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Keine Ausreden mehr

Bewegung geht (fast) immer

Zu heiß, zu kalt, zu platt, zu satt – Ausreden, um sich nicht mehr als unbedingt nötig bewegen zu müssen, gibt es reichlich. Schade, denn wenig ist so klar wie das: Bewegung und Sport beugen zahlreichen Krankheiten vor, machen Laune und helfen, chronische Krankheiten moderater verlaufen zu lassen.
Isabel Weinert
02.07.2021  15:30 Uhr

Manchen Menschen fällt es von Kindesbeinen an leicht, sich häufig zu bewegen, anderen graut es schon beim Gedanken daran. Ist »No sports« also einfach Schicksal, genetisch bedingt? »Es stimmt schon, dass die Fitness eines Menschen eine genetische Grundmusik hat«, sagt Professor Dr. Dr. Christine Joisten, Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft an der Deutschen Sporthochschule Köln gegenüber PTA-Forum. »Aber was man aus dem Orchester herausholt, obliegt immer noch dem Dirigenten«.

Und ein gelungenes Bewegungskonzert zeigt auf Dauer erwiesenermaßen zahlreiche positive Effekte. Besonders diejenigen, die lange Zeit das Sofa dem Sport vorgezogen haben, profitieren von Bewegung. So schreiben die Autoren der »Nationalen Empfehlungen für Bewegung und Bewegungsförderung«: »Die größten Gesundheitsgewinne sind bei inaktiven Personen zu beobachten, die ihre Aktivität zumindest etwas steigern. Entsprechend geht bereits eine relativ geringe Steigerung der körperlichen Aktivität mit deutlichen Verbesserungen im Gesundheits- und Fitnesszustand bei anfangs inaktiven und unfitten Personen einher.«

Das klingt schon mal sehr gut. Aber wie gelingt es, den inneren Schweinehunden Adieu zu sagen und tatsächlich in Bewegung zu kommen? »Am leichtesten fällt der Start, wenn man zunächst einfach die Schrittgeschwindigkeit und die Schrittzahl im Alltag erhöht«, erklärt Joisten. »Für 1000 Meter Gehstrecke braucht man im Schnitt zehn Minuten, versuchen Sie, das in sechs Minuten zu schaffen. Auf diese Weise laufen Sie schneller als sonst, und schon haben Sie die ersten positiven Effekte für Ihren Organismus. Und dann horchen Sie in sich hinein, was macht das mit mir? Wer möchte, powert sich einfach mal aus und beobachtet, wie es ihm damit geht«.

Solch ein trial and error sei durchaus hilfreich, so die Sportmedizinerin. Gerade Anfänger merken die Erfolge der vermehrten Alltagsaktivität wirklich schnell. »Plötzlich fällt es wieder leichter, die Treppen zu steigen oder schneller zu laufen, ohne gleich aus der Puste zu kommen.« Ganz wichtig sei es, so Joisten, wieder neu zu lernen, auf den eigenen Körper zu hören. So ließen sich auch Belastungsgrenzen besser ausloten und die Bewegungsart finden, mit der man sich am wohlsten fühlt. »Bewegung darf auch Spaß machen«, so Joisten.

Erst ein Check

Vor dem Sporteinstieg sollte bei Menschen, die lange Zeit inaktiv waren, allerdings ein Gesundheitscheck stehen: Die »Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention« (DGSP) rät Einsteigern und Wiedereinsteigern explizit zur ärztlichen Untersuchung, um mögliche Vorerkrankungen zu erkennen beziehungsweise Risiken vorzubeugen. »Auf diese Weise lassen sich Risiken erkennen, die wirklich die Gesundheit gefährden können, etwa am Herz-Kreislauf-System«, erklärt Joisten.

