Beratung zu Nebenwirkungen |
Die aktuellen Pandemiebedingungen erschweren zwar die Beratung. Aber die Information zu Nebenwirkungen müssen weitergegeben werden. / Foto: Fotolia/Ivan Gligorijevic
Ohne Frage: Niemand schluckt gerne Medikamente – erst recht nicht, wenn diese auch noch unerwünschte Wirkungen mit sich bringen. Doch jedes Arzneimittel birgt Risiken. Werden Patienten in der Beratung genau daran erinnert, vertragen sie ihre Medizin häufig tatsächlich schlechter.
Besonders eindrucksvoll zeigte das die vielzitierte Studie von Silvestri und seinem Team im Jahr 2003: Drei Patientengruppen wurden mit dem Betablocker Atenolol behandelt, aber unterschiedlich aufgeklärt. Die Kontrollgruppe blieb völlig unwissend, eine weitere Gruppe erfuhr immerhin das verabreichte Mittel und die dritte Kohorte wurde umfassend informiert. Letzterer wurde erektile Dysfunktion als mögliche, doch seltene Nebenwirkung kommuniziert. Kannten die Probanden nicht einmal den Wirkstoff, gaben 3,1 Prozent Erektionsprobleme an. In der Gruppe, die im Vorfeld explizit darüber aufgeklärt wurde, klagten hingegen 31,2 Prozent darüber. Ein einziger Satz verzehnfachte also das Auftreten dieser Nebenwirkung.
Schuld daran ist der sogenannte Nocebo-Effekt (lateinisch: ich werde schaden), manchmal auch als böser Bruder des Placebos bezeichnet. Er induziert negative Erwartungen und sensibilisiert für diese Beschwerden. Allein das Wissen um eine Nebenwirkung schwört sie also förmlich herauf oder verstärkt sie.
Zusätzlich wächst schnell Unsicherheit beim Patienten, wenn in der Apotheke unbedacht Nebenwirkungen in den Raum geworfen werden, die der Arzt zuvor nicht erwähnte. Schlimmstenfalls erschüttert das sowohl das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient als auch das Vertrauen in die Therapie. Lehnen Kranke dann aus Angst ihre Medikation ab, entsteht Non-Adhärenz. Wir erinnern uns: Adhärenz ist das Ausmaß, in dem ein Patient der Therapieentscheidung treu ist, die gemeinsam mit dem Arzt getroffen wurde.
Also lautet die Devise lieber schweigen, um den Patienten nicht zu schaden? So einfach sei es nicht. »Denn es ist klar durch die Apothekenbetriebsordnung geregelt, dass der Apothekenleiter eine hinreichende Beratung sicherstellen muss«, erinnert Kathrin Koller, Apothekerin und stellvertretende Geschäftsführerin Pharmazie der Bayerischen Landesapothekerkammer. Dazu gehöre auch, auf mögliche Unverträglichkeit und Nebenwirkungen hinzuweisen, wenn dies erforderlich sei. Ziel sollte ebenso die Förderung der Therapietreue sein.
Das Beratungsgespräch biete dabei die Gelegenheit, Ängste im Vorfeld zu zerstreuen. Durch Schweigen bleibe der Patient hingegen mit dem Beipackzettel und einer langen Liste Nebenwirkungen alleine zurück. Gerade ängstliche Menschen, die ruhig und »pflegeleicht« wirkten, würden das Medikament dann womöglich heimlich, ohne noch einmal das Gespräch zu suchen, entsorgen. Stillschweigen gefährdet also gleichermaßen die Adhärenz.