Bei Mittelohrentzündung nicht gleich Antibiotika |
In mehr als drei Viertel der Fälle bildet sich die Mittelohrentzündung innerhalb von zwei bis sieben Tagen von selbst wieder zurück. Selten treten dabei Komplikationen auf. Wenn sich Sekret hinter dem Trommelfell staut, kann es das Gewebe so stark überdehnen, dass es mitunter einreißt. Zwar lassen dann die Ohrenschmerzen nach, das Sekret fließt aber ungehindert in den Gehörgang. Gelegentlich dringen Toxine von Bakterien vom Mittelohr ins Innenohr ein und lösen dort Symptome wie eine verstärkte Hörminderung, Ohrgeräusche oder Schwindel aus.
Was die Behandlung der unkomplizierten akuten Mittelohrentzündung betrifft, trat in den vergangenen Jahren ein Paradigmawechsel ein. Seitdem Studien gezeigt haben, dass die Krankheit bei Kindern ab einem Alter von zwei Jahren unter rein symptomatischer Therapie in der Regel spontan abheilt, verschreiben Ärzte Antibiotika nur noch unter strenger Indikationsstellung. Ausschlaggebend für die Therapieentscheidung sind Vor- und Begleit-Erkrankungen sowie der Verlauf der Erkrankung.
»Antibiotika sind laut Leitlinie nur noch dann erforderlich, wenn mindestens eins von fünf folgenden Kriterien vorliegt«, sagt der Experte aus Erlangen. Zu diesen Kriterien gehören ein Alter unter sechs Monaten und bei allen Altersgruppen eine beidseitige Entzündung. »Auch bei einer Körpertemperatur von über 39,0 ºC, vorliegenden Grunderkrankungen wie Herzerkrankungen, Immundefizienz oder Down-Syndrom sowie bei Kindern mit früheren Komplikationen nach einer Mittelohrentzüdnung geben wir gleich Antibiotika«, so Waldfahrer.
Wenn eine Verlaufskontrolle innerhalb der ersten 48 bis 72 Stunden nicht möglich ist, zum Beispiel vor einem langen Wochenende, schreiben viele Ärzte ebenfalls sicherheitshalber antibiotisch wirksame Medikamente auf. Gleiches ist der Fall, wenn Kinder Rezidive innerhalb von 30 Tagen erfahren, da bei ihnen von geringerer Spontanheilung und häufigeren Komplikationen ausgegangen werden kann.
Einige Eltern sind von Berichten verunsichert, denen zufolge Kinder, die früh mit Antibiotika behandelt wurden, im späteren Leben ein erhöhtes Risiko für Übergewicht und Krankheiten wie Asthma oder chronisch entzündliche Darmerkrankung haben. Allerdings zeigen Studien diesen Effekt vor allem für bestimmte Antibiotika, zum Beispiel Breitspektrum-Antibiotika aus der Gruppe der Makrolide. Sie können die Vielfalt der Darmbakterien verarmen lassen und den Stoffwechsel verändern. Nach ein bis zwei Jahren erholt sich die Darmflora in der Regel wieder.
Bekommt ein Kind allerdings wiederholt Antibiotika in den ersten Lebensjahren, hat das Mikrobiom womöglich nicht ausreichend Zeit, sich völlig zu regenerieren. Antibiotika sollten daher nie vorschnell oder ohne klare Indikation gegeben werden, sondern nur, wenn sie wirklich erforderlich sind. Dann sind sie wichtige und wertvolle Arzneimittel, die Leben retten können. In diesem Fall überwiegt dann auch der Nutzen gegenüber den Risiken.