Die »Nationalen Empfehlungen für Bewegung und Bewegungsförderung« geben gesunden Erwachsenen folgende Mindestempfehlungen, um die Gesundheit zu erhalten und zu fördern: Erwachsene sollten möglichst mindestens 150 Minuten pro Woche aerobe körperliche Aktivität mit moderater Intensität durchführen, also zum Beispiel fünfmal eine halbe Stunde pro Woche, oder 75 Minuten pro Woche mit hoher aerober Intensität. Kombinationen aus beidem sind natürlich möglich, und die Bewegung darf auch in dreimal zehn Minuten am Tag anstelle einer halben Stunde aufgeteilt werden. Nur mit Ausdauerbelastung ist es aber nicht getan. Die Muskeln, Energiefresser schlechthin und damit wichtig auch für ein gesundes Körpergewicht, sollten mindestens zweimal die Woche gefordert werden, und hier vor allem die großen Muskelgruppen, also Oberschenkel, Gesäßmuskel, Rücken- und Brustmuskulatur.

Mach mal Pause

Übungen mit der eigenen Muskelkraft lassen sich gut auch in die Pausen schieben, die man vom Sitzen macht – einem ausgemachten Feind der Gesundheit. PTA haben damit berufsbedingt kaum Probleme, die Masse der Büroangestellten aber schon. Die Autoren der »Nationalen Empfehlungen für Bewegung und Bewegungsförderung« schreiben: »Es liegen Hinweise dafür vor, dass sitzendes Verhalten das Risiko für das Auftreten von chronischen Erkrankungen, wie Diabetes Mellitus Typ 2, Adipositas, einigen Krebsarten oder kardiovaskulären Erkrankungen erhöht und mit einer erhöhten Mortalität assoziiert sein kann. Anders herum liegen Studien zur Unterbrechung langen Sitzens durch leichte körperliche Aktivität vor, die die Bedeutung von Muskelkontraktionen zur Unterstützung gesundheitswirksamer physiologischer Effekte unterstreichen. Entsprechend wird empfohlen, die mit Sitzen verbrachte Zeit bei der Arbeit, in der Freizeit und im Verkehr einzuschränken und nach Möglichkeit immer wieder mit körperlicher Aktivität zu unterbrechen.« 

Also: am besten jede halbe Stunde hoch vom Stuhl, recken, strecken, ein paar Kniebeugen und ein paar Schritte gehen. Zusatzeffekt: Man kann sich wieder besser konzentrieren.

Was Wissenschaftler heute auch wissen: Bis zu einem gewissen Grad hängt das Ausmaß des Gesundeffekts von Bewegung von deren Intensität ab. Je mehr Power, desto besser. Das gilt allerdings nicht unbegrenzt. Gut ist es also für diejenigen, deren Grundgesundheit es zulässt, immer etwas außer Atem zu kommen und zu versuchen, an der Schwelle zwischen aerobem und anaerobem Bereich zu trainieren. Vereinfachen lässt sich diese Aussage mit der alten, aber nicht obsoleten Formel: Puls = 180 minus Lebensalter. Bei einem 50-jährigen Menschen liegt die Grenze also beim einem Puls von 130 pro Minute, bei jemandem, der 70 ist, bei 110, bei einem jungen Menschen von 20 bei 160. Große Unterschiede, für die es sinnvoll ist, zumindest in den ersten Wochen mit Pulsuhr zu trainieren. Im Laufe der Zeit bekommen die meisten Menschen ein Gefühl für ihren optimalen Puls. Das ist wichtig, denn: »Wer sich zu viel zumutet, merkt das zum Beispiel daran, dass er dauernd irgendeinen Infekt hat, sich körperlich müde und erschöpft fühlt«, so Joisten. Dann ist es Zeit, ein paar Gänge herunterzuschalten. Bei Leistungssportlern spricht man in diesem Zusammenhang vom Übertrainieren.

Das Netz nutzen

Wer sich schämt, in der Öffentlichkeit mit mehr Aktivität zu beginnen, der kann von einer positiven Nachwirkung der Lock Downs profitieren. »Noch nie gab es so viele Angebote, Kurse und Übungen online«, sagt Joisten. Man muss die eigenen vier Wände also noch nicht einmal verlassen, um die tägliche Aktivität zu starten. »Wir haben von Seiten der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin in der Pandemie unter www.dgsp.de Listen für Kinder und Jugendliche, für Ältere, für Menschen im Homeoffice und für psychisch Kranke zusammengestellt«, sagt die Wissenschaftlerin. Auf was sollte man achten, bevor man ein Angebot nutzt? »Es sollte auf jeden Fall gut angeleitet sein, keine inApp-Fallen beinhalten und sensible Daten seriös nutzen.« Allerdings sei es nicht ganz einfach, gerade bei Apps die Spreu vom Weizen zu trennen, »denn es fehlt ein Qualitätsraster«.

Geht nicht gibt’s kaum

Neben den gesunden Menschen profitieren von Aktivität gerade auch diejenigen, denen man noch vor wenigen Jahrzehnten zur Schonung riet, die chronisch Kranken. Doch die Menschen mit Typ-2-Diabetes, COPD, Hüft- und/oder Kniegelenkarthrose, einer klinisch stabilen ischämischen Herzerkrankung oder einem überstandenen Schlaganfall, mit Depression oder unspezifischen Rückenschmerzen, scheuen Bewegung nur allzu oft – auch aus Furcht, etwas falsch zu machen. Dabei bessern sich chronische Erkrankungen in vielen Fällen, wenn man seinen Körper regelmäßig in Kraft und Ausdauer fordert.

So schreiben die Autoren der Bewegungsleitlinien: »Die vielfältigen Gesundheitswirkungen von körperlicher Aktivität für Menschen mit chronischen Erkrankungen umfassen günstige Wirkungen bezüglich Pathogenese und Pathophysiologie, die Abschwächung von Symptomen, eine gesteigerte körperliche Funktionsfähigkeit und Belastbarkeit, ein verbessertes psychosoziales Wohlbefinden sowie eine Anhebung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Für manche Erkrankungen sind ebenfalls positive Effekte körperlicher Aktivität auf Gesamtmortalitätsraten nachgewiesen, etwa für Diabetes mellitus Typ 2 und Adipositas oder für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.«

Die Bewegungsempfehlungen für erwachsene Menschen gelten auch für diejenigen, die unter einer chronischen Krankheit leiden und zwischen 18 und 65 Jahre alt sind. In Phasen, in denen sich eine chronische Krankheit verschlechtert, wie zum Beispiel im Rahmen einer Herzerkrankung, raten die Experten der Bewegungsleitlinien, die körperliche Aktivität nicht zu erzwingen, sondern so viel zu machen, wie es der Gesundheitszustand zulässt.

Möchte ein Mensch mit einer chronischen Erkrankung mit Sport starten, sollte er das nicht auf eigene Faust tun, sondern sich vorab beim Arzt untersuchen lassen und mit ihm besprechen, inwieweit Sport womöglich auch eine Dosisänderung der eingesetzten Medikamente bewirken kann.

Bessere Werte

Das ist zum Beispiel wichtig, wenn Diabetiker mit einem Training beginnen möchten. Denn körperliche Aktivität hat den gewünschten Effekt, den Blutzucker akut und bei Regelmäßigkeit auch langfristig zu senken. Besonders, wenn man nicht nur die Ausdauer trainiert, sondern auch die Kraft, schlägt das zu buche. An sich gewünscht, kann der Blutzucker bei Diabetikern, die mit Insulin behandelt werden, Sulfonylharnstoffe einnehmen oder eine Kombination verschiedener Antidiabetika, akut zu stark abfallen und auch noch bis zu 24 Stunden nach der körperlichen Aktivität, abhängig von der Intensität der Belastung, ist das Hypoglykämie-Risiko bei unter Umständen erhöht. Deshalb ist es gerade für diese Patienten wichtig, sich mit dem Diabetologen vorab genau abzusprechen. Das gilt auch für Diabetiker, die bereits unter Folgeerkrankungen leiden. Bei einigen davon, etwa einer Polyneuropathie oder einer autonomen Neuropathie, gibt es Kontraindikationen in punkto Sport. Ganz wichtig: Diabetiker, die aufgrund ihrer Therapie theoretisch unterzuckern können, müssen beim Sport stets ein Blutzuckermessgerät und Traubenzucker bei sich haben. Am besten verstaut man die Utensilien in einer am Rücken oder Bauch anliegenden Tasche. Seitliche Tragemöglichkeiten führen zu einem unerwünschten Ungleichgewicht von linker und rechter Seite. 

Den Effekt auf ihre Blutzuckerwerte merken Diabetiker besonders dann, wenn sie ihre Bewegung aus irgendwelchen Gründen für einige Zeit nicht ausüben können. Dann kann der Bedarf an Insulin oder anderen Diabetes-Medikamenten drastisch steigen, bis sich ein neues Gleichgewicht in der bewegungsarmen Phase zwischen Dosis der Medikamente und Aktivität eingependelt hat.

Fachärzte einbeziehen

Wer an einer Erkrankung des Herz-Kreislauf-Systems leidet, profitiert für seine Herzgesundheit von regelmäßiger Bewegung. Ärztlicher Rat vor dem Start ist ein Muss. Patienten sollten sich dafür außer an ihren Hausarzt auch an einen Kardiologen und/oder Sportmediziner wenden, um den sportlichen Rahmen im Einzelfall exakt abzustecken. Doch sehr häufig steht die Angst des Patienten, er könne dem Herzen zu viel zumuten, der Bewegung entgegen. Genaue Festlegungen, in welchen Fällen wie viel und welcher Sport möglich ist, hat die »Europäische Gesellschaft für Kardiologie« getroffen. Dabei zeigt sich: Es geht sehr viel, ein absolutes Verbot gibt es nur sehr selten. Beispiele hierfür sind akute Herzmuskelentzündungen, schwere Herzmuskelerkrankungen, eine aktuell instabile Angina pectoris, lebensgefährliche Herzrhythmusstörungen, wenn kein Defibrillator implantiert wurde, oder sehr enge Aortenklappen. Ein Beispiel für den Paradigmenwandel in den letzten Jahrzehnten ist die Herzinsuffizienz. Lange galt sie als Grund, nicht mehr körperlich aktiv sein zu dürfen. Das ist nicht nur überholt, sondern im Gegenteil, Bewegung bessert sogar die Prognose.

Ebenso ängstlich wie viele Herzkranke gehen auch Menschen mit Lungenkrankheiten das Thema Bewegung an. Das erscheint logisch, fürchten sie doch eine Verstärkung ihrer Atemnot. Allerdings bewirkt Schonung eher das, wovor sie sich fürchten, denn Herz-Kreislauf-System und (Atem-)Muskulatur verlieren immer mehr an Kraft. Besonders für Menschen mit COPD lohnt das körperliche Training, selbst in schweren Stadien. Über die Art des Trainings und dessen Intensität sprechen COPD-Patienten am besten mit einem Lungenfacharzt und Sportmediziner. Das gilt auch für Asthmatiker, denen regelmäßiger Sport ebenfalls deutlich mehr nutzt als schadet. Selbst wer unter einer zystischen Fibrose leidet, unter einer Lungenfibrose oder Bronichektasen, kann trainieren.

Druck abbauen

Auch bei hohem Blutdruck kann regelmäßiges Training zu niedrigeren Werten führen, denn Sport senkt den systolischen Blutdruck um circa 5 Millimeter Quecksilber – und damit um so viel, wie sich mit einem einzigen Antihypertensivum maximal erreichen lässt. Oft genug beginnen Menschen mit dem Sport auch vermehrt auf ihre Ernährung zu achten. Nehmen sie auf diese Weise an Gewicht ab, sinkt der Blutdruck nochmals. In diesem Zusammenhang weist Joisten darauf hin, dass Krafttraining für Menschen mit hohem Blutdruck keineswegs ein Tabu ist. »Menschen mit Hypertonie automatisch davon abzuraten, ist falsch.« Es komme immer darauf an, welcher Art das Krafttraining sei. »Das muss nicht immer an Geräten sein, sondern funktioniert zum Beispiel auch mit einem Theraband.« Als Kontraindikationen für Sport bei Menschen, die sowohl Diabetes als auch hohen Blutdruck haben, nennt die Europäische Gesellschaft für Kardiologie nur zwei Fälle: ein hohes kardiovaskuläres Risiko und einen unkontrollierten Blutdruck mit systolischen Werten über 160, solange, bis der Blutdruck unter Kontrolle ist.

Voraussetzung für Sport bei chronischer Krankheit ist immer die optimale medikamentöse Therapie der Grunderkrankung. Sport ersetzt also keine Medikamente, ist aber selbst ein extrem wirksames, fasst Joisten zusammen.

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