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Kommunikation und Aufklärung

Beim Klimawandel sind auch Gesundheitsberufe gefragt

Viele Menschen befinden sich angesichts der globalen Klimaerwärmung in einer »emotionalen Paralyse«. Dass es auch Aufgabe der Gesundheitsberufe sei, diese Menschen aus ihrer seelischen Starre herauszuführen und so auch dem globalen Desaster entgegenzuwirken, erklärte Professor Christoph Nikendei auf der Pressekonferenz des Deutschen Kongresses für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.
Christiane Berg
18.06.2021  11:00 Uhr

»Die Heilberufe müssen vermehrt nicht nur über die Notwendigkeit eines planetaren Gesundheitsverständnisses aufklären und informieren, sondern zudem Kommunikationsmöglichkeiten schaffen, die Gefühle wie Verzweiflung, Scham, Schuld und Trauer zulassen«, so Nikendei. »Erst die Möglichkeit, diese Affekte offen zur Sprache zu bringen, löst Individuen aus ihren emotionalen Schutzmechanismen und bringt sie zum Handeln«, betonte der Psychotraumatologe und fordert eine adäquate Klimakommunikation und -edukation.

Diesbezüglich komme den Heilberufen eine zentrale Rolle zu. Denn eines sei gewiss: »Der Klimawandel wird sich immer mehr auch im medizinischen und therapeutischen Raum abzeichnen.« »Geopolitische Spannungen und die schockierende Wirklichkeit von Flucht und Krieg werden Angst, Ambivalenzen und Depressionen produzieren und verstärkt Patienten mit psychischen und psychosomatischen Störungen in die Praxen führen«, so Nikendeis Prognose.

Seelische Abwehr unerträglicher Emotionen

»Alpengletscher schmelzen, Hitzewellen und Buschbrände treten vermehrt auf, der Meeresspiegel steigt, Ernteausfälle, Hungertod und Massenflucht in unbekanntem Ausmaß nehmen zu. Die wissenschaftliche Evidenz der Folgen der Klimakrise ist bereits jetzt erdrückend«, machte der Mediziner im weiteren Verlauf seiner Ausführungen deutlich. Dennoch löse die sich abzeichnende globale Krise keinen kollektiven Alarm und keine angemessenen Reaktionen aus.

»Mechanismen wie Profitmaximierung und fehlende technische Lösungen allein erklären diese Nach-uns-die-Sintflut-Haltung nicht«, so der Mediziner. Der für die globale und individuelle Gesundheit schädliche Nihilismus sei aus Sicht der Psychosomatik nur durch die seelische Abwehr unerträglicher Emotionen und den Versuch der psychischen Entlastung durch kognitive Verzerrung, Projektion und Dissoziation zu erklären.

»Die Klimakrise ruft tiefgreifende Gefühle von Schuld, Scham und Verzweiflung hervor – Schuldgefühle aufgrund der eigenen Mitverantwortung, Scham über die leidvollen Konsequenzen für unsere Kinder, Verzweiflung darüber, dass sich die Ergebnisse des Hyperkonsums und der Entgrenzung nicht einfach umkehren lassen«. Die Empfindungen seien so unerträglich, dass sie aus dem Bewusstsein verbannt werden müssten. »Dabei helfen Strategien der Verleugnung und Dissoziation«, so Nikendei.

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