, eine komplexe Fettstoffwechselstörung.
Lysosomale Speicherkrankheiten sind selten. Sie treten bei einer von 7000 bis 8000 Lebendgeburten auf. Der Begriff umfasst etwa 50 verschiedene Krankheiten. Morbus Gaucher ist mit einer Prävalenz von 1:100 000 in der Gesamtbevölkerung eine der häufigsten lysosomalen Speicherkrankheiten. Schätzungen zufolge gibt es weltweit circa 10 000 Gaucher-Patienten, in Deutschland sind rund 350 erfasst.
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Zellen speichern Lipide
Menschen mit Morbus Gaucher fehlt das Enzym ß-Glucocerebrosidase, das für den Abbau eines Stoffwechselzwischenproduktes, des Lipidmoleküls Glucocerebrosid, verantwortlich ist. Glucocerebrosid entsteht beim Abbau von Erythrozyten und Leukozyten und wird bei gesunden Menschen im Lysosom, dem »Magen der Zelle«, in Ceramid und Glucose aufgespalten. Fehlt das spaltende Enzym, kommt es zu einer Anreicherung von Glucocerebrosiden im Lysosom. Bei Morbus Gaucher findet diese Anreicherung vor allem in einem bestimmten Zelltyp des Immunsystems, den Makrophagen (»Fresszellen«), statt. Je mehr Glucocerebrosid im Lysosom eines Makrophagen abgelagert wird, umso größer wird dieser. Mediziner sprechen nun von Gaucher-Zellen, die in großen Ansammlungen vor allem in der Leber, der Milz und im Knochenmark gefunden werden können. In seltenen Fällen sind auch das Nervensystem, die Lunge, das Herz oder die Nieren betroffen.
Das Fehlen eines Enzyms verursacht bei Morbus Gaucher ein komplexes Krankheitsbild, das in Abhängigkeit von der Beeinträchtigung des Nervensystems in die beiden Hauptformen neurologisch und nicht-neurologisch unterteilt wird. Bis zu 95 Prozent der Patienten haben eine nicht-neurologische Form, bei der sich Gaucher-Zellen nur in Leber, Milz und Knochenmark ablagern.
Typisch für diesen Krankheitstyp ist eine Vielzahl an Symptomen (siehe Kasten). Diese können in Kombination, aber auch einzeln und in unterschiedlichem Ausmaß in Erscheinung treten. Bei etwa der Hälfte der Patienten wird die Erkrankung vor dem zehnten Lebensjahr diagnostiziert, bei der anderen Hälfte erst im Erwachsenenalter. Darüber hinaus vermuten Experten eine hohe Dunkelziffer an Patienten, bei denen die Symptome so schwach ausgeprägt sind, dass sie nicht als störend empfunden werden.
Der Nachweis eines Morbus Gaucher erfolgt mit einem Bluttest, bei dem die Aktivität der ß-Glucocerebrosidase gemessen wird. Obwohl das vergleichsweise einfach ist, haben viele Patienten einen langen Diagnoseweg hinter sich. Denn zahlreiche Symptome kommen auch bei Krankheiten vor, die wesentlich häufiger sind, oder Symptomkombinationen werden nicht als solche erkannt.
Milz
95 Prozent der Patienten haben eine teilweise bis zu 25-fach vergrößerte Milz, die Oberbauchbeschwerden und Komplikationen wie einen Milzinfarkt verursachen kann. Der Abbau von Erythrozyten, Leukozyten und Thrombozyten erfolgt beschleunigt. Die Patienten entwickeln eine Anämie mit Müdigkeit, Leistungsminderung und Konzentrationsschwäche. Betroffenen Kindern kann die Energie zum Spielen fehlen. Durch den Mangel an Thrombozyten besteht eine erhöhte Blutungsneigung, die sich häufig durch verstärktes Zahnfleisch- und Nasenbluten, eine ausgeprägte und verlängerte Regelblutung sowie leichtes und häufiges Entstehen von blauen Flecken zeigt. Der Leukozytenmangel macht sich durch eine erhöhte Infektanfälligkeit bemerkbar.
Leber
Mehr als 80 Prozent der Patienten haben eine vergrößerte Leber. Das Organ kann bis auf die doppelte Größe anschwellen und Oberbauchbeschwerden verursachen. Die Entwicklung von Fibrosen und eventuell Zirrhosen ist aber selten. Bei gleichzeitiger Milzvergrößerung kann die Ausdehnung der Lunge behindert werden, sodass Kurzatmigkeit auftritt. Zudem können die vergrößerten Organe auf Magen und Darm drücken, wodurch ein schnelleres Sättigungsgefühl eintritt.
Knochen
Bei 80 Prozent der Patienten kommt es zu einer Knochenbeteiligung mit Deformitäten, Osteopenie (die zu Frakturen oder Wirbelkompressionen führen kann), Knocheninfarkten und Knochennekrosen. Sie schränken die Beweglichkeit der Betroffenen ein und verursachen Schmerzen.
Wachstum und Pubertät
Bei Kindern ist das Wachstum verzögert und die Pubertät tritt verspätet ein.
Lebenslange Therapie
Für die nicht-neurologische Form der Gaucher-Krankheit stehen derzeit zwei verschiedene Therapieansätze – die Enzymersatztherapie und die Substratreduktionstherapie – zur Verfügung. In der Enzymersatztherapie wird das fehlende Enzym ß-Glucocerebrosidase durch ein funktionales Enzym ersetzt. Zur Verfügung stehen die Wirkstoffe Imiglucerase und Velaglucerase, die intravenös verabreicht werden. Da das zugeführte Enzym vom Körper verstoffwechselt wird, ist eine regelmäßige (alle zwei Wochen) und lebenslange Therapie notwendig.
Ein anderes Prinzip verfolgt die Substratreduktionstherapie. Hier wird die Bildung des Stoffwechselzwischenproduktes Glucocerebrosid gehemmt. Auch die Substratreduktionstherapie ist lebenslang notwendig, allerdings können die Wirkstoffe oral in Kapselform angewendet werden: ein wesentlicher Vorteil für die Patienten, die sich teils lange Anfahrtswege und den Zeitaufwand für die Infusion ersparen können. Zur Verfügung stehen für erwachsene Patienten die beiden Wirkstoffe Miglustat und Eliglustat. Während Miglustat nur für die Behandlung von Patienten verwendet werden darf, für die eine Enzymersatztherapie nicht infrage kommt, besteht diese Einschränkung bei Eliglustat nicht.
Seltene Formen
Im Gegensatz zur nicht-neurologischen Form sind die neurologischen Typen der Gaucher-Krankheit sehr selten. Allen gemein ist, dass die Ablagerung der lipidspeichernden Gaucher-Zellen im zentralen Nervensystem derzeit nicht ursächlich behandelbar ist. Ärzte unterscheiden nach dem Alter der Patienten drei verschiedene Typen.
Von der akuten neurologischen Form sind Babys betroffen. Sie kann bei etwa 1 Prozent der Patienten nachgewiesen werden, schreitet schnell fort und führt meist noch vor dem zweiten Geburtstag zum Tod. Erste Anzeichen sind eine gleichzeitige Vergrößerung von Leber und Milz, Augenmuskellähmung oder beidseitiges Schielen, Beeinträchtigung der Zungen-, Schlund- und Kehlkopfmuskeln, fortschreitende Spastik und Dystonien. Später kommen eine myoklonische Epilepsie, die auf Antikonvulsiva nicht anspricht, und therapieresistente Infektionen hinzu.
Mit weniger als 1 Prozent der Fälle ist die fetale Form noch seltener. Betroffene Feten fallen im Ultraschall durch ein ausgeprägtes Ödem im Unterhautzellgewebe und eine Vergrößerung von Leber und Milz auf. Zudem treten Verhornungsstörungen, Gelenksteife und ein Mangel an Thrombozyten auf. Sie versterben entweder bereits im Mutterleib oder kurz nach ihrer Geburt.
Etwa 5 Prozent der Patienten erkranken an der sogenannten subakuten neurologischen Form. Dabei lagern sich Gaucher-Zellen sowohl im Nervensystem als auch in Leber, Milz und Knochenmark ab. Die Folge ist eine Kombination der zahlreichen Symptome des nicht-neurologischen Morbus Gaucher mit einer Beeinträchtigung des Nervensystems. Typischerweise beginnen die neurologischen Auffälligkeiten in der Kindheit oder Adoleszenz, schreiten langsamer voran als bei den anderen beiden neurologischen Formen und können in ihrer Ausprägung variieren. Obwohl auch die subakute neurologische Form fortschreitet, gibt es heute mit der Enzymersatztherapie eine Möglichkeit, die Krankheit zumindest zu verzögern.
Genetische Beratung
Die Ursache der Gaucher-Krankheit ist eine Mutation im sogenannten GBA-Gen. Die Vererbung erfolgt autosomal-rezessiv. Damit ein Kind erkrankt, müssen beide Eltern Träger des veränderten Gens sein. Nach dem Auftreten einer der neurologischen Formen empfehlen Experten Eltern mit weiterem Kinderwunsch, eine genetische Beratung in Anspruch zu nehmen. Es besteht auch die Möglichkeit, in einer Folgeschwangerschaft das Ungeborene auf die Gaucher-Krankheit zu testen. Im Rahmen einer Chorionzottenbiopsie wird zwischen der zehnten und zwölften Schwangerschaftswoche die Aktivität der ß-Glucocerebrosidase bestimmt. /