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Lipid-Therapie

Runter mit dem LDL-Cholesterol

10.12.2018  12:22 Uhr

Von Elke Wolf, Heidelberg / Statine sind die Basis der medika­mentösen Therapie der Hypercholesterolämie und senken ­zuverlässig erhöhte Lipidwerte. Dennoch erreicht die Mehr­heit der Patienten nicht die angestrebten Zielwerte. Welche Fallstricke gibt es also bei der Behandlung zu beachten? Darüber sprach Professor Dr. Dietmar Trenk bei einer Fort­bildung der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg.

»LDL-Cholesterol ist kausal an der Entstehung der Arteriosklerose beteiligt. Daran lassen große genetische, epidemiologische und klinische Studien der vergangenen Jahre keinen Zweifel. Und die Senkung des LDL-Cholesterols ist eine der effektivsten Maßnahmen, um das kardiovaskuläre Risiko in der Primär­- und der Sekundärprävention zu senken.« Damit strafte Professor Dr. Dietmar Trenk vom Universitäts-Herzzentrum Freiburg all jene Wissenschaftler Lügen, die erhöhten Lipid­werten keine große Bedeutung für Herz-Kreislauf-Erkrankungen beimessen.

Neu gemäß den aktuellen Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie im Behandlungskonzept für Pa­tienten mit Hypercholesterolämie ist, »dass sich die Therapie am individuellen Risiko orientiert und mit relativen (nicht nur absoluten) Zielwerten arbeitet« (siehe Tabelle Seite 38 oben). So ist für Patienten mit sehr hohem­ kardiovaskulären Risiko ein Zielwert von unter 70 mg/dl LDL-Cholesterol, für Patienten mit hohem­ Risiko ein Wert unter 100 mg/dl und für Patienten mit moderatem Risiko ein Wert unter 115 mg/dl anzustreben. Möglich ist allerdings auch die Hal­bierung des Wertes, wenn bei Hochrisikopatienten der Ausgangs-LDL-Cholesterolwert zwischen 70 und 135 mg/dl und bei Patienten mit hohem Risiko zwischen­ 100 und 200 mg/dl liegt.

»Die medikamentöse Therapie der Hypercholesterolämie fusst auf der Behandlung mit Statinen«, sagte Trenk. Neben Lovastatin, dem ersten Arzneistoff dieser Klasse, sind derzeit mit Simvastatin, Fluvastatin, Pravastatin, Atorvastatin, Rosuvastatin und Pitavastatin sechs weitere Statine in Deutschland zugelassen. Mit mittlerweile rund 200 000 Patientendaten sind die Statine einer der am best untersuchten Arzneistoffklassen. »Als Leitsubstanz gilt immer noch Sim­vastatin, das durch die HMG-CoA-Reduktasehemmung die Gesamtmortalität im Vergleich zu Placebo um relativ 30 Prozent zu senken vermochte«, führte Trenk aus.

Zielwerte für LDL-Cholesterol in den Leitlinien der europäischen Gesellschaft für Kardiologie 2016, vereinfacht dargestellt

Empfehlung Empfehlungsgrad Evidenzgrad
Bei Patienten mit sehr hohem kardiovaskulären Risiko (klinisch manifeste kardiovaskuläre Erkrankungen, Typ-2-Diabetes, Typ-1-Diabetes mit Organschäden) sollte ein LDL-Cholesterol-Zielwert < 1,8 mmol/l (weniger als 70 mg/dl) oder eine LDL-Cholesterol-Senkung von ≥ 50 % erreicht werden, wenn das Baseline-LDL-Cholesterol zwischen 70 und 135 mg/dl liegt. I B
Bei Patienten mit hohem kardiovaskulären Risiko (ausgeprägt erhöhten einzelnen Risikofaktoren) ist ein LDL-Cholesterolwert < 100 mg/dl oder eine LDL-Cholesterol-Senkung von ≥ 50 % bei einem Baseline-LDL-Cholesterol zwischen 100 und 200 mg/dl zu empfehlen. I B
Bei Personen mit niedrigem oder moderatem kardiovaskulären Risiko ist ein LDL-Cholesterol Zielwert < 3mmol/l (weniger als 115 mg/dl) anzustreben. IIa C

Statine richtig anwenden

Zwar sind Statine effektive Cholesterolsenker. Doch Trenk zufolge scheinen Ärzte in Deutschland deren Potenzial nicht auszunutzen. »Es besteht ein massives Defizit in der Umsetzung der Leitlinien. Erhebungen zeigen, dass selbst unter Hochrisiko­patienten nur ein kleiner Anteil von unter­ 15 Prozent den LDL-Zielwert von unter 70 mg/dl erreicht«, informierte der Fachmann. Grund sind laut Trenk die Wahl zu schwach wirkender Statine, eine zu niedrige Dosierung oder ein fehlender Kombinationspartner in der Therapie.

»Wer etwa eine starke LDL-Cholesterolsenkung von 50 Prozent erreichen will, muss mit Atorvastatin oder Rosuvastatin in den stärkeren Dosierungen arbeiten. Ein Pravastatin oder Lovastatin schaffen nur 30 mg/dl«, erklärte der Experte. Und auch die Dosierungs­praxis prangerte Trenk an: »Bei der Auswahl der Dosierung wird das Ausgangscholesterol in der Praxis praktisch nicht berücksichtigt. 80 mg Atorvastatin wird seltenst verordnet.« Und auch die Tatsache, dass die Kombination von Statinen und Ezetimib – seit Anfang 2018 patentfrei – eine additive LDL-Cholesterol-Senkung ergibt, werde laut Trenk in der Praxis nur wenig umgesetzt.

Ein weiterer limitierender Faktor für die Adhärenz der Therapie sind auf­tretende Muskelbeschwerden. »Diese treten in Anwendungsbeobachtungen um mindestens eine Zehnerpotenz häufiger auf als in klinischen Studien.« In der Praxis seien sie ein großes Problem. Eine valide angelegte Cross­over-Studie legt laut Trenk allerdings einen relativ starken Placeboeffekt nahe. Eventuell könne eine Supplemen­tierung mit Coenzym Q10 Muskelkater, Muskelschwäche und Beinschmerzen entgegenwirken.

Als weitere hocheffektive Therapieoption, um erhöhte Blutfette zu senken­, stellte der Fachmann die neuen PCSK9-Antikörper Alirocumab und Evolocumab vor. Damit können die LDL-Cholesterolwerte zusätzlich zu einer Hochdosis-Statin- und Ezetimib-Therapie um die Hälfte reduziert werden. »Werte von unter 30 mg/dl sind möglich, sie senken den kardiovaskulären Endpunkt ohne negative Auswirkungen extrem.« Allerdings ist eine Therapie extrem teuer.

Wie sieht es mit dem Potenzial von Omega-3-Fettsäuren in Form von Fischölkapseln zur Vorbeugung von Herzerkrankungen aus? »In jedem Fall verlangen die Omega-3-Fettsäuren eine differenzierte Bewertung«, in­formierte Trenk. So haben zwei groß angelegte Untersuchungen jeweils mit mehreren tausend Patienten in diesem Sommer gezeigt, dass die Supplementierung mit solchen mehrfach ungesättigten Fettsäuren völlig nutzlos ist; das Risiko für Herzinfarkte, Schlaganfälle oder anderen kardiovaskulär ver­ursachten Todesfällen war genauso hoch wie in der Placebogruppe.

Allerdings, so gab Trenk zu bedenken, war es vielleicht voreilig, die Supplementierung von Omega-3-Fettsäuren als wirkungslos abzustempeln. In einer randomisierten Doppelblindstudie, die vor zwei Wochen auf dem Jahres­kongress der American Heart Association präsentiert wurde, habe das Präparat Vascepa® bei Hochrisikopatienten das kardiovaskuläre Risiko um erstaunliche 25 Prozent reduzieren können.

Fettsäure doch wirksam?

Vascepa ist kein Fischöl-Präparat, sondern enthält den Ethylester der Eicosapentaensäure in reiner Form und keine Docosahexaensäure. In der Studie­ wurde die Fettsäure mit 4 Gramm pro Tag sehr hoch dosiert. Das Präparat ist in den USA verschreibungspflichtig und als Ergänzung zur Diät bei Patienten ­ mit schwerer Hypertriglyceridämie (≥ 500 mg/dl) indiziert. Bei der Beurteilung der Studiener­gebnisse merkte Trenk allerdings kritisch an, dass die Placebogruppe ­Paraffinöl-Kapseln erhal­ten habe. »Was deren LDL-Werte negativ be­einflusst hat. Es stellt sich also die Frage­ nach der Vergleich­barkeit.« /

Therapie der Hypercholesterolämie nach den Leitlinien der ESC 2016

Empfehlung Empfehlungsgrad Evidenzgrad
Verordnung eines Statins bis zur höchsten empfohlenen Dosis oder der höchsten tolerierten Dosis, um das therapeutische Ziel zu erreichen I A
Bei Statinintoleranz sollen Ezetimib oder Gallen­säurebinder (Colestyramin oder Colesevelam) oder diese kombiniert in Betracht gezogen werden IIa C
Wenn der Zielwert nicht erreicht wird: Kombination eines Statins mit einem Cholesterolresorptions­hemmer (Ezetimib) in Betracht ziehen IIb B
Wenn der Zielwert nicht erreicht wird: Kombination eines Statins mit einem Gallensäurebinder in Betracht ziehen IIb C
Bei Patienten mit sehr hohem Risiko und persistierend hohem LDL-Cholesterol trotz maximal tolerierter Statin-Dosis, in Kombination mit Ezetimib oder bei Patienten mit Statinintoleranz kann ein PCSK9-Inhibitor in Betracht gezogen werden IIb C

Quelle: Vortrag von Professor Dr. Dietmar Trenk bei der Herbst-Fortbildung der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg