Bewegen statt belasten |
Die Gelenke fordern, aber nicht überfordern. Das müssen Rheumatiker lernen. / Foto: Adobe Stock/Orawan
Typisches Symptom der Rheumatoiden Arthritis sind geschwollene, überwärmte Gelenke. In Folge einer Autoimmunreaktion ist die Gelenkinnenhaut stark verdickt und produziert zu viel und veränderte Gelenkflüssigkeit. Diese lässt das Gelenk schmerzhaft anschwellen und dehnt die Gelenkkapsel und die Bänder. Durch immer wiederkehrende Entzündungen und Schwellungen lockert sich mit der Zeit der Halteapparat aus Bändern und Gelenkkapsel, und das Gelenk verliert an Halt und Stabilität. Sehnen können abrutschen und Fehlstellungen entstehen.
Auch Schonhaltungen tragen dazu bei, dass Gelenke deformieren. Häufig kann das Mittelgelenk eines Fingers nicht mehr aktiv gestreckt werden, sondern ist permanent gebeugt. Gleichzeitig ist das Endgelenk dieses Fingers gestreckt oder sogar überstreckt. Auch die umgekehrte Situation ist möglich: Das Mittelgelenk eines Fingers ist überstreckt, und das Endgelenk verharrt in einer Beugestellung.
Die Hand ist das wichtigste Greifinstrument des Menschen. Ist sie in ihrer Funktion eingeschränkt, geraten einfachste Alltagsabläufe wie Waschen, Kämmen und Anziehen zur kaum lösbaren Herausforderung. Nicht nur die Beweglichkeit ist eingeschränkt, sondern auch die Kraft scheint aus den Händen gewichen zu sein. Dinge entgleiten und fallen zu Boden. Oder die Kraft reicht nicht, um den Verschluss einer Flasche aufzudrehen.
Wenn die Gelenke schmerzen und geschwollen sind, liegt es nahe, sie zu schonen und ruhig zu stellen. Damit jedoch wird alles nur noch schlimmer. Denn ohne Bewegung werden auch die Muskeln schwach. Das schränkt die Beweglichkeit und Stabilität der Gelenke noch weiter ein. Statt die Gelenke zu schonen und ruhig zu stellen, ist Entlastung die richtige therapeutische Strategie, damit betroffene Gelenke ohne zusätzliche Schmerzen beweglich bleiben und sich nicht verformen.
Unter dem Begriff »Gelenkschutz« werden Maßnahmen zusammengefasst, die die Gelenke vor übermäßiger Beanspruchung bewahren. Patienten erlernen, wie sie ihre erkrankten Gelenke kraftsparend und ohne Belastung gebrauchen können. Dazu zählen auch gezielte tägliche Übungen, die die Muskulatur um das Gelenk herum trainieren. Kräftige Muskeln wiederum verbessern die Gelenkführung. Sie schützen die Bänder und die Gelenkkapsel vor Überdehnung. Das Gelenk wird somit stabilisiert und vor Verletzungen bewahrt. Bewegung sorgt auch dafür, dass sich die Gelenkflüssigkeit immer wieder neu im Gelenk verteilt, es »schmiert« und den Knorpel mit Nährstoffen versorgt.
Oft hören Patienten zum ersten Mal von Gelenkschutz, wenn sie sich eine Zeitlang in einer Rheumaklinik aufhalten. Sie üben dort im Rahmen der Physio- und Ergotherapie neue Bewegungsabläufe ein, zum Beispiel, die Gelenke bei Tätigkeiten so zu führen, dass sie gerade bleiben und sich nicht verdrehen. Patienten können sich beispielsweise auch angewöhnen, den Kaffeebecher oder die Flasche beim Einschenken immer mit beiden Händen zu halten, um die Hand- und Fingergelenke zu entlasten.
Grundsätzlich sind harmonische Abläufe in einem gleichmäßigen Rhythmus empfehlenswert. Abrupte Bewegungen, schnelle Richtungsänderungen und Drehbewegungen strapazieren dagegen die Gelenke. Sehr gut eignet sich Wassergymnastik, denn der Auftrieb entlastet die Gelenke und der gleichmäßig auf den Körper einwirkende Wasserwiderstand trainiert bei jeder Bewegung die Muskulatur. Zudem trägt die Wärme des Wassers zur Muskelentspannung und Schmerzlinderung bei. Weitere gelenkschonende Sportarten sind Nordic Walking und Fahrradfahren.
Rheumatologen verschreiben ihren Patienten manchmal eine Orthese, um das betroffene Gelenk zu stabilisieren und das Ausmaß der Bewegung zu begrenzen. Orthesen können Schmerz reduzieren und weiteren Deformierungen vorbeugen. Diese medizinischen Hilfsmittel sind nicht unbedingt groß und auffallend, sondern können unter der Kleidung getragen werden. Für Fingergelenke werden sogenannte Rheuma-Ringe als Orthese angewendet – es gibt sie sogar als Schmuckstück gearbeitet. Bandagen sind im Vergleich zu Orthesen flexibler gestaltet und bieten mehr Aktionsfreiheit. Sie bestehen aus einem elastischen Kompressionsgestrick, das sich der Körperform anpasst und etwas Bewegung zulässt.
Patienten sollen Orthesen und Bandagen meist nur stundenweise tragen. Andernfalls könnte die darunter liegende Muskulatur durch die Ruhigstellung geschwächt werden. Außerdem reagiert die Haut von Rheumatikern, die mit Glucocorticoiden behandelt werden, häufig sehr empfindlich auf Reibung und längeren Druck.
In Einzelfällen wird auch kinesiologisches Taping angewendet. Dieses gibt dem betroffenen Gelenk zwar Halt, lässt ihm jedoch auch Bewegungsspielraum. Tapes sollten bei Rheumatikern nur unter Aufsicht beziehungsweise nach Anleitung von medizinischem Fachpersonal angelegt werden, da sie bei falscher Positionierung mehr schaden als nutzen.
Für den Alltag gibt es zahlreiche Hilfsmittel, die bei eingeschränkter Kraft und Beweglichkeit das Leben erleichtern. Wenn die Greiffläche eines Gegenstandes vergrößert ist, verteilt sich der Druck besser auf die Gelenke und es wird weniger Kraft benötigt. Aus diesem Grund werden Griffverdickungen an Messern, Scheren oder Schraubenziehern eingesetzt. Sie sind zudem nützlich, wenn sich Fingergelenke nur noch eingeschränkt beugen lassen. Hilfsmittel, etwa zum Öffnen von Deckeln oder zum Drehen des Hausschlüssels, nutzen Hebelkräfte und reduzieren die aufzuwendende Kraft. Veränderte Bestecke und Werkzeuge erlauben es, zu schneiden oder zu arbeiten, ohne das erkrankte Gelenk zu beugen oder zu drehen.
Mittlerweile gibt es in Sanitätshäusern und sogar in Baumärkten ein großes Angebot an Alltagshilfen. Rheumatiker, die den Gelenk-schonenden Umgang mit diesen Hilfsmitteln und weitere günstige Bewegungsabläufe lernen möchten, wenden sich am besten an einen Ergotherapeuten mit rheumatologisch-orthopädischem Schwerpunkt. Entsprechende Adressen erhalten sie bei der Deutschen Rheuma-Liga beziehungsweise deren regionalen Ansprechpartnern.