Bei Migräne alle Register ziehen |
Etablierte und moderne Verfahren in der Migräne-Prophylaxe kann vielen Patienten helfen. Wichtig ist nur, überhaupt tätig zu werden. / Foto: Adobe Stock/fizkes
Vasodilatativ und proinflammatorisch spielt Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) als Neuropeptid eine wichtige Rolle in der Pathophysiologie der Migräne. Neue wirksame Substanzen zur Prophylaxe von Migräne-Anfällen sind monoklonale Antikörper, die – wie Erenumab – gegen den CGRP-Rezeptor oder -wie Eptinezumab, Fremanezumab und Galcanezumab – gegen CGRP selbst eingesetzt werden und somit das Therapiespektrum sinnvoll erweitern.
»Auch andere medikamentöse und nicht medikamentöse Prophylaxemaßnahmen haben jedoch nach wie vor ihren Stellenwert«, betonte Privatdozent Dr. Charly Gaul, Königstein, bei der Diskussion »Akuttherapie und Migräneprophylaxe – Update 2020« auf der Expopharm Impuls. Diese Optionen sollten nicht außer Acht gelassen werden, zumal einige Patienten von den neuen Migräne-Prophylaktika nicht profitieren.
Die Effekte von Erenumab beruhen auf der Bindung an den CGRP-Rezeptor. Dadurch wird die Interaktion mit dem natürlichen Liganden CGRP gehemmt. Der antagonistische Antikörper gegen den CGRP-Rezeptor erhielt die EMA-Zulassung im Juli 2018. Fremanezumab ist wie Galcanezumab ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der die biologische Aktivität von CGRP inhibiert.
Auch wenn Empfehlungen zum Einsatz von Erenumab (Aimovig®), Galcanezumab (Emgality®) und Fremanezumab (Ajovy®) in der derzeit geltenden Leitlinie zur »Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne« aus dem Jahr 2018 noch nicht ihren Niederschlag gefunden haben: »Sie spielen in der modernen Migränetherapie eine bedeutende Rolle und werden bei der nächsten Überarbeitung aufgenommen werden«, so Gaul, einer der führenden Autoren der Leitlinie. Zudem stehe mit Eptinezumab bereits ein weiterer CGRP-Antagonist zur Prophylaxe in den Startlöchern.
Nicht jeder Migräne-Patient, so Gaul weiter, sei jedoch auf einen CGRP-(Rezeptor)-Antikörper angewiesen – ganz abgesehen davon, dass jeder Patient individuell auch auf die neuen Wirkstoffe anspreche. Im Ranking der Empfehlungen zur Prophylaxe der Migräne hätten zunächst Betablocker wie Propranolol und Metoprolol, der Calciumantagonist Flunarizin sowie die Antikonvulsiva Valproinsäure und Topiramat ihre Berechtigung. Auch das trizyklische Antidepressivum Amitriptylin könne sich besonders bei entsprechender psychischer Komorbidität als effektiv erweisen.
Valproinsäure sollte nicht bei Frauen im gebärfähigen Alter ohne sichere Verhütungsmethode eingesetzt werden. Ebenfalls wirksam, aber weniger gut untersucht sind Bisoprolol sowie Angiotensin-Rezeptorblocker und Sartane. Eine nachgewiesene Wirksamkeit in der Prophylaxe der chronischen Migräne wird auch Onabotulinumtoxin A zugeschrieben, das gegebenenfalls alle drei Monate im Bereich der Stirn, der Schläfe, des Hinterkopfs, des Nackens und der Schultermuskulatur injiziert wird. Leitliniengemäß könnten sich laut Gaul zudem Pestwurzextrakt und Mutterkraut als hilfreich erweisen.
Als Indikationen für die Migräne-Prophylaxe hob Gaul drei oder mehr Migräneattacken pro Monat hervor, die die Lebensqualität beeinträchtigen. Auch bei Migräneattacken, die länger als 72 Stunden anhalten beziehungsweise auf die leitliniengemäße Akuttherapie nicht ansprechen, seien vorbeugende Maßnahmen unumgänglich. Last but not least sei eine Migräne-Prophylaxe bei einer Zunahme der Attackenfrequenz und Einnahme von Analgetika und Triptanen an 10 Tagen oder mehr im Monat angezeigt.
Gaul hob hervor, dass medikamentöse und nichtmedikamentöse Verfahren wie mindestens dreimal wöchentlicher Ausdauersport und/oder dreimal wöchentliche Entspannungsverfahren kombiniert werden sollten. Stressreduktion, regelmäßige Pausen im Tagesablauf, ausreichend Schlaf und das Meiden von Reizüberflutungen könnten erheblich zur Minderung von Migräne-Attacken beitragen. »Die Kombination aller Maßnahmen ist wirksamer als jede der genannten Methoden für sich«, sagt Gaul.
Mit den etablierten und modernen Verfahren der Migräne-Prophylaxe könne vielen Patienten geholfen werden. Wichtig sei, dass diese überhaupt zur Tat schreiten. In diesem Zusammenhang komme der Apotheke eine bedeutende Rolle zu. Immer wieder müsse sie das Beratungsgespräch zu Betroffenen suchen und ihre Bereitschaft auch zur nicht-medikamentösen Prophylaxe durch entsprechende Schulung und Aufklärung stärken.
Bei Migräne-Patienten mit deutlicher Einschränkung der Lebensqualität sollten auch professionelle Verfahren der psychologischen Schmerztherapie zur Schmerzbewältigung und zum Stressmanagement empfohlen werden. »Wichtig ist, dass überhaupt etwas gemacht wird«, betonte Gaul. Hilfreich für die ärztliche Diagnosefindung und Therapiegestaltung sei das Führen eines Kopfschmerztagebuches. »Ob App oder Papier ist egal: Hauptsache ein solches Tagebuch existiert. Es gilt, alle Chancen und Optionen der Prophylaxe zu nutzen«, so Gaul.