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Influenza-Impfung AB 60

Impfung ist auch Herzenssache

10.12.2018  12:22 Uhr

Von Elke Wolf / Die jährliche Grippe-Impfung bewahrt nicht nur vor Influenza, sondern senkt auch das Herzinfarktrisiko: eine Tatsache, die bislang nur wenig bekannt ist. Dr. Andreas Leischker, Impfexperte bei der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie, erklärt im Gespräch mit PTA-Forum, warum und wie vor allem ältere Patienten von der Impfung profitieren.

Es sind vor allem Senioren, denen eine Influenza zu schaffen macht. Schwere Krankheitsverläufe, Exazerbationen bestehender Grunderkrankungen, vermehrte­ Krankenhauseinweisungen und Todesfälle sind bei über 60-Jährigen häufiger als bei jüngeren Infizierten. Das bestätigt einmal mehr der Saison­bericht des Robert-Koch- Instituts (RKI) für das vergangene Jahr: Danach­ waren 87 Prozent der an Grippe Verstorbenen 60 Jahre oder älter.

Die Grippewelle des vergangenen Winters verlief außergewöhnlich heftig­, weil zwei ungünstige Konstellationen zusammentrafen. So besaß die Mehrzahl der Menschen keinen Impfschutz (in der Saison 2016/2017 waren laut RKI gerade einmal 34,8 Prozent der über 60-Jährigen geimpft), oder sie hatte eine trivalente Vakzine erhalten, die nicht gegen die in dieser Saison überwiegend zirkulierende Influenza-Linie wirksam war. Laut RKI wurden rund 68 Prozent der Infektionen durch Influenza-Typ B verursacht, davon wiederum 99 Prozent durch die nicht im trivalenten Impfstoff für die Saison 2017/2018 repräsentierte Yamagata-Linie­. Nur 28 Prozent wurden durch A(H1N1)pdm09-Viren und 4 Prozent durch A(H3N2)-Viren verursacht, die durch den Dreifachimpfstoff abgedeckt waren.

Es hat einen Grund, warum eine Influenza­ bei Senioren besonders hart zuschlägt, erklärt Leischker, Chefarzt der Klinik für Geriatrie des Alexianer-Krankenhauses in Krefeld: »Bei ihnen ist nicht nur die Immunantwort bei Exposition mit dem Erreger, sondern auch die auf Impfungen vermindert. Ab 60 und dann nochmal ab 65 Jahren nimmt das Infektionsrisiko noch mal an Fahrt auf. Der Grund: Immunologisch ge­sehen beginnt das Alter bereits ab 50 Jahren. Sowohl die zellvermittelte Immunität als auch die Antikörper­bildung gehen dann zurück.«

Aufgrund dieser einsetzenden Immun­seneszenz zeigen Ältere zum einen häufig nicht die Influenza­-typischen Symptome wie Fieber, Husten, Muskel- und/oder Kopfschmerzen, meist mit plötzlichem Krankheitsbeginn. Das könne Anlass für Fehl- oder verspätete Diagnosen sein, gibt Leischker zu bedenken. Der Krankheitsbeginn verlaufe bei Älteren oft schleichend, ein Drittel habe auch kein Fieber. Dagegen dominierten Delir und akute Verwirrtheit. Zum anderen könne man im Erkrankungsfall im Alter die Infektion schlechter bekämpfen, weil die Abwehr schlechter funktioniert. »Das schwächelnde Immunsystem ist auch der Grund für eine reduzierte Impfeffek­tivität. Diese liegt dann nur noch bei 50 bis 60 Prozent, im Vergleich zu 70 bis 90 Prozent bei den unter 65-Jährigen«, führt Leischker aus.

Dass die Strapazen einer Influenza tatsächlich einen Herzinfarkt triggern können, ist seit einer im Frühjahr pub­lizierten Studie im »New England Journal­ of Medicine« gesichert. Dieser lange vermutete Zusammenhang wurde­ dabei mit labordiagnostischen Methoden bestätigt, die Diagnose Influenza­ beruhte nicht allein auf der klinischen Symptomatik. »Danach stieg das Erkrankungsrisiko während der ersten­ sieben Tage der Influenza um das Sechsfache. Besonders gefährlich waren Infektionen mit Influenzaviren vom Typ B. Diese erhöhten das Myokardinfarktrisiko gar um das Zehn­fache«, informiert Leischker.

Für Herz und Hirn

Könnte eine Grippe-Impfung daher auch indirekt vor einem Herzinfarkt schützen? Ja, da ist sich Leischker ganz sicher. »Für die Prävention des Herz­infarkts hat sie ähnliche Effekte wie der Stopp des Nikotinkonsums oder die Einnahme­ von Cholesterol- und Blutdrucksenkern.« Leischker zitiert eine Metaanalyse der Cochrane Collabora­tion aus dem Jahr 2015, wonach die Influenza­-Impfung das Myokardinfarkt­risiko um 55 Prozent senkt.

Wie erklärt man sich die patho­physiologischen Zusammenhänge? »Stressereignisse können von Infizierten, deren Koronararterien mit Plaques belegt sind, weniger gut weggesteckt werden. Während einer Influenza-Erkrankung­ steigt der Stresspegel, und der Körper reagiert mit einer Inflammation. Das lässt vorhandene Plaques an den Arterien leichter aufbrechen.«

»Während bereits eine Influenza-Impfung vor Myokardinfarkten schützt, bewahrt die regelmäßige Impfung zusätz­lich vor Schlaganfall. Wer sich drei Saisons hintereinander gegen Influenza hat impfen lassen, hat ein niedrigeres Risiko, daran zu erkranken«, infor­miert Leischker. Die erhöhte Schlaganfallrate hänge vermutlich mit auftretendem Vorhofflimmern zusammen. »Eine erhöhte Ansammlung von Catecholaminen wie Adrenalin und Noradrenalin im Rahmen der Influenza erhöht das Risiko von Vorhofflimmern. Und das wiederum triggert das Schlaganfallrisiko, weil beim Vorhofflimmern häufiger Thromboembolien auf­treten.«

Stärkere Impfstoffe

»Das zeigt deutlich: Wir brauchen für ältere Menschen stärkere Impfstoffe als für junge«, fordert Leischker. Es gebe zwei Möglichkeiten, die Ansprechrate bei älteren Personen zu erhöhen­: »Entweder man impft adjuvantierte Vakzinen oder solche mit erhöhter Antigenmenge. Doch beide Strategien sind derzeit in Deutschland nicht umsetzbar.«

Der einzige in Deutschland für Personen ab 65 Jahre zugelassene Impfstoff, der wirkverstärkt ist, ist das trivalente Fluad®. Einen tetravalenten adjuvantierten Influenza-Impfstoff gibt es derzeit nicht, so Leischker. Die zweite Möglichkeit, die Immunisierung bei Senioren­ effektiver zu machen, sei die Strategie der Amerikaner: »In den USA verwendet man seit 2009 für über 65-Jährige einen Impfstoff mit vier­fachem Antigengehalt (60 µg statt 15 µg, Fluzone™ High-Dose). Das ist nach Studienlage die noch effektivere Variante als die adjuvantierten Impfstoffe. Besonders Menschen über 85 Jahre profitieren davon: Sie haben im Vergleich zum Präparat mit dem niedrigeren Antigengehalt niedrigere Pneumonie- und Hospitalisierungsraten. Allerdings ist dieser Impfstoff hierzulande noch nicht verfügbar.« Leischker hofft im Winter 2020/2021 auf die Zulassung eines tetravalenten Hochdosis-Impfstoffs in Deutschland.

Für die über 65-Jährigen klafft also derzeit in Deutschland eine gewisse Lücke­, fasste Leischker zusammen. »Aber besser wir haben jetzt von der Ständigen Impfkommission die Empfehlung für die Vierfachimpfstoffe, der auch die zirkulierenden B-Linien mit abdeckt, als einen adjuvantierten Impfstoff, der nicht die Viren abdeckt, die auch zirkulieren.« Der Tipp vom Fachmann: Da Sekundärin­fektionen mit Pneumokokken gerade bei alten Menschen häufig sind, sollte bei ihnen an eine kombinierte Impfung gegen­ Pneumo­kokken und Influenza gedacht­ werden. Die Kombination beider Impfungen wirkt synergistisch. Sie senkt die Gesamtmortalität noch stärker.

Spricht etwas dagegen, Senioren zweimal hintereinander zu impfen, um die schlechteren Ansprechraten zu kompensieren? »Diese Frage wird von Ärzten und Apothekern auf Fort­bildungsveranstaltungen häufig gestellt«, informiert Leischker. »Die Pädiater machen das mit Erfolg.«

Doppel-Impfung

In den Fachinformationen heißt es hierzu: »Kinder bis zum vollendeten neunten Lebensjahr, die noch nie gegen Grippe geimpft wurden, sollten nach einem­ Zeitraum von mindestens vier Wochen eine zweite Dosis bekommen.« Leischker: »Für Kinder unter neun Jahren existieren hierzu auch entsprechende Studien. Vermutlich ist die Wirksamkeit auch bei älteren Menschen mit zwei Impfungen und damit mit der doppelten Antigendosis besser als mit einer Impfung. Deshalb empfehle ich in Analogie zum Vorgehen bei den Kindern bei dieser »Off-label-Anwen­dung« einen Abstand von mindestens vier Wochen zwischen den beiden Influenza-Impfungen. Um auf die Antigenmenge des amerikanischen Impfstoffs zu kommen, müsste man vier Spritzen auf einmal appli­zieren, was für die Patienten nicht angenehm ist.« /

Lieferengpässe bei Grippe-Impfstoffen

Die Versorgung mit den tetravalenten Grippe-Impfstoffen lief in diesem Herbst nicht wirklich rund. In einigen Regionen in Deutschland waren die Vakzinen schon im November knapp geworden oder gar aufgebraucht. Die Nachfrage der Patienten war in diesem Jahr besonders groß, viele Apotheken und Arztpraxen hatten wohl zu wenig Impfstoff vorbestellt. Und auch verspätete Preis­informationen der Hersteller und Verteilungs­probleme des Großhandels haben eine Rolle bei der Entstehung der Liefereng­pässe gespielt.

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hatte Ende November offiziell einen Versorgungsmangel ausge­rufen. Dadurch sind bestimmte ­Vorgaben des Arzneimittelgesetzes kurzzeitig außer Kraft gesetzt. Das erlaubt es Apotheken etwa, noch vorhandene Impfstoffe untereinander oder an Arztpraxen zu versenden und Impfstoffe aus dem europä­ischen Ausland zu importieren